9. Wilde Nächte

Ein seltsames Leuchten lag an diesem Abend über den Hügeln der heiligen Stadt Jerusalem. Träge stand Acerbus in den letzten Strahlen der Sonne und wartete auf seine Ablöse. Die Wache außerhalb der Stadt mochte früher besonders abenteuerlich für ihn gewirkt haben, im Moment jedoch, da keine größere Bedrohung zu erwarten war, langweilte ihn seine Tätigkeit. Dennoch rief er sich zur Pflicht und beobachtete die leere Straße mit zusammengekniffenen, dunklen Augen. In Zeiten wie diesen musste man wachsam sein. Einige Frauen mit Wasserkrügen mühten sich der Stadt entgegen, ein alter Bettler lagerte am Wegesrand, irgendwo hörte Acerbus einen Vogel kreischen. Nichts Aufregendes.

Der Kreuzfahrer veränderte seinen Stand und belastete nun den anderen Fuß. Zu Hause in Rom war das Leben ebenso farblos, doch einfach angenehmer gewesen. Der feine Sand, den Jerusalem auf der Kleidung, in den Haaren und auch auf dem Gemüt hinterließ, war Acerbus zutiefst zuwider geworden, doch ein Ende seines Aufenhalts war so schnell nicht in Sicht.

Nach Nur ad-Dins Tod hatten viele auf einen Zerfall des Sarazenenreiches gehofft, aber mit Saladin war ihm ein weiterer Tyrann gefolgt, der um einiges erfolgreicher gegen die Kreuzfahrer kämpfte, als sein Vorgänger. Gerade erst war Aleppo an den islamischen Herscher gefallen, ein Angriff auf Jerusalem schien nur noch eine Frage der Zeit.

Acerbus schob Gedanken an aufeinanderprallende Schwerter und Schreie sterbender Kameraden von sich. Die große Kampf um Jerusalem war schon beinahe siebzig Jahre vorüber, als er in die heilige Stadt zog, doch auf dem Weg hierher waren er und seine Mitstreiter immer wieder in Auseinandersetzungen mit dem barbarischen Volk dieses wilden, fremden Landes geraten. Acerbus hielt nichts vom Islam und noch weniger von jenen, die ihn befolgten, auch wenn er Großteils von diesen Menschen umgeben war. Er empfand Abscheu für ihre Rituale und gottlose Lebensart, aber Acerbus hatte sich entschieden, es zu ignorieren, so lange die islamischen Frauen sich seinem Willen beugen ließen. Das Leben hier mochte hart sein, aber der Kreuzfahrer hatte gelernt, es zu genießen.

 

Gähnend versuchte er die Zeit abzuschätzen, in der er endlich Feierabend machen konnte, als ihn eine plötzliche Bewegung stutzig werden ließ. Direkt vor ihm, beinahe schon an ihm vorüber, ritten zwei Mönche die Straße entlang. Acerbus hatte sie nicht kommen sehen und war von ihrem Auftauchen so überrascht, dass er beschloss, genauer hinzusehen.

Beide Männer hatten die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und ließen die Zügel der Pferde lose an deren Hälsen baumeln, die Hände zu einem stillen Gebet verschränkt. Beinahe täglich kamen hier Pilger durch und alle sahen sie gleich aus, ihre Köpfe demütig vor dem Anblick der Stadt gesenkt, doch diese beiden waren irgendwie anders. Noch bevor der Wächter sich klar werden konnte, was ihm nicht an den beiden gefiel, waren sie auch wieder hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Acerbus schüttelte verwundert den Kopf, verlagerte sein Gewicht erneut und begann wieder damit Sekunden zu zählen.

 

In den Jahren in Maysaf hatte Amir viel über Tarnung gelernt, das Schleichen perfektioniert und konnte ungesehen in der Menge der Schüler untertauchen. Langsam auf die Tore Jerusalems zuzureiten und bei dem Anblick unzähliger Wachen mit großen Schwertern nicht nervös zu werden, war jedoch eine gänzlich neue Erfahrung für ihn. Malik hatte ihn gewarnt ruhig zu bleiben, ihnen konnte nichts geschehen, solange sie sich völlig normal verhielten. Amir blieb nur zu hoffen, dass er genau das nicht verlernt hatte.

Nach dem mühsam langsamen Abstieg zur Stadt hatte sein Freund auf einen kleinen Stall nicht weit entfernt vom Haupttor Jerusalems zugehalten, hinter dem sich weitläufige Koppeln erstreckten. Dort angelangt schwang er sich aus dem Sattel und begrüßte einen kleinen, dicken Mann. Nachdem sie einige Worte gewechselt hatten, winkte Malik Amir auch abzusteigen und sie führten die Pferde ins Innere des Stalls. Der Besitzer desselben hörte auf den Namen Ismael, und hatte mit Malik bereits die eine oder andere wilde Nacht in Jerusalem verbracht, wie der Junge später erfuhr. Dass die gemeinsamen Schwierigkeiten der beiden wohl eher mit schönen Frauen und nicht mit ehrhaften Aufträgen zu tun hatte, ahnte Amir bereits.

"Ich werde wie immer gut für eure Tiere sorgen, mein Freund." versicherte Ismael dem Assassinen. Malik wusste um Shaitans Eigenarten und brachte sie zur Sprache, bevor Amir sich einschalten konnte. "Nun, das wird diesmal etwas schwieriger werden. Dieser Prachtkerl da," er wies auf den Hengst mit der ungewöhnlichen Farbgebung, "ist sehr anspruchsvoll, was seine Behausung und seinen Umgang angeht. Ich rate euch, ihm nicht zu nahe zu kommen, wenn euch eure Unversehrtheit wichtig ist!" Ismael war Maliks Deuten gefolgt und betrachtete Shaitan mit gierigen Augen. Was mochte so ein prachtvolles Tier wert sein? Sein seltsamer Besucher war bisher immer alleine zu ihm gekommen und hatte ihm die Pflege seines Pferdes aufgetragen, diesmal erschien er jedoch mit einem weiteren, ebenso rätselhaften Mann. Ismael lebte lange genug in Jerusalem, um zu wissen das es besser für seinen ruhigen Schlaf war, sich weder nach dem Namen des Pferdes noch seines Reiters zu erkundigen. Als er es bei jenem Mann, mit dem er ab und an in kleinen Spelunken gemeinsam trank, versucht hatte, war er beinahe zwei Monate des Nachts wach gelegen. Herren wie diese fragte man nicht nach solchen Dingen, man ging ihnen ganz einfach hilfreich zur Hand und wurde dafür ausreichend belohnt.

Malik sah zu, dass Amir Shaitan schnell in die hinterste Box brachte und übergab Ismael sein eigenes Pferd, nicht ohne einige Münzen in die Hand des Stallbesitzers gleiten zu lassen. Zufrieden nickte der Dicke ihm zu und machte sich daran, seinen Sold zu verdienen.

 

Die Sonne war nun beinahe untergegangen, doch Malik zeigte keine nennenswerten Anstalten, Jerusalem zu betreten. Sie hatten sich auf einer Bank unweit des Tores niedergelassen und warteten. Immer wieder hatten auch andere Leute bei ihnen Platz genommen und ein Gespräch unmöglich gemacht, doch langsam strömten die Bewohner der Stadt wieder in ihre sicheren Mauern, um die Nachtruhe vorzubereiten. Amir klopfte mit den Fingern auf seinen Schenkel, während sein Freund die Ellbogen auf die Knie gestützt vorgebeugt da saß und den Kopf gesenkt hielt.

"Könntest du damit aufhören, Amir?" Der Junge hielt nur kurz ein und wechselte den Takt, in dem er seine Finger auf das unter der Robe liegende Schwert schlug. Malik seufzte leise und richtete sich auf. Es wurde dringend Zeit, dass sie endlich wieder ein wenig Abstand zu einander bekamen, Amirs Launen gingen ihm langsam aber sich auf die Nerven.

"Wenn wir in der Stadt sind, sollten wir uns für heute trennen. Es gibt vieles, dass ich erledigen muss und du solltest dich erst einmal ausruhen. Morgen habe ich Aufträge für dich." Amir trommelte stärker. "WENN wir jemals in der Stadt sind, mein Freund. Wie lange gedenkst du hier noch zu sitzen?" Langsam begann der Strom der Menschen in der aufkommenden Dämmerung abzunehmen, eine Gruppe Mönche schien wie das Ende ihrer Schlange, als sie würdevoll auf die Stadttore zuschritten. Malik lächelte in sich hinein. Darauf hatte er gewartet. Er löste sich mit einer derart schnellen Bewegung von der Bank und ging auf die Mönche zu, das Amir Schwierigkeiten hatte zu folgen. Hinter den Geistlichen angekommen, senkte Malik sofort den Kopf und brachte seine Hände in die betende Position, die schon die Wächter auf dem Weg hierher getäuscht hatte. Amir erreichte ihn wenige Meter vor den Stadtwachen und tat es ihm sofort gleich. "Elendiger Mistkerl!" raunte er Malik zu. "Ungeduldiges Kind!" gab dieser zurück.

 

Jerusalem war nicht mit Akkon zu vergleichen. In Amirs Heimatstadt hatte die Luft eine Brise Freiheit in sich getragen, die vom offenen Meer aus über die Mauern wehte. Hier war schien sie muffig und alt, verbraucht von den vielen Menschen, die sich durch die Straßen bewegten. Die heilige Stadt wirkte auf Amir wie ein Stück getrocknetes Fleisch: zäh konserviert in ihrer eigenen Vergangenheit.

Die Kreuzfahrer waren überall zugegen, ihre Fahnen hingen bewegungslos in der windstillen Abendruhe, zwischen ihnen Bogenschützen, bereit in die Menge zu schießen, sollte sich ein Tumult ergeben.

Die beiden Assassinen hatten die Tore der Stadt ohne Probleme hinter sich gebracht und befanden sich nun auf dem Weg zu Maliks zukünftigen Büro. Zwar kamen sie immer noch nicht viel schneller voran, aber Amir stellte zufrieden fest, dass er hier wieder normal gehen konnte ohne wie ein Betender auszusehen. Hie und da schlossen Händler noch ihre Stände, Männer mit Kisten und Frauen mit Wasserkrügen eilten die Gassen entlang, dazwischen Hunde, Kinder, Mäuse, Hühner.

Malik schritt zielsicher voran und Amir bemühte sich, ihn nicht in dem Treiben zu verlieren. Eine Bettlerin tauchte wie aus dem Nichts vor ihm auf und stoppte seinen schnellen Gang. "Bitte Herr, ich habe solchen Hunger, gebt mir ein paar Taler!" Verächtlich schob Amir sie beiseite und ging weiter. Gesindel und Dreck, das schien alles zu sein, was Jerusalem zu bieten hatte.

Malik hatte angehalten und auf ihn gewartet. "Erst kann es dir nicht schnell genug gehen und jetzt trödelst du herum. Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit!" "Dann bring uns endlich hin, verdammt. Mir gefällts hier ohnehin nicht!" "Wir sind schon da." gab Malik trocken zurück. Amir sah an dem Haus empor, dass sie erreicht hatten. Es schien eine einfache Lagerhalle zu sein und sah ein wenig schäbig aus. "Sind wir nicht auf der falschen Seite?" fragte er zweifelnd. "Wie kommst du darauf?" "Ich sehe keine Tür!"

Diesmal war Maliks Grinsen ernsthaft gequält. "Wir sind Assassinen, Amir, wir brauchen keine Türen. Fang jetzt an zu klettern!"

 

Was außen schlicht und heruntergekommen wirkte, entpuppte sich innen als doch recht würdevolle Behausung. Das Büro besaß nur 3 Räume und wie Amir erfuhr sehr wohl eine Tür, die allerdings kaum benutzt wurde. Er und Malik waren über das Dach ins Innere gelangt und kletterten gerade einen großen, in die Wand eingelassenen Springbrunnen herunter. Die Wände des großen Raumes waren edel verziert und auf dem dunklen Boden boten sich mehrere gemütliche Sitzgelegenheiten. "Na, was sagst du? Willkommen in meinem Reich!" gab Malik von sich, als er sich auf einen Polster fallen ließ.

"Ganz in Ordnung. Die Umgebung gefällt mir nur nicht." Amir setzte sich ebenfalls, lehnte es jedoch ab, dieselbe bequeme Haltung wie sein Freund einzunehmen. Malik streckte die Füße von sich, griff hinter einen nahstehenden Paravant und holte eine Wasserpfeife hervor. Gewissenhaft begann er sie zu stopfen.

"Wie lange gehört dir das schon? Ich dachte du hälst nichts davon, sesshaft zu werden? In deinen Briefen sprachst du von dem aufregenden Duft der weiten Welt." fuhr Amir, der das Rauchen gewöhnlich missbilligte, genervt fort. Der Ältere geruhte erst zu antworten, als er die Pfeife angezündet, sich stöhnend zurückgelegt, und kleine Kreise aus blauen Dunst ausgestoßen hatte. "Es ist ja auch so. Bisher war es mir lieber, ständig unterwegs und nirgends wirklichlich zu Hause zu sein. Ich habe dieses Gebäude zufällig erstanden, zu einem Spottpreis wohlgemerkt. Es war sozusagen eine Erbschaft." Malik bot Amir die Pfeife an, dieser lehnte mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. "Nein danke, dass Zeug stinkt wie der Teufel!" "Aber es entspannt ungemein!" gab Malik nicht ohne ein Augenzwinkern zurück. "Gut, die Lage hier ist vielleicht nicht sehr exklusiv, aber du wirst bald feststellen, dass das Armenviertel durchaus seine Vorteile hat. Die Leute erkundigen sich zum Beispiel nicht ständig beieinander nach dem Wohlergehen. Keine Ahnung, warum ich begonnen habe, mir hier ein kleines Heim einzurichten, ich schätze wohl ich hatte eine Vorahnung, dass ich eines Tages an Jerusalem gebunden sein würde." "Hm." brummte sein Freund schlicht. Das blubbernde Wasser war eine Weile lang des einzige Geräusch. Schließlich richtete sich Malik wieder auf.

"So, genug der Märchen, ich muss jetzt los. Es gibt da nur noch einen Punkt zu klären." Amir wusste, was kommen würde. Schon seit Maysaf wartete er darauf. "Du bist mir als Schüler zugewiesen worden und das bringt mich in eine missliche Lage. Als Lehrer muss ich dir den Befehl erteilen, hier auf mich zu warten, doch als Freund gebe ich dir freie Hand. Wem du folgst, bleibt dir selbst überlassen, bedenke nur, dass du sowohl den einen als auch den anderen verlieren kannst, wenn du mich in Schwierigkeiten bringst!"

 

Amir beschloss vorerst dem Lehrer zu folgen. In den folgenden Wochen hielt er sich akribisch an Maliks Anweisungen und gewann bald die Einsicht, dass er noch einiges von dem Älteren lernen konnte. Hatten sie sich zuerst nur gemeinsam in der Stadt bewegt, ließ Malik Amir langsam immer mehr Freiheiten, die er jedoch stets an Aufgaben band. Es war ihm wichtig, das der Junge konzentriert blieb und sich nicht zu sehr ablenken ließ. Natürlich wusste er immer und jederzeit, wo Amir sich aufhielt und was er tat, brachte es aber nicht übers Herz, dies offen zu legen. Er fürchtete um das Vertrauen zwischen ihnen.

Der Goßteil Amirs Aufgabe bestand darin, den ganzen Tag in der Stadt zu verbringen und den Verbindungsmann mit Informationen verschiedenster Art zu versorgen. Er nutzte dazu seine Fähigkeit, in einer Masse von Menschen zu versinken, seine Sinne schweifen zu lassen und Gespräche mit zu verfolgen. Auch hatte der Novize schon das ein oder andere Mal seine Fäuste sprechen lassen, um wichtigere Details zu erfahren, die er wie kleine Trophäen zu Malik brachte. Wenn er des Abends Zeit fand, übte er eifrig mit den Wurfmessern, die ihm sein Freund und Lehrer inzwischen gestatte. Alles in Amir brannte darauf, seinen ersten richtigen Auftrag zu erfüllen.

Vorerst gab er sich aber mit den Erfolgen des Tages zufrieden. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass Saladin im Norden seine Männer sammelte und die Kreuzritter in Aufruhr versetzte. Es wurde ernsthaft damit gerechnet, dass er gen Jerusalem zog und hektische Befehle wurden ausgesandt, um nach mehr Truppen zu verlangen. Amir war sich nicht sicher, ob er darin eine Bedrohung für sich und seinessgleichen sehen sollte, der Gedanke an Krieg erschien ihm jedoch recht ungemütlich.

 

Betont leise kletterte er in Maliks "Prunkzimmer" hinab. Zu dieser Stunde empfing der Verbindungsmann allerlei Menschen in dem Raum nebenan, der wie das Geschäft eines Waffenschleifers wirkte. Um dem Bild auch die richtige Konsistenz zu verleihen stand Malik tatsächlich Tag für Tag hinter dem Tresen und schärfte die Schwerter seiner Feinde ebenso wie die Messer und Werkzeuge des einfachen Volkes. Dabei gewährte er so manchem notleidenden Bürger eine Bitte und es schien, als wüssten die Menschen sehr genau, warum sie sich an ihn wandten. Wer Malik Al-Sayr zu Rate zog, erwartete eine schnelle, saubere und oft tödliche Lösung seines Problems.

 

Warum sein Freund kein Geld für derlei Dienste nahm, verstand Amir bis zu einer Begenbenheit vor wenigen Tagen nicht. Einige Kreuzfahrer waren im Geschäft aufgetaucht und ihren Mienen war die Suche nach Ärger anzusehen. Malik empfing sie wie jeden Kunden freundlich und dienstergeben, doch ihre lauten rauhen Stimmen hatten Amir geweckt, der eben in dem Zimmer, in dem er und Malik sich abends zur Entspannung aufhielten, geruht hatte. Durch ein kleines Loch in der Wand, dass er entdeckte, verfolgte Amir aufgeregt die folgenden Szenen.

"Seid mir gegrüßt, meine Herren! Gott sei mit euch!" wandte sich Malik an die Männer, so wie sie seinen Laden betreten hatten. Der älteste unter ihnen, der zugleich der Anführer zu sein schien, spuckte verächtlich zu Boden. "Gottloser Heide, erwähne nicht den Namen dessen, zu dem ich bete!" "Verzeiht," antwortete der Assassine mit unterwürfigem Tonfall, "mir lag nicht daran, euch aufzuregen. Ich orientiere mich nur selbstverständlich an den Wünschen und Gebräuchen meiner Kunden." "Deswegen sind wir hier. Einige Bauern haben gestern ein Wachhaus am Platz vor der Dormitio-Kirche angegriffen. Sie haben behauptet ihre Waffen von euch erhalten zu haben." Die Wächter begannen, sich im Raum aufzuteilen. Amir überlegte, ob er sich zeigen sollte, entschied sich aber dagegen, als die Tür des Ladens ein weiteres Mal geöffnet wurde.

Eine alte Frau trat ein, gefolgt von einem jungen Knaben und trug dabei eine große, schwere Sense mit sich. Ehrfurchtsvoll grüßte sie die Kreuzfahrer und wandte sich dem Assassinen zu. "Mein Herr, ich bitte euch, könnt ihr mir dieses Gerät schnell schleifen? Ich habe noch viel Arbeit vor mir und nicht viel Zeit! Ihr sollt auch entsprechend belohnt werden!" Maliks Gesicht war das eines Kaufmannes.

"Wie ihr seht," lässig legte er seine Arbeit zur Seite und nahm die Sense entgegen, "ist es nicht mein Geschäft Waffen zu verkaufen, ich schärfe sie lediglich." Ein quitschendes, nervtötendes Geräusch erklang, als die Schneide auf den Schleifstein traf, den Malik mit dem Fuß antrieb.

"Dann gebt ihr also zu, die Bauern bei ihrem Aufstand unterstützt zu haben?" Der Anführer war noch näher an die Theke getreten, seine Hand lag auf dem mächtigen Schwert. "Nein, mein Herr, verzeiht. In diesem Gewerbe ist es üblich, nicht nach den Vorhaben der Kunden zu fragen. Will ein Kräuterhändler wissen, ob das eben verkaufte Gift nicht Krankheiten heilen, sondern einen Menschen töten soll?" Gerade als Amir glaubte, die Spannung nicht mehr auszuhalten, antwortete der Kreuzfahrer. "Nein, gewiss nicht. Ihr habt also nichts von dem Plan der Leute gewusst, sagt ihr?" "Genau, mein Herr. Soll ich euch, um euch meine Loyalität zu beweisen, meine Dienste ohne Bezahlung anbieten? Ihr seht aus als könnten eure Waffen dies brauchen." Die alte Fau lachte leise und bewirkte damit Scham bei dem Wortführer der Wächter. "Mein Schwert ist ständig scharf, seit euch dessen sicher!" Damit wandte er sich um und nahm die anderen mit sich aus dem Gebäude. Malik reichte die Sense zurück an ihre Besitzerin. "Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen, seit euch meiner Dankbarkeit sicher!" sagte er zu ihr, die nur knapp nickte und mit ihrem Enkel ebenso schnell verschwand, wie sie gekommen war.

 

Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis Malik sein Geschäft schließen würde und so gestatte sich Amir, einfach faul zu sein. Er hatte die Gemütlichkeit dieser Behausung zu schätzen gelernt und seine Steifheit allmählich abgelegt. Die Nächte, die er und Malik hier verbrachten, waren voll von hitzigen Diskussionen, spannenden Partien Schach und Maliks schmutzigen Witzen, wenn er wieder einmal heftig der Pfeife zugesprochen hatte.

Amir begonn das Leben als Assassine zu genießen. Es schien ihm sorgenfrei, man hatte immer etwas zu tun und wurde so nicht durch Grübeleien oder mühselige Beziehungen aufgehalten. Man konnte ganz einfach tun was man wollte, solange man seinen Zoll erfüllte. Er war gerade dabei sich zu fragen, ob er nicht doch einmal die Wasserpfeife testen sollte, als Malik früher als gewohnt seine Arbeit beendete und zu ihm kam. Er war nicht allein.

Mit ihm betraten zwei junge Frauen den Raum. Sie mussten Bettlerinnen sein, ihre Kleidung war ausgefranst und die Haare klebten fettig in ihren dreckigen Gesichtern. Amir stand binnen Sekunden kerzengerade und blickte Malik fragend an. Der schien keine Notiz davon zu nehmen, sondern brachte die Frauen zu der hinteren Tür des Zimmers, dass in den einzigen weiteren Raum der Bleibe führte. In ihm pflegte Malik allerlei sonderbare Dinge aufzubewahren, trotzdem überraschte es Amir, als er sagte: "Geht hier hinein. Ihr werdet Wasser und frische Kleidung in der großen Kiste unter dem Fenster finden!". Kaum hatten die Beiden den Raum verlassen, wuchs Amir direkt neben Malik ausdem Boden. "Was hat das denn zu bedeuten?" "Reg dich nicht auf, ich erfülle nur die kleine Bitte eines armen Mannes." erwiderte sein Freund schlicht. "Und worin besteht sie genau?" "Der Mann kam vorhin zu mir. Die Kreuzfahrer haben seinen Hof im Dorf vor Jerusalem aufgesucht und alles zerstört. Sie haben seine Frau mitgenommen und gelobten wieder zu erscheinen und sich auch die Töchter zu holen. Er bat mich sie zu mir zu nehmen und zu schützen."

Der Novize konnte ein böses Lachen nicht unterdrücken. "Und du hast völlig uneigennützig und aus reinem Mitleid zugestimmt, hab ich recht? Komm schon Malik, du kannst doch an keiner Frau vorbeigehen, die dich nur ansieht. Denkst du wirklich es ist eine gute Idee, gleich zwei von ihnen bei dir wohnen zu lassen? Was sie hier erwartet ist doch nicht viel besser als das, was die Kreuzfahrer mit ihnen vorhaben!" "Du kränkst mich, mein Freund!" schnappte Malik beleidigt. "Nicht ich war es, der seine erste Nacht mit einer Hure verbrachte!"

Amir wandte sich ab und schickte sich an, das Haus durch das Dach zu verlassen. Malik hielt ihn zurück. "Verdammt, Mann, krieg dich wieder ein! Es war nicht so gemeint. Setz dich und lass es mir dir erklären!" Hätte er Amir befohlen zu bleiben, wäre der Junge gegangen. Die freundschaftlichen Worte ließen ihn sich jedoch beruhigen. Er sprang von der Wand herab, rollte sich am Boden ab und saß bald darauf direkt neben Malik.

"Also, was steckt dahinter?" Amir war unerbittlich. "Nun ja, mehrere Dinge. Einerseits gibt es da verschiedene Tätigkeiten, bei denen du zu wünschen übrig lässt. Versteh mich nicht falsch, aber Sauberkeit ist nicht deine Stärke. Andererseits finde ich deine Gesellschaft natürlich durchaus angenehm und interessant, bis jetzt aber hege ich keine Lust dich zu küssen." "Idiot!" fauchte Amir. Malik grinste anzüglich. "Ach komm schon, ich bin erwachsen, du bist es fast, es gibt keinen Grund, sich mit moralischen Plänkeleien aufzuhalten. Ich habe schlicht und einfach wieder einmal Lust, eine Frau in den Armen zu haben." "Und was wenn die Frau es nicht will?" Maliks Hand kam auf Amirs Schulter zu liegen, als er versuchte, vor Lachen nicht zu ersticken. "Sie wird es wollen, glaube mir! Sieh zu und lerne!"

 

Wahrlich, Amir war erstaunt über seinen Freund. Nach den Schilderungen in den Briefen hatte er erwartet, Malik noch am selben Abend mit einem der beiden Mädchen vertraut werden zu sehen, doch der Assassine übte sich in der Kunst des Umwerbens. Jadwa und Johara sahen bedeutend besser aus, als sie in feine Kleidung gehüllt und gesäubert zu ihnen zurückkehrten. Während des ganzen Abends wartete Amir darauf, dass Malik mit Annäherungen begann.

Stattdessen holte der Freund eine Flasche Wein aus dem Lager und belustigte die jungen Frauen mit spannenden Geschichten, von denen die Hälfte niemals passiert waren. Die Wasserpfeife blubberte unaufhörlich und der Mond stand weit über dem Zenit des Himmels, als sie sich endlich zur Ruhe begaben. Malik hatte den Mädchen eine Schlafstätte auf der anderen Seite des Raumes eingerichtet, weiter weg von der, auf der Amir und er selbst ruhten. Es schien als würde er ganz in der Rolle des großen Retters aufgehen. Als sie sicher sein konnten, dass die beiden tief schliefen, wagte Amir es erst, seinen Freund anzusprechen. "Du bist ein Heuchler ohne Gleichen, Malik Al-Sayr! Wer hätte gedacht, dass du dich im Staub wälzt wie ein räudiger Hund, wenn er den Geruch eines läufigen Weibchens aufnimmt!" "Nun, immerhin scheint mir das besser als in deinem Alter schon wie ein verdrießlicher Greis zu wirken!" Beleidigt drehte Amir sich auf die andere Seite. "Steter Tropfen hüllt den Stein Amir. Und aufrichtige, geduldige Zuwendung lässt jede Rose irgendwann erblühen!"

 

Sanftes Summen weckte den Novizen am nächsten Morgen. Er blieb vorsichtshalber noch ein wenig mit geschlossenen Augen liegen, und erkundete seine Umgebung mit den Ohren. Erleichtert stellte er fest, keine Geräusche großer körperlicher Anstrengung zu vernehmen. Johara saß an einem großen runden Spiegel, der and er Wand gegenüber des Springbrunnens hing. Ein Lied auf den Lippen strich sie mit einer Bürste durch ihre nassen, glatten Haare. Von Malilk und Jadwa war keine Spur zu sehen. Leise erhob sich Amir und schlich auf das Mädchen zu. Erst im letzten Moment trat er in ihr Sichtfeld und sie erschrack. "Bei Allah!" entfuhr es ihr als sie herumwirbelte und ihre Hände hob, wie um ihn abzuwehren. Amir bewegte sich nicht und bemühte sich, nicht allzu harsch zu sein. "Wo ist mein Freund? Und wo deine Schwester?" Johara hatte den Jungen Mann erkannt und beruhigte sich wieder. Singend fuhr sie fort, ihre Haare zu kämmen.

"Guten Morgen, Herr! Euer Freund Malik ist mit Jadwa in die Stadt gegangen, um Besorgungen zu machen. Er erwähnte, dass er nicht recht wüsste, was Frauen so in einem Haushalt benötigen und bat sie, ihm eine Hilfe zu sein." "Geduldige, aufrichtige Zuwendung!" fuhr es Amir in den Sinn. Das war es also, was Malik darunter verstand, er spielte den Ehrenmann. "Er hat eine Nachricht für euch hinterlassen. Sie liegt im Laden, hinter der Theke." Amir ging in den Nebenraum und fand ein gelbliches Stück Pergament. Maliks gestochen scharfe Handschrift bildete einige Zeilen darauf.

 

"Mein Freund,

es sind unruhige Zeiten und die Neuigkeiten, die du mir gestern überbracht hast versetzen das Land in Aufruhr. Ich zweilfe nicht daran, bald von Al-Mualim zu hören und muss einige Geschäfte in die Wege leiten. Dich bitte ich, die Stellung zu wahren und auf Johara acht zu geben, bis ich wieder zurückbin. Und keine dreckigen, Tricks, mein Schüler! Sei ein bischen freundlich!"

 

"Was meint er damit?" fragte das Mädchen plötzlich hinter Amir. Er fuhr herum und funkelte sie an. "Hälst du es für angebracht, die Botschaften Fremder einfach so zu lesen?" Johara sah ihn verwundert zurück. "Du hast nicht befohlen alleine zu bleiben. Ich dachte du möchtest, dass ich dir folge?!" Der Junge schüttelte den Kopf. "Weibsbilder, wenn man euch nicht ausdrücklich sagt, was man will, versteht ihr rein gar nichts!" Er ließ sie stehen und ging wieder in den größeren Raum zurück, wo er ein Buch aus einem der verschnörkelten Regale zog.

Malik hatte es sicher wieder als Übung für Armirs Geduld angesehen, den Jungen mit dem Auftrag auf das Mädchen zu achten zu beglücken, und dieser gedachte seinem Freund ein für alle Mal zu beweisen, dass er sich nicht mehr so leicht aus der Reserve locken ließ.

Johara war ihm gefolgt, ließ sich in seiner Nähe wieder und begann erneut zu Summen, während ihre Finger über eine Stickerei flogen. "Wo zum Henker hat sie hier Garn gefunden?" dachte er bei sich. Es verging nicht lange und die lebhafte Melodie, die von ihren Lippen klang, begann ihn zu reizen. "Verrichte deine Arbeit ruhig, Weib. Ich brauche Stille um zu denken!" "Mannsbilder, wenn ihr in Gesellschaft seit, ist es euch nicht möglich eure Gehirne zu benutzen." antwortete das Mädchen schlicht. Amir biss sich auf die Lippen und verschluckte eine bissige Reaktion. Dies mochte ein Test seines Lehrers sein, also würde er keine Fehler begehen.

Seine Regungslosigkeit hielt lange an und er gab vor, tief ins Lesen versunken zu sein, während er sie verstohlen betrachtete. Gut, sie sah um einiges besser aus als am Tag zuvor. Aber hatte sie ein Kleid gewählt, das Amir völlig unpassend für so eine junge Frau schien, da es ihre feinen Schultern und ihren langen Hals frei zum besten gab, was Erinnerungen an Laziz weckte. Trotzdem wollte kein wirkliches Gefühl bei ihm aufkommen, wenn er sie so ansah.

Entgegen seiner Bemühungen war Johara seiner Beobachtung gewahr geworden. Sie hob den Kopf, lächelte ihm schüchtern zu und fuhr beiläufig mit ihrer Arbeit fort, als sie ihn erneut ansprach. "Ihr habt uns gestern nicht euren Namen verraten, Herr. Wie soll ich euch rufen?" Amir war die eifrige Röte in ihrem Gesicht nicht entgangen und er rief sich Maliks "Befehle" in Gedanken. Freundlich sollte er sein! Bitte, das konnte der Lehrer haben!

"Mein Name ist Amir Ibn La-Ahad aber ich würde es bevorzugen, wenn du beim bleibst!" ließ er sie mit der freundlichsten Stimme, die er aufbringen konnte, wissen. "Sehr wohl." Johara beugte ihr Haupt vor ihm. "Herr, ich habe eine Frage an euch, darf ich sie euch stellen?" Wütend klappte Amir das Buch zu, beherrschte sich jedoch immer noch in seinem Ausdruck. "Wenn es sich nicht verhindern lässt!" "Jadwa und ich sind vor den Kreuzrittern geflohen, die diese Stadt in ihrem eisigen Griff halten. Ich bewundere ihren Mut, jetzt schon das Haus zu verlassen, doch ich fürchte auch um sie. Sagt mir, wird euer Freund sie unbeschadet wieder zurückbringen?" "Unbeschadet vielleicht, rein äußerlich betrachtet!" fuhr es durch Amirs Kopf, laut sprach er eine andere Antwort: "Sei unbesorgt, Malik wird nicht zulassen, dass ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird." Johara atmete erleichtert auf. "Ich danke euch, Herr."

 

Den ganzen Tag über war es immer wieder zu kurzen Gesprächen zwischen ihnen gekommen, Amir jedoch hielt sich bewusst bedeckt und beantwortete viele der Fragen mit eben jenem Satz, den er selber so hasst: "Wenn die Zeit reif ist!"

Johara war ebenso naiv wie sie jung war, beinahe kindlich war ihr Gemüt. Sie erfreute sich an kleinen Dingen, beispielsweise als Malik und Jadwa ihr eine Blume mitbrachten, als sie wiederkehrten. Amir kam ihre ganze Art unbeholfen, aber ehrlich vor.

Ihre Schwester hingegen war völlig anders. Jadwa war schlau, sie hatte sehr schnell gemerkt, dass Malik ein Auge auf sie warf und auch ihr gefiel, was sie sah. Dennoch würde sie sich noch ein wenig zieren, denn ihr schmeichelte seine Art der Werbung. Nie hatte sie solche Kleider besessen, nie solche Nahrung gegessen und Malik legte es ihr wie selbstverständlich zu Füßen. Jadwa wusste, dass sie ihn nur noch mehr anspornte, wenn sie ihn ein wenig warten ließ.

 

Der Assassine hingegen war von seinem Vorhaben durch den Ausflug in Jerusalem abgelenkt worden. Kaum waren er und das Mädchen wieder in seinen Gemächern, bedeutete er Amir ihn in den Laden zu folgen und schloss sorgsam die Tür, während die Schwesters sich mit den erstandenen Kleinigkeiten amüsierten. Malik trat hinter den Tresen, zog einige Kerzen hervor und legte ein Blatt daneben. "Die Stadt brodelt, mein Freund! Sieh dir das an!" Amir trat näher. Vor ihm lag eine kleine Landkarte, mit unsicheren Fingern gezeichnet, ein Kreuz makierte eine Stelle in den Bergen, die er nur all zu gut kannte. "Das ist Maysaf! Wo hast du das her?" Malik war besorgt, dass konnte sein Schüler deutlich spüren. "Ich habe es einem Geistlichen gestohlen, der damit auf dem Weg zu Amalrich war!"

Sofort erkannte Amir den Ernst der Lage. Dieser einfache Fetzen konnte die Bruderschaft gefährden. "Was werden wir tun?" Malik zuckte mit den Schulter. "Nichts, vorerst zumindestens. Al-Mualim wird davon erfahren und wir werden weiter wachsam sein, bis wir seine Befehle erhalten!" "Denkst du, dass wir in diesen Krieg hineingezogen werden könnten?" Malik nahm das Papier und zeriss es in kleine Fetzen. "Nein, ich denke, wir sind bereits mitten drin..."

 

Folgende Wochen bestanden aus stillem Abwarten und dem Zusammentragen jeglicher Information, derer die beiden Assassinen habhaft werden konnten. Andere Brüder, die sich zu dieser Zeit in der Stadt aufhielten, dienten als eine der Quellen, die sie zur Erleichterung der Arbeit heranzogen. Malik hatte sich von ihm getrennt und Amir gebeten, einen Bruder im Bügerviertel der Stadt aufzusuchen, der in einer kleinen Schenke Unterkunft bezogen hatte. Er war ein berühmter Mann in ihren Kreisen und hieß Turfah al Ashab. Der Meisterassassine zählte zu den erfahrsten und fähigsten Männern des Ordens und Amir fragte sich, ob er bei Turfah auf einen anderen Schüler treffen würde. Er hatte beinahe erwartet, ein bekanntes Gesicht vorzufinden und es überraschte ihn keines wegs, als er in dem jungen Geistlichen, der ihm ein "He, du da!" zuwarf, als er die Taverne betrat, Samut erkannte.

Betont langsam näherte Amir sich seinem Tisch und glitte mit geschmeidigen Bewegungen auf den Stuhl. "Friede sei mit dir, mein Bruder!" gab er monoton zur Begrüßung. Samut war weniger zurückhaltend. "Amir Ibn la-Ahad! Wer hätte das gedacht! Ich dachte du hängst immer noch in Maysaf an der Mauer! Was hat dich hier her geführt?" "Ich habe meine Integrität unter Beweis gestellt, Samut. Ich werde dich nicht meinen nächsten Richter sein lassen!" Samuts Gesicht wurde säuerlich. "Du bist immer noch hochmütig wie einst, Amir. Al-Mualim hätte dich härter bestrafen sollen!"

Amir war nicht gewillt einen Streit vom Zaun zu brechen, dafür schien ihm der andere Novize zu unbedeutend. "Lassen wir uns nicht von Spitzfindigkeiten aufhalten. Du hast von der Bedrohung gehört?" "Nun, es ist mir zu Ohren gekommen." "Was kann dein Lehrer dem meinem berichten?" Die Haltung Samuts wurde abweisend. "Kommt ganz darauf an, wer dich lehrt. Mich dünkt bei deiner Vergangenheit hat der Meister nur Assassinen unterer Ränge gefunden, die bereit waren, dich zu begleiten." Armirs Nasenlöcher zitterten vor Wut, ansonsten blieb er völlig ruhig. "Ich komme im Namen Malik al Sayrs, dem Verbindungsmann dieser Stadt. Wenn dir daran liegt sie morgen noch atmend zu verlassen, solltest du offen zu mir sprechen, mein BRUDER!"

Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht des anderen ab. "Malik al Sayr? Er hat sich dazu herabgelassen jemanden wie dich zu lehren? Ein schändlicher Abstieg. Aber gut, wenn er es ist, der sich schickt, will ich dir berichten. Turfah und ich sind im Norden gewesen, in Allepo. Salah ad Dhin sammelt seine Truppen, um den Kreuzfahrern das heilige Land zu entreißen. Unglücklicherweise scheint Balduin den Eindruck gewonnen zu haben, dass er sich mit unserem Orden verbündet hat. Er plant gen Maysaf zu ziehen und Saladin entgegenzu kommen. Eine Schlacht vor den Türen seiner Feinde ist ihm bedeutend lieber als ein Kampf in der eigenen Stadt."

Amir lauschte aufmerksam. "Wie habt ihr das erfahren?" Das Gespräch hielt kurz inne, als das Schankmädchen Samuts leeres Glas gegen ein volles tauschte und den neuen Gast fragend ansah. "Danke, ich trinke nicht." warf Amir ihr hastig zu, und sie entfernte sich. Der andere tat einen kräftigen Schluck und wischte sich den Mund ab. "Hat euch die Nacht in Maysaf vom Alkohol geläutert?" fragte er falsch. "Du spielst mit meiner Geduld, Samut, und mit deinem Leben!" "Schon gut. Mein Lehrer erfüllte einen bedeutenden Auftrag in Allepo. Er fand einen Spion Balduins unter Salad ad Dhins Männern und eliminierte ihn. Vorher sang der feige Vogel noch." "Du meinst Al-Mualim gab Turfah al Ashab den Befehl Saladin zu helfen?" Ungläubig blickte Amir seinem Gegenüber ins Gesicht. "Nein, er trug meinem Lehrer lediglich auf, wieder für Ausgewogenheit auf beiden Seiten zu sorgen!"

 

Malik hatte bereits auf dem Dach des Büros auf Amir gewartet, um Neuigkeiten auszutauschen. Sie stellten fest, dass sie die gleichen Informationen auf verschiedenen Wegen erfahren hatten und Malik hatte dabei eine Spur aus Tod hinterlassen. Wahnwitzig, wie er wahr, hatte er einen Weg in die Kirche gefunden, vor der es zu den Unruhen der Bauern kam. Dort hatte er das Glück des Narren und wurde Zeuge eines geheimen Treffens hochrangiger Templer, die über den Tod des Mannes in Allepo und den bevorstehenden Aufbruch nach Norden berieten. Auf dem Weg nach draußen war er unglücklicherweise von einem Geistlichen gesehen worden, der sofort erkannte, dass er keinen seiner Brüder vor sich sah, und umgehend Alarm schlug. Einige Wächter hatten ihr Leben lassen müssen, den Malik lag nichts daran sich mit einer großen Horde christlicher Schweinehunde, wie er die Templer zu bezeichnen pflegte, anzulegen.

Recht kurz sinnierten sie über die unergründlichen Reaktionen ihres Meisters auf die Situation und kamen zum Schluß, das Al-Mualim alleine wusste, wofür es gut war.

"Lass uns runtergehen. Ich freue mich schon auf den gemütlichen Teil des Tages!" beendete Malik die Grübeleien. Er kletterte behende durch die Dachöffnung und Amir folgte ihm etwas langsamer. Gemütlich...ja er musste zugeben, dass er die Gegenwart der Schwestern inzwischen angenehm fand. Sie übten sich in ihren täglichen Pflichten und sorgten stets dafür, dass Malik und Amir Essen und kühle Getränke vorfanden, wenn sie heim kehrten. Jadwa legte zusätzlich besonderen Wert darauf, dass die Pfeife ihres Beschützers immer frisch gefüllt griff bereit stand.

Maliks Annäherungen waren offener geworden und feurige Küsse in dem dunklen Ladenraum, wenn die anderen beiden schliefen, hatten ihre Beziehung zueinander gestärkt. Amir dagegen blieb in kühler Distanz zu Johara, er behandelte sie respektvoll, verlor aber nicht mehr Worte als er musste.

 

Heute hatte Jadwa einen neuen Plan entwickelt, um Malik endgütlig von sich zu betören. Gemeinsam schafften die Frauen die zwei Waschzobel, die Malik ihnen besorgt hatte, auf das die Schwestern an langen Tagen Zerstreuung in wohltuenden Bädern fanden, in getrennte Räume. "Amir wird das nicht gefallen, Jadwa. Ich glaube nicht, dass er darauf eingeht!" Die Ältere schüttete einen weiteren Kübel Wasser in den Zobel. "Wenn du dich da mal nicht irrst. Ich habe mich mit Malik unterhalten und er versprach, für euch zu sprechen. Genaugenommen wird Amir einem Befehl folgen." Johara streute Blüten in das klare Wasser und kontrollierte noch einmal ihr Aussehen. "Selbst dann wird er mir nicht derart zugetan sein, wie Malik dir." stellte sie bienahe traurig fest. Gütig nahm Jadwa sie in die Arme. "Warte nur ein wenig, meine Kleine, gib ihm etwas Zeit. Er scheint noch nicht viel Erfahrungen mit Mädchen zu haben." "Das sollte mich eigentlich beruhigen, oder?" Die Ältere nickte. "Tut es aber überhaupt nicht!"

 

Während Malik es mit Freuden aufnahm, so empfangen zu werden, wäre sein Schüler am liebsten sofort wieder verschwunden, doch Amir blieb, als er den Befehl dazu erhielt. "Die Kreuzritter sind auf der Jagd nach Assassinen, vielleicht solltest du deinen Schlaf doch hier suchen!" hatte Malik zuerst gesagt. Als Amir sich davon nicht aufhalten ließ, hatte er ein "Novize, es ist mein Wunsch!" hinzugesetzt, wofür der Junge ihm immer noch böse war. In der Nähe der beiden Frauen wollte er sich jedoch keine Blöße geben und gehorchte wortlos.

Sie hatten gegessen, während Jadwa ihnen ein Lied vorsang, dass von einer verlassenen Frau handelte, die ihren Retter fand. Entschieden zu kitschig für Amirs Gefühl. Sein Freund hingegen versicherte, dass nie eine lieblichere Stimme an sein Ohr gedrungen sei.

Zuerst hatte der Novize immer wieder beharrlich Maliks Angebot, die Pfeife zu rauchen, ausgeschlagen. Jetzt war ihm jedes Mittel recht, dass ihn benebelte, damit er wenigstens eine Ausrede hatte, wenn er früh zu Bett ging.

Leider hatte der beißende Rauch nicht ganz den gewünschten Effekt. Nach einigen Minuten des Hustens konnte Amir sich wieder aufrichten, nur um nach hinten zu fallen und sich schwebend zu fühlen. Was mochte Malik ihm da wohl gegeben haben? Es konnte nichts Gutes sein, wenn es ihn derart betäubte.

Mit der Zeit wurde das Gefühl angenehmer und Amir begann sich zu entspannen. Er fand sogar Gefallen an dem ein oder anderen Gesprächsthema und wirkte gelöst, bis Jadwa den zweiten Teil des Abends einläutete. Sie massierte Maliks Schultern kräftig und säuselte: "Ihr müsst Schmerzen haben, euer Nacken ist ganz hart. Würde es euch gefallen, ihn bei einem Bad zu entspannen?" Mehr Aufforderung brauchte der Assassine nicht, er erhob sich und ließ sich aus dem Raum ziehen.

Amir schickte ihm stille Flüche hinterher. Johara war ebenfalls aufgestanden und ließ einige Tropfen eines seltsamen Öls in Wasser fallen, das sofort einen angenehmen Duft verbreitete. Sie hoffte inständigst, dass er ihre Nervosität nicht sehen konnte, als sie ihn an der Hand nahm und ebenfalls auf die Beine zog. Die schnelle Bewegung ließ Amirs Kopf wieder kreisen und er konzentrierte sich darauf, stehen zu bleiben. So war es Johara ein leichtes, ihm seine Robe vom Körper zu streifen. "Was machst du da?" fragte Amir, der die Augen geschlossen hatte, um sich zu stabilisieren. Einige Sekunden vergingen, in denen ihre flinken Finger seinen Gürtel lösten und das Unterhemd über seinen Kopf näselten. "Ich entledige euch eurer Kleidung, damit ihr ein Bad nehmen könnt, Herr." antwortete das Mädchen simpel. "Aha. Ist gut." zu mehr war der Novize augenscheinlich derzeit nicht mehr imstande. Er wusste selbst nicht recht warum, aber es war ihm egal, ob sie ihn nackt sah. Vielleicht hatte das etwas mit den komischen Kräutern zu tun.

 

Amir konnte nicht umhin zu seufzen, als er langsam in das klare Wasser sank. Das war gut, fast zu gut. Er musste Herr seiner Sinne bleiben. Johara durchkreuzte den Plan völlig. Sie hatte sich ebenfalls ausgezogen und schickte sich an ins Wasser zu steigen. Der Junge fühlte die Zeit zu langsam, um Einwände zu erheben. Vorsichtig glitt Johara in das Nass und legte ihre schlanken Beine wie selbstverständlich auf die seinen.

Amir war bis zum Kinn ins Wasser gesunken und ließ seine Arme gemütlich über die Ränder des Zobels baumeln. Er wirkte unbeeindruckt, als er endlich etwas sagte. "Ich hatte angenommen, deine Religion verbietet es dir, dich einem Mann vor der Ehe so zu zeigen." Johara versuchte eine angenehmere Position zu finden und berührte dabei eine Stelle an Amirs Körper, von der sie ihre Hand so schnell zurückzog, als hätte sie sich verbrannt. Hastig antwortete sie: "Nun, ich muss sagen, Maliks Auffassung zu diesem Thema gefällt mir deutlich besser als die Predigten meines Vaters!" Immer wieder verfiel Amir dem Gefühl, auf einer weichen Wolke hinweggetragen zu werden und er musste sich bemühen, seine Augen offen zu halten. "Du meinst sein Gerede davon, dass man die Gelegenheit lieber heute am Schopf packen sollte, als morgen?" raunte er.

Johara bewegte sich schnell und unscheinbar. Sei schob sich den Rändern des hölzernen Bades entlang und saß kurz drauf neben ihm, ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Samtene Finger berührten die seinen, rauhen. "Nein, ich meine die Sache mit der Wahrheit und den Regeln." Der Rausch siegte wieder über Amirs Bewusstsein und er wisperte nur mehr mit geschlossenen Augen vor sich hin. "Versteh ich nicht." Zart streichelte Johara seine Stirn. "Nun, Amir Ibn La-Ahad, dass du mich nicht liebst, ist eine Wahrheit. Das ich dich trotz allem begehre, ist mir erlaubt."

 

Süß, so süß war das Erwachen in ihren Armen. Die Nebel des Schlafs hoben sich unendlich langsam, aber Amir genoß jede Sekunde. Er hatte sich im Traum zur Seite gedreht und Johara lag an seinen Rücken gepresst, die Arme um seinen Körper geschlungen. Lieblich duftende Haut schmiegte sich weich an die seine. Am liebsten wäre er wieder eingeschlafen, ein leises Hüsteln holte ihn jedoch zurück.

Malik saß grinsend einige Meter entfernt, Jadwas Kopf auf seinem Oberschenkel. Das Mädchen schlief ebenso fest wie ihre Schwester.

"Na, sind wir neu geboren?" sprach der Ältere mit gesenkter Stimme, um sie nicht zu wecken. Vorsichtig löste sich Amir aus Joharas Umarmung und setzte sich auf, indem er seine Glieder streckte. "Du wusstest davon, hab ich recht?"

In der Stimme des Schülers lag kein Vorwurf und Malik war froh, dass Amir sich nicht erneut mit ihm anlegte. "Sagen wir ich hatte so etwas Ähnliches geahnt. Selbst du abscheulicher Egozentriker musst gemerkt haben, wie sie dich ansah." "Leider ist sie nicht mein Typ." Malik wirkte überrascht. "Und du hast ihr dennoch beigewohnt? Was ist passiert, mein Novize, ist dir die Ehre plötzlich nicht mehr so wichtig?" Amir dachte gar nicht daran, seinen Freund mit Details zu versorgen. "Was gestern Nacht passiert ist, wirst du von mir sicher nicht erfahren," warf er Malik grinsend zu. "Ich an deiner Stelle wäre aber vorsichtig, nicht dass du zuletzt alleine da stehst, wenn mich die Damen verwöhnen." Zu schnell für eine Antwort begab er sich aus dem Zimmer.