4. Verwirktes Leben

4. Verwirktes Leben

Raoul streckte seine Arme weit nach hinten und ließ seine Wirbelsäule knacken. Der Wachdienst an der Grenze war alles andere als angenehm, hoch auf den schroffen Felsen über den Steinen, die den Eingang der Bergenge makierten, bot sich kaum Platz eine angenehme Haltung zu finden. Wenigstens war es möglich zu lesen, wenn man darüber nicht vergaß, den Horizont von Zeit zu Zeit zu beobachten. Raoul richtete sich auf, legte das Buch zur Seite und drehte sich in alle Richtungen. Gerade wollte er seinen Blick der Wüste zuwenden, als ihn von der gegenüberliegenden Seite der Schlucht eine Folge mehrerer heller Lichtreflexe erreichte. Die anderen hatten etwas bemerkt und gaben Bescheid, dass sich jemand der Grenze näherte. Seufzend nahm Raoul einen kleinen Spiegel zur Hand, richtete ihn auf die Sonne aus und gab die Nachricht weiter, bevor er an den Rand des Felsvorsprunges trat und suchend in die Wüste blickte.

Nicht mehr allzu weit entfernt schoss eine Staubwolke auf sie zu. Der Assassinenwächter zog seine Augen zu Schlitzen und hob eine Hand über sie, um das Blenden der Sonne zu verringern, trotzdem dauerte es eine Weile, bis er die glänzend weiße Mähne des Pferdes, dass tief unter ihnen dahinjagte, erkannte. Hektische Bewegung kam in ihn und hastig gab er neuerlich einige Blinkzeichen. Er musste sich beeilen schnell nach unten zu den Grenzsteinen zu gelangen, wenn er Altair stoppen wollte. Ganz Maysaf wartete auf seine Rückkehr und Raoul empfand große Freude dabei, den Assassinen als erster begrüßen zu können. Die Leitern unbeachtet lassend sprang er von Fels zu Fels, immer tiefer in die Schlucht hinab und landete gerade auf einem der beiden Monolithen, als Altair sie erreichte. Der Assassine stoppte sein Tier und warf Raoul einen wortlosen Gruß zu.

"Altair! Friede sei mit euch Bruder! Wo seit ihr so lange gewesen?" Erschrocken wurde der Wächter der dunklen Flecken Blut an der Robe des Ankömmlings sowie der Wunde an seinem Kopf gewahr. Bei Genauerer Betrachtung fiel ihm auf, dass Altair so gar nicht wie der stolze Assassine wirkte, der er sonst war. Sein normalerweise völlig unbewegtes Gesicht wirkte seltsam eingefallen und zuckte wie unter Schmerzen, die Augen hatten sich noch weiter in die Höhlen zurückgezogen und seine Stimme war brüchig und rau, als er antwortete: "Raoul, ich..brauche...Wasser...!" Noch bevor Altair aus dem Sattel kippen konnte, war der Wächter hinzugesprungen, half ihm, Shaitans Rücken zu verlassen und im Schatten der Grenzsteine Platz zu nehmen. Eilig löste Raoul seine Wasserflasche vom Gürtel und gab sie Altair. Als dieser sie gelehrt hatte, schien er sich augenblicklich ein wenig zu erholen.

"Bei Allah, mein Freund, was ist geschehen? Ihr seid verwundet, soll ich euch zu unserem Gelehrten bringen?" Raoul hatte seine Hand auf Altairs Schulter gesenkt, der unter dieser Berührung beinahe zusammenzuckte. Wortlos stand er schwankend wieder auf und hielt erneut auf Shaitan zu, der mit gesenktem Kopf und durchnässten Fell im Schatten stand.

Raoul hatte es in den vergangenen Jahren verstanden, Altair davon zu überzeugen, dass er ihm wohlgesonnen war, was bei weitem keine leichte Aufgabe darstellte. Innerhalb der Mauern Maysafs war er der einzige, von dem der Assassine Hilfe ohne Fragen erwarten konnte, diesesmal jedoch verlangte auch er zu wissen, was geschehen war, denn noch nie hatte er den großen Altair in solch einer Lage gesehen.

Shaitan prustete, als sein Reiter erneut auf seinem Rücken Platz nahm. "Es ist etwas schiefgelaufen, Raoul! Ich kann euch nicht mehr sagen, aber verstärkt die Grenzwachen und seid aufmerksam, ich fürchte ein Feind ist im Anmarsch!" "Ihr meint die Kreuzritter kommen HIER HER?" Ungläubig und mit Sorge betrachtete Raoul erneut Altairs Kopfwunde. Es musst ein derber Schlag gewesen sein...

"Mich verwundert es vielmehr, dass sie nicht schon da sind!" gab der Assassine als Antwort und trieb seinen Hengst weiter. Verwirrt blieb der Wächter mit all seinen Fragen allein zurück, starrte einige Minuten hinter dem schnell kleiner werdenden Schemen her und machte sich dann eiligst daran, die anderen von diesem Vorfall zu informieren.

