2. Rätsel und Zeichen

2. Rätsel und Zeichen

Jahrhunderte alter Stein hüllte sich um Al Mualim, der die Geschichte darin buschstäblich fühlen konnte. Nur selten kam er außerhalb der Rituale an diesen Ort, nur wenn er die Kraft spüren musste, die vom Gründungsort des Ordens ausging. In letzter Zeit war dies öfter geschehen. Die Stimmen längst vergangener Tage hallten in seinem Kopf, als er seinen müden Körper auf ein auf den Boden gebreitetes Fell niederließ. Sie riefen ihm ins Gedächtnis, dass auch er eines Tages nicht mehr sein würde als das Echo seiner Selbst. Der Meister begann schwach zu werden, es war ihm, als verloren seine Sinne an Kraft, und so versuchte er alles, um dem Rad der Zeit noch ein wenig entgegen zu wirken. Er war seinem Wunsch nahe, das spürte er deutlich, bald würde die Zeit gekommen sein, um den einen großen Traum zu erfüllen, der ihn schon beinahe heimsuchte.

Al Mualim wollte Frieden über das Heilige Land bringen, haltbaren, unstürzbar, der niemanden ausschloss, nur so konnten die Assassinen endlich ihr Ziel erreichen. Eine Schande war es, was Saladin und Richard aus ihrer Heimat machten, Kriege beutelten das Land und das Volk schrie nach Hilfe. Wenn er es nur erreichen konnte, wenn er es erst in den Händen hielt, sie alle würden sich ihm zuwenden. Und dann würden sie ihn haben, den Frieden!

Korkut Umat betrat ehrfürchtig die Heilige Halle und wurde sogleich wieder von dem unangenehmen Gefühl erfasst, dass ihn hier ständig verfolgte. Zu viele Erinnerungen hingen in der Luft und an dem flachen Tropfstein, der in der Mitte der Höhle hüfthoch aus dem Boden ragte. Verzerrte Bilder von Blut, von eiskalten Schmerz, einem seltsamen Rausch erfassten den Meisterreiter, doch er widerstand den Schatten und ging auf Al Mualim zu.

Dieser hatte ihn bereits bemerkt und war in missmutiger Erwartung in seine authoritärste Haltung verfallen. "Umat! Ich sagte, ich wünsche nicht gestört zu werden! Ich hoffe ihr habt einen guten Grund dazu!" Sein Untergebener verneigte sich leicht. "Friede sei mit euch, mein Meister. Ein ranghoher Bruder wünscht euch zu sprechen!" "Das ist kein Grund, mich von meinem Tagewerk abzuhalten. Normalerweise pflege ICH euresgleichen zu mir zu rufen!" Korkut Umats Augen schmälerten sich, sein Ausdruck blieb dennoch freundlich.

Die Launen des Alten wurden immer schlimmer. Seit die Kreuzritter erneut gen Jerusalem befohlen worden waren, entwickelte der Orden hektische Aktivität. Ein weiterer Krieg wäre fatal für das heilige Land gewesen und die Assassinen taten was sie konnten, um die Straßen sauber zu halten. Der wahre Feind jedoch, die Schrecken einer Schlacht, befanden sich nicht mehr weit entfernt in der Wüste und lauerten auf den rechten Zeitpunkt.

Korkut hätte nicht gewagt, den Meister in seiner täglichen Meditation zu stören, wenn er nicht gewusst hätte, dass der Grund dafür eine deutliche Verbesserung der Laune Al Mualims bewirken würde. "Es ist Altair, mein Meister!"

In der Hitze des Mittags ächzten Bretter uralter Regale, die den Tisch in der Mitte des großen Raumes umhüllten, unter der Last unzähliger Bücher. Die meisten der Titel konnte Altair ohne Probleme von seinem Standpunkt aus entziffern und es gab keinen davon, den er nicht kannte. Al Mualims Lehre hatte immer auch darauß bestanden, seinen Geist zu trainieren, und hatte er es damals noch für sinnlose Spielerei gehalten, so nützlich war es dem Assassinen jetzt bei seiner Arbeit.

Altair war fähig, sich jeder Gesellschaft, jedem Moment blitzschnell anzupassen, er beherrschte viele Sprachen fließend, kannte alle Götter, Herrscher und Heiligen seiner Opfer. Und er nutzte ihren Glauben, um ihnen Fallen zu stellen und die Botschaft zu überbringen, dass hinter dem Tod nichts lag, kein Licht, kein Paradies, nur Kälte und Stille und Einsamkeit.

Leise regten sich Kopfschmerzen hinter seiner Stirn, sie waren wie verbunden mit diesem Ort, kamen immer wieder und ließen ihn des Abends schwindelnd zurück.

Manchmal schien es beinah, als würde etwas in seinem Kopf versuchen auszubrechen und in solchen Momenten war sich der Assassine seiner Selbst nicht mehr sicher. Mit akribischer Genauigkeit verbarg er diese Gedanken vor jedem, um niemandem den Anlass zu geben zu denken, er sei verrückt.

Altair wusste, was ihn quälte, wenn er hier im Zentrum der Macht des Ordens stand. Es war ein vorgegangenes Leben, eine Fata Morgana, der Anflug der Gedanken eines Anderen, den er jeden Tag aufs Neue getötet hatte.

Aus den schattigen Regalen löste sich eine Gestalt und schritt gemächlich auf ihn zu. Al Mualim hielt ein in Tierhaut gebundenes Buch in der Hand und blätterte versunken darin. Hätte Altair nicht gewusst, welche Macht dieser Mann sein eigen nannte, er hätte es in diesem Moment niemals vermutet. Der Meister vermochte es, wie ein einfacher alter Mann auzusehen, ein ungefährlicher kleiner Gelehrter. Wehe dem, der diesem Eindruck unterlag...

Al Mualim schlug endgültig eine Seite auf und spreizte beim Lesen die Finger.

"Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen!"* "Ich kenne meinen Feind besser als mich selbst, das sollte genügen! Friede sei mit euch, mein Meister!" Altair veränderte seine Haltung keineswegs, er war der einzige, der sich nicht mit all zu vielen Förmlichkeiten aufhielt, wenn er mit Al Mualim sprach. Niemand verstand so recht die Beziehung der beiden zueinander, aber jeder, der einmal das Schauspiel ihres Aufeinandertreffens erlebt hatte, wusste zu sagen, dass es einzigartig war.

Der Meister stand meist mit einem gütigen Anflug in der Miene im Raum und schien mit jeder stolzen Bemerkung, jedem hochmütigen Wort aus dem Mund seines Schülers nur noch vergnügter zu werden. Die Schlaueren unter ihnen hatten bald erkannt, dass nur Al Mualim es beherrschte, Altair auf diese ungewöhnliche Art zu führen und zu lehren, denn er hatte den nötigen Respekt des Assassinen.

"Sei mir gegrüßt, mein Schüler! Es freut mich, euch nach so kurzer Zeit wiederzusehen, zumal ich mir gute Nachrichten von eurem Erscheinen erhoffe! Doch zunächst," der Meister wandte sich einem verhüllten Gegenstand zu, der auf seinem Tisch in die Höhe ragte, "wollen wir verstehen, was jene Worte, die ihr so leichtfertig von euch weist, zu bedeuten haben. Was seht ihr hier?" Mit einem Ruck entfernte er das samtene Tuch und eine einfache Waage kam zum Vorschein.

Der Assassine war keineswegs überrascht, zu oft war er bereits bei solchen Spielen getäuscht worden, als das er eine einfache Antwort in Betracht zog. "Nun, was ich sehe wird wohl nicht dass sein, was ihr mir zu zeigen wünscht....vielmehr ist entscheiden, was ich NICHT erkenne!" "Gut, gut!" Al Mualim lächelte und klatschte in die Hände. "Ihr seid wachsamer geworden, Altair. Nun gut, ich will euch die Aufgabe erleichtern. Dies," er zog ein großes Schwert hinter dem Tisch hervor, "ist euer Feind, mein Kind. Während diese Feder hier euch selbst darstellt. Warum muss ich euch wohl nicht sagen!" Stolz schwang in Altairs Stimme als er antwortete: "Der Feind ist plump und langsam und ich schwebe wenn es sein muss!" Erneut gab sich der Meister amüsiert. "Ah, ihr seid wahrlich erfrischend, ein wacher Geist in einer Masse aus langsam Denkenden! Dennoch erfasst ihr immer noch nicht ganz den Hintergrund der Tatsachen. Legen wir die beiden Gegenstände also auf diese Waage, was wird dann passieren?" Fragend verharrten Schwert und Feder in Al Mualims Händen. "Die Schale, in die ihr das Schwert legt, wird zu Boden sinken, während jene, die die Feder trägt, aufsteigt."

Für Bruchteile einer Sekunde schwebten beide Waagschalen auf einem Level, bevor sich der Arm zur Seite der Feder zu neigen begann und sie lautlos nach unten schwebte. Das Schwert ragte starr in der Luft, die Spitze genau auf Altairs Brust gerichtet, eben wie eine Waffe eines Feindes im Kampf. Der Meister trat zurück und ließ den Moment für sich wirken, bevor er wieder das Wort ergriff.

"Was ihr seht, ist die Folge eines einfachen Mechanismus, der dazu dient Bauern in den großen Städten zu verblüffen. Die Gaukler haben ihn erschaffen um das Volk zu belustigen und wissen gar nicht, welche Macht hinter dem Gedanken dieser Täuschung steht. Wenn ein Mensch ein solches Werk vollbringt, kann was wir sehen nicht wahr sein. Hier liegt auch die Bedeutung der Worte, die ich euch nannte."

Altair erlaubte sich einen Moment der Verwirrung. "Ihr sprecht in Rätseln, Meister!"

"Es ist nicht entscheident, wieviel ihr wiegt, wieviel ihr über euch selbst wisst, weil ihr keine Schlacht schlagen werdet. Ihr werdet wie diese Feder leise und vorsichtig an euer Ziel gelangen, entscheident ist, dass ihr den Mechanismus erkennt, der dem zu Grund liegt. Krieg erfordert Regeln, er erfordert eine grausame Ordnung, herbeigeführt durch jene Schlachten, die sie ruhmreich nennen. Ihr, Altair, wisst, dass alles erlaubt ist...und die richtige Technik erlaubt euch, es zu tun!"

Al Mualim hatte auf einem imposanten Sessel Platz genommen, bot jedoch Altair in weiser Voraussicht keine bequemere Haltung an, um den Stolz seines Kämpfers nicht unnötig früh zu erregen. "Also, was habt ihr erfahren?" fragte der Meister endlich, als er das Buch geschlossen und seine Hände darüber gefaltet hatte. Der Assassine bemühte sich trotz des pochenden Schmerzes hinter seinen Schläfen klar zu wirken. "Ich bin Robert de Sable näher gekommen, als es ihm lieb sein mag, während er mit einem seiner Männer seine Pläne besprach. Er wird mit einer kleinen Gefolgschaft gen Süden ziehen, um etwas zu bergen, dass er nannte. Zweifellos muss es sich hierbei um ein wertvolles Artefakt handeln, anders kann ich mir nicht erklären, dass er ein solches Risiko eingeht!" "Also ist meine Vermutung wahr. Er hat den Schatz Salomons in Jerusalem gefunden! Wir müssen ihn aufhalten!"

Dies waren jene Worte, die Altair zu vernehmen gehofft hatte. Endlich würde der Templer seinem Schicksal zugeführt werden, und dem Kämpfer lag viel daran jener zu sein, der es vollstreckte. Schon einmal war er de Sable gegenübergstanden, ohne es zum Kampf kommen zu lassen. Diesmal würde der Franzose nicht mehr so einfach davonkommen.

"Lasst es mich tun, Meister! Keiner kennt ihn so wie ich, niemandem sonst wäre es gelungen, in sein Lager einzudringen!" Selbst in dieser Situation vermocht Al Mualim es, mit einem leichten Lächeln die Hitze seines Schülers zu beruhigen.

"Gewiss, Altair, wen könnte ich sonst entsenden, ihr genießt mein volles Vertrauen! Dennoch teile ich eure Ansicht nicht, dass Robert de Sable beinahe ungeschützt herumwandert. Mir wäre wohler bei dem Gedanken, euch begleiten zu lassen, damit ihr euch voll auf den Templer konzentrieren könnt!" "Ich habe Ziele inmitten von großen Versammlungen getötet, ohne das ich der Hilfe meiner Brüder bedurfte...was soll diesmal anders sein?" gab der Assassine scharf zurück und wanderte durch das Zimmer ans Fenster. Von hier aus konnte man die sanften Berge Maysafs erblicken, die ihre langen Schatten über das Reich warfen.

"Nun, mein Kind, ihr seid zweifellos der fähigste Mann unter uns, aber eben als solcher müsst ihr zustimmen, wenn ich sage dass auch jene, die nach euch kommen, einem gewissen Training bedürfen. Ich bitte euch nicht darum einen Geleitschutz anzunehmen, sondern zwei der höchsten Novizen mit euch zu führen. Dieser Auftrag soll ihre letzte Hürde zur Initation sein und wer könnte sie würdiger an ihr Ziel führen denn ihr?" "Bereits in der Vergangenheit sagte ich euch, dass es mich nicht danach gelüstet, auf unwissende Jungen achtzugeben!" Der Meister seufzte leise, als er erkannte, dass der immer entscheidende Punkt ihrer Unterhaltungen erreicht war. Irgendwann war es Zeit, die Spiele zu beenden und Altair Befehle zu erteilen, denn nur solche befolgte er ohne lästige Diskussionen.

"Und ich sagte euch, dass ich es wünsche, dass meine Männer von den Besten lernen. Größe bringt Verantwortung mit sich, Altair, und ihr müsst endgültig lernen, sie zu tragen! Diese Burschen werden euch begleiten, ob es euch beliebt oder nicht, und ich verlange, dass ihr sie mit Bedacht und Voraussicht führt!" Al Mualim wandte sich wieder den Schriften zu und verharrte erstaunt, als sein Schüler nicht von dannen schritt.

"Ist da noch etwas, dass ihr mich zu wissen wünscht, Altair?" gab er über seine Schulter, nicht ohne zu bemerken, dass der Assassine herumgefahren war und gespannt hinter ihm stand. "Meister, es liegt mir fern eure Entscheidungen zu bezweifeln," antwortete Altair mit fester Stimme, "aber hier begeht ihr einen Fehler! De Sables Männer sind zu gerissen, als das ich euch für die Sicherheit zweier Kinder garantieren könnte!" Er hatte nicht erwartet, dass der Ältere auf diesen Einwand bestens vorbereitet war. "Nun, deswegen werdet ihr bei beiden nicht mir allein Rechenschaft schuldig sein, wenn sie nicht wiederkehren!"

Aus den Höhen der Burgmauer blickte Altair auf die beiden Novizen hinab, die auf ihn warteten. Selbst von hier oben konnte er ihre jungenhafte Haltung sehen, ihre Nervosität schmecken. Das war das Letzte, was er gebraucht hatte, auch wenn Al Mualim nie Zweifel daran gelassen hatte, dass auch er Schüler übernehmen musste. Bisher war der Assassine dieser stets spätestens dann entgangen, wenn die betreffenden Novizen heimlich zum Meister schlichen und einen neuen Lehrer verlangten. Hier lag die Sache anders, es wurde von Altair erwartet mit ihnen zusammenzuarbeiten und zu testen, ob die Ausbildung bei ihnen gegriffen hatte.

Al Mualim hatte gut gewählt...einer der beiden, Waqqaad Ibn al Ashad, war der Sohn eines bedeutenden Mannes, den der Assassine nur zu gut kannte. Turfah lag ebenso viel daran, de Sable zur Strecke zu bringen, wie ihm selbst, und er erwartete sich mit Sicherheit, dass sein Sohn mit Ehre zurückkehren würde. Auch wenn Altair dem durchaus Respekt zollte, um Waqqaad war er kaum besorgt. Der zweite Novize jedoch forderte mehr von ihm als ein paar einfache Anweisungen, ihm musste seine Aufmerksamkeit gelten. Es war Kadar al Sayr, der Bruder seines Freundes Malik.

Die beiden Novizen hatten die Ankunft des Meisterassassinen erwartet und waren so nicht sonderlich überrascht als er, sich von einer Leiter abstoßend, plötzlich vor ihnen landete. Der große Altair wäre niemals einfach so auf die Szene getreten, er pflegte zu erscheinen. Sofort nahmen die beiden Jungen Haltung an und Turfahs Sohn begann zu sprechen. "Es ist uns eine Ehre, euch kennenzulernen, Altair Ibn La-Ahad, und eine noch größere mit euch ziehen zu dürfen!" Der Assassine bewegte sich nicht, fuhr lediglich fort die beiden eindringlich zu mustern. Waqqad trat von einem Bein auf das andere. Erst nach einiger Zeit erhob Altair seine Stimme.

"Bu bist Kadar al Sayr, nicht?" Der jüngere der beiden Schüler hob den Kopf und sah ihn an. "Ja. Mein Bruder hat mir viel von euch erzählt, Herr. Ich freue mich darauf von euch zu lernen!" Kadars Züge ähnelten Maliks Gesicht völlig und Altair konnte den selben ehrlichen Glanz in den Augen des Novizen sehen. Erneut reget sich Sorge in ihm. Lange schon war er alleine für seine Aufträge verantwortlich, zu gefährlich schien es ihm, einen Verbündeten zu haben. Andere machten Fehler und der Assassine war dafür bekannt, dass ihm selbst kaum solche unterliefen. Altair legte Wert darauf, dass das so blieb.

Diesesmal jedoch würde er sich der Aufgabe stellen müssen, daran hatte Al Mualim keinen Zweifel gelassen. Zeit, die beiden Novizen im Kampf zu testen, blieb ihm nicht, und so musste er sich darauf verlassen, dass die Ausbildung der beiden der seinen ebenbürdig gewesen war.

"Der Meister wünscht, dass ich euch beide leite und ich werde es tun, es gibt jedoch eine Sache, die wir klären sollten! Ich verlange absoluten Gehorsam! Dies wird keine kleine Übung, nicht eine jener scherzhaften Aufgaben, die ihr bisher erfüllt habt. Hier geht es um wichtige Dinge und ich kann es mir nicht leisten zu versagen, nur weil einer von euch aus der Reihe tanzt!" "Gewiss, Herr!" unterbach Waqqad Altairs Worte. Der Assassine hielt ein, wandte sich dem Schüler zu und wurde auf eine gefährliche Art leiser. "Habe ich dich aufgefordert zu sprechen?" knurrte er in das Gesicht des Jungen. "N...Nein!" stammelte dieser zurück. "Dann schweigt!"

Kadar beobachtete den Mann, der für viele Neuankömmmlinge in Maysaf eine Legende war. Auch er selbst hatte stets mit zweifelnden Staunen zu Altair aufgesehen, hatte jedoch nie den Argwohn der anderen, älteren Schüler ihm gegenüber geteilt, wusste er doch aus Erzählungen seines Bruders, dass der Meisterassassine seine Stellung mit vollem Recht erlangt hatte.

Hinter Altairs feindesligem Verhalten stand laut Malik eine große Persönlichkeit, deren Freundschaft ebenso tief sein konnte wie ihr Hass. Kadar war von klein an mit den Werten und Regeln der Assassinen vertraut geworden, er besaß Mut und Treue dem Orden gegenüber und verehrte seinen älteren Bruder. Diesem Umstand war es zu verdanken, dass er nun, als er Altair das erste Mal gegenüber stand, trotz der Antipathie, die er sofort empfand, bereit war den Worten Maliks Glauben zu schenken.

"Der Meister hat uns einen wichtigen Auftrag erteilt! Die Templer haben einen Schatz entdeckt, den er sein Eigen zu nennen wünscht, und wir werden ihm dazu verhelfen. Gleichwohl wird es meine Aufgabe sein, einen von ihnen zu eliminieren, dessen Machenschaften uns schon lange in unserem Wirken behindern. Geht jetzt und bereitet euch vor, wir werden noch vor Sonnenuntergang reiten!" war Altair inzwischen fortgefahren. Ohne auf eine Antwort zu warten ließ er die Novizen zurück.

Waqqad löste sich erleichtert aus seiner steifen Haltung. "Und, was denkst du?" richtete er sich an seinen Freund, der immer noch gespannt auf seinem Platze stand und dem Assassinen mit den Augen folgte. Zögernd begann Kadar zu sprechen. "Ich weiß nicht was ich denke. Auf jeden Fall wird das keine einfache Sache!" "Aber es wird etwas Großes für uns! Wir begleiten Altair Ibn La-Ahad, dass hat noch kein Schüler vor uns getan, und auch wenn er nicht gerade freundlich ist, es ist schon ein Zeichen, dass er uns überhaupt akzeptiert!" Einen Moment lang genoß Turfahs' Sohn den Gedanken an seinen stolzen Vater, der ihm große Belohnungen versprochen hatte, während Kadar sein grinsendes Gesicht studierte. "Er ist ein Mensch, Waqqad, nicht mehr und nicht weniger, und leider kann ich nicht umhin zu fühlen, dass er kein sonderlich guter ist!"

Shaitan war von der Anwesenheit der anderen Pferde ebenso wenig begeistert wie Altair von ihren Reitern und brachte seinen Unmut mit besonders bockigem Verhalten zum Ausdruck. Nervös wiehernd tänzelte er beinahe auf der Stelle, als sie langsam die Festung verließen. Mit Ehrfurcht beobachtete Waqqad, wie die starken Muskeln des Hengstes unter dem glänzenden Fell zuckten und er unwillig den Kopf in die Höhe warf, als Altair ihn zügelte. Dieses Pferd war ebenso berüchtigt wie sein Reiter. Korkut Umat hatte einmal sogar behauptet, Shaitan wäre, sofern er ein Mensch gewesen wäre, der bessere Assassine von den beiden.

Für Altair war es niemals notwendig, sein Pferd an einen Pfahl zu binden, er ließ den Hengst einfach an einer bestimmten Stelle zurück und das es versank in einer derart unauffälligen Haltung, dass die Meisten es einfach übersahen. Gleichzeitig konnte Shaitan innerhalb von Sekunden zu einem rasenden Kämpfer werden. Für die Schüler war es ein Schauspiel gewesen, Altair Ibn La-Ahad und sein Teufelstier einmal bei Übungen im Hof der Burg beobachten zu können.

Wie ein schwarz-weisser Schemen waren die beiden quer über den Innenhof auf eine Wand zu gejagt, und alle hatten den Atem angehalten, als Shaitan wenige Meter vor ihr steil in die Höhe stieg und sich herumwarf, während Altairs Schwert den Kopf einer Übungspuppe zerfetzte. Es schien beinahe, als würde der Hengst genau wissen, was sein Herr zu tun plante und ihn völlig selbstständig in die perfekte Position bringen.

Im Moment boten die beiden wieder ein völlig anderes Bild. Immer einige Meter von den anderen entfernt kämpften Pferd und Reiter still in einem kraftvollen Spiel um Macht. Shaitan bog seinen Kopf und kaute verbissen auf der Trense, die Ohren flogen wild umher, als er mit kleinen Sprüngen seiner Hinterbeine andeutete, dass er notfalls auch buckeln konnte. Altair wirkte ruhig und unangestrengt, doch die Knöchel seiner Finger, die streng um die Zügel geschlossen waren, traten weiß hervor.

Waqqad war nicht fähig, seine Augen von ihnen zu wenden, bis sie die Stadt verlassen hatten und auf die Grenze Maysafs zuhielten. Kadar hatte das Schauspiel ebenso beobachtet und senkte den Kopf, damit Altair seinem Lächeln nicht gewahr wurde, als er sprach. "So geht das nicht. Ihr reitet zu den Grenzsteinen, ich werde euch dort erwarten. Dieser Irre hier muss laufen!" beschloss der Assassine, als Shaitan unter ihm zu steigen begann. So wie die Hufe des Hengstes wieder den Boden berührten, schoss er los und ließ die beiden Schüler in einer Staubwolke zurück.

Altair war seinem Pferd dankbar für einige Momente der Einsamkeit. Wind strich an ihm vorbei und zerrte an seinen Kleidern, als sie über die staubige Straße flogen. Das Gefühl ließ ihn klar werden und einen nachdenklichen Blick auf sein Ziel werfen. Al Mualim hatte, bevor er Altair endgültig entließ, klargestellt, dass die absolute Priorität des Auftrages dem Schatz galt. Sollte es sich dabei ergeben, de Sable zu erledigen, war es wünschenswert, jedoch nicht zwingend notwendig. Dem Assassinen gefiel diese Wendung nicht, er hatte sich bereits darauf eingestellt, den Templer endgütlig zu vernichten und würde eine Gelegenheit dazu schaffen, wenn sich keine bot.

Nicht weit vor ihnen erschien die Bergenge von Maysaf in ihrem Sichtfeld und Altair begann sanft, Shaitans Geschwindigkeit zu drosseln. Die ersten Explosionen des Ärgers hatte der Hengst im rasenden Gallopp hinter sich gelassen und er reagierte nun bereitwilliger auf die Befehle.

Als Kadar und Waqqad sie erreichten, schienen die beiden ebenso entspannt wie nach einem langen Schlaf.

Gemeinsam setzten sie den Weg fort und passierten die Grenze Maysafs, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne blutrote Schlieren auf die in den großen Monolithen eingeritzten Assassinenzeichen warf.

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* aus Sunzi - Die Kunst des Krieges