Die Schatten des Burgtores wuchsen wie ein schicksalhaftes Zeichen aus dem Boden und warfen sich über sie, als Altair endlich die Festung erreichte. Wie gewöhnlich hinterließ ihr Anblick ein gespaltenes Gefühl in dem Assassinen. Ebenso, wie er Maysaf als seine Heimat anerkannte, verabscheute er die Enge des kleinen Reiches, in dem er seine Jugend zugebracht hatte. Zu verbunden mit den alten Tagen waren diese Mauern und sie verhinderten, dass er endlich alles vergessen konnte, was damals geschehen war. Es hatte den Assassinen viel Mühe gekostet, die Gedanken an sein altes Leben auszumerzen, doch wenn er hierher zurückkehrte stellte er immer wieder fest, dass seine Bestrebungen umsonst gewesen waren. Maysaf konservierte die Vergangenheit auf seine ganz eigene Art und Weise und warf sie ihm bösartig zwischen die Beine, sobald er die Grenzen des Reiches überschritt.

Shaitan schritt sofort auf einen Trog zu, senkte seinen Kopf zum kühlen Nass und soff mit langen, atemlosen Zügen, während sein Reiter sich zu Boden ließ.

Was jetzt kommen würde, war der absolute Tiefpunkt seiner Karriere und Altair versuchte sich seine Worte zurechtzulegen, während er seinen Weg fortsetzte. So sah er erst spät, dass unter dem Eingangsbogen Abaz, einer der höheren Assassinen, stand, der mit Argwohn die Szene verfolgte. Sein Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Grinsen, als er festellte, dass sein verhasster Gegner verletzt war.

Abaz war einst einer von jenen gewesen, die mit Altair die Ausbildung begannen und er hatte vom ersten Moment an eine besondere Obsession dafür entwickelt, den sonderbaren Jungen, den alle so hoch hielten, zu verachten. Für ihn war dieser Mann nicht mehr als ein aufgeblasener Gockel mit jeder Menge Glück und dem Kontakt zu den richtigen Leuten. Andere behaupteten, Abaz sei neidisch auf Altairs Erfolge, doch er selbst wies das mit Vehemenz zurück. Neid war zu gütig ausgedrückt, um seine Gefühle zu beschreiben, blanker Hass traf es schon eher. Dieser sprach auch aus seinen Worten, als er sie an den anderen Assassinen richtete.

"Altair! Ihr seid zurückgekehrt! Wo sind die Novizen? Ah, gewiss seid ihr vorgeritten, ich weiß doch, dass ihr euren Ruhm nicht gerne teilt!"

Altair spannte seinen Körper und versuchte, nicht zu hinken, als er an dem anderen vorüber schritt. Es war nicht ratsam, einem Mann wie Abaz Schwäche zu zeigen, denn er würde sie unweigerlich nutzen. Lange schon hegte Altair den Verdacht, dass der andere an bestimmten Vorgängen der Vergangenheit, die beinahe seinen Tod gefordert hatten, nicht unbeteiligt gewesen war. Beweise, die einen Kampf gerechtfertigt hätten, hatte er jedoch nie gefunden. So musste er sich darauf beschränken, Abaz ebensoviel Abneigung entgegen zu bringen wie dieser ihm selbst. "Seid vorsichtig mit dem, was ihr sagt, ich möchte euch dafür nicht töten müssen!" Trotz aller Anstrengungen gelang es nicht, völlig unversehrt auszusehen, was sein Gegenüber mit Befriedigung zur Kenntniss nahm. "Dafür wird sich uns später sicher noch eine Gelegenheit bieten, mein BRUDER! Nun aber solltet ihr zum Meister gehen, er kann es gar nicht erwarten, dass ihr endlich wieder seine Stiefel leckt!"

Gerne hätte Altair die Dummheit aus Abaz herausgeprügelt, verschob diesen Punkt angesichts der Lage aber auf später und beeilte sich, den Hof zu durchqueren.

Wie gewöhnlich hatten sich die Novizen hier versammelt, um ihre Kampfkunst zu trainieren, hielten aber ein, als sie seiner gewahr wurden. Stumme Blicke folgten ihm, jeder konnte sehen, dass hier etwas nicht richtig war. Der Assassine war mit zwei Schülern ausgezogen und kehrte nun alleine und verletzt zurück, was im Normalfall wohl kaum Aufsehen erregt hätte, schließlich war man es gewöhnt, dass die eine Auswahl derer traf, die sie überleben ließ. Aber dies war Altair, eine lebende Legende, und auch die älteren unter ihnen konnten sich nicht erinnern, dass er jemals in einem solchen Zustand Maysaf erreicht hatte. Dieser Mann galt als überirdisch, unverwundbar, und doch war er nun gezeichnet von seinen Verletzungen.

Al Mualim war nicht weniger erstaunt, als Altair endlich vor ihn trat. Bereits gestern hatte er seinen Schüler zurück erwartet und versuchten nun seine Ungeduld zu verbergen. Der Meister hatte gehofft, dass sein Untergebener mit der selben stolzen Haltung antreten und von seinem Erfolg berichten würde, die er immer zur Schau stellte, wenn er seine Aufträge abgeschlossen hatte. Altairs starr gegen den Boden gerichtete Augen jedoch ließen ihn ahnen, dass es keine erfreuliche Botschaft war, die er zu überbringen hatte.

"Altair! Friede sei mit euch! Ihr habt euch Zeit gelassen, ich hoffe es gab keine Unannehmlichkeiten!" Al Mualim richtete sich von seinem Tische auf und trat dem Assassinen gegenüber, der es nicht wagte, ihn anzusehen. "Ich sehe, dass ihr verwundet seid, mein Junge, das scheint mir so gar nicht üblich für euch..." Wiederwillig formten sich die Worte in Altairs Gedanken und er musste viel Kraft darin setzten, sie auszusprechen. "Mein Meister, die Mission....." Erwartungsvoll hob der Alte eine Braue. "Ja?" Altair gab auf eine geschickte Formulierung für das Geschehene zu finden. "Ich habe versagt."

Einige Sekunden war nicht mehr zu vernehmen, als sein rasselnder Atem. Al Mualim starrte fassungslos auf die gebrochene Gestalt seines Schülers. "Der Schatz?" fragte er aus trockener Kehle. "Verloren! Und Robert de Sable ist geflohen! Er wusste von unserem Kommen, hat uns erwartet. Es war eine Falle, mein Meister!"

Langsam ließ sich Al Mualim auf einen Stuhl sinken und stützte die Stirn in seine Hände. Das durfte nicht wahr sein! Endlich war er seinem Traum nahegekommen und nun war alles verloren? Umsonst die Jahre der Planung, umsonst all die Energie, die er in die Ausbildung dieses Mannes gesteckt hatte? Tiefe Enttäuschung durchdrang ihn und ließ ihn hitzig werden, er erhob seine Stimme deutlich, als er sich wieder an Altair richtete. "Und die Novizen? Wo sind sie?"

Unverwandt hob der Assassine den Kopf und Al Mualim wurde von der Gewissheit, die in seinen Augen lag, getroffen, noch bevor Altair antworten konnte. "Sie sind tot. De Sable hat uns getrennt, er ließ mich laufen um euch eine Botschaft zu übermitteln. Er wird gegen Maysaf ziehen und ich fürchte, er ist nicht mehr fern!" Mit einem lauten Scheppern zersprang ein Krug auf dem Steinboden, als Al Mualim ihn zu Boden wischte. Nicht länger umhüllte ihn eine Aura gütiger Autorität, vielmehr schien er rasend geworden zu sein, als er schrie: "Verdammt, Altair, von allen Aufträgen, die ich euch jemals erteilt habe, war dieser der einzig wichtige! Eurer Versagen ist nicht entschuldbar in diesem Belang, mehr noch, es wird ein Nachspiel haben! Ich habe mich in euch getäuscht, ihr....!" Al Mualim unterbrach sich, als eine weitere Person plötzlich zu ihnen trat. Altairs Verblüffung übertraf die seine bei weitem, als sie in ihr Waqqaad Ibn al Ashad erkannten.

"Meister," brachte dieser atemlos hervor, "ich habe woran euer Günstling gescheitert ist, als er uns dem Schicksal und den Waffen der Kreuzrittern überließ!" In seinen Händen glänzte eine kleine Kugel, und Al Mualim griff schneller danach, als es unter normalen Umständen ratsam gewesen wäre. Tiefes Glück durchfuhr ihn, als er für einen Moment die Augen schloss.

Das war es, endlich hielt er es in Händen, nun war es vollbracht. Doch bevor er seine volle Aufmerksamkeit dem verloren geglaubten Schatz zuwenden konnte, musste er sich noch um die vorliegenden Probleme kümmern. Der Novize war ebenso verletzt wie Altair, wirkte aber dennoch aufrechter und stärker in diesem Moment. "Wo ist Kadar al Sayr, euer Bruder?" fragte der Meister Waqqaad, der seinen Blick an dem unbeweglichen Altair festgebrannt hatte. Der Assassine erwiderte ihn, hielt ihm jedoch entgegen der Gewohnheiten nicht stand. Gedanken rasten durch seinen Kopf. Wenn es Allah denn gab, hatte er wohl beschlossen, Altair einen besonders schlechten Tag zu bereiten. So sehr hatte er gehofft, dass Kadar aus der Höhle entkommen war, um Malik nicht schwer enttäuschen zu müssen. Der Ton jedoch, mit dem Waqqaad die folgenden Anschuldigungen vorbrachte, war bitter, und tötete jede Hoffnung in ihm. "Erschlagen von den Schergen Robert de Sables, weil er", mit gespreizten Fingern deutete Waqqad auf den anderen Assassinen, "uns feig in der Höhle zurückgelassen hat!"

"Das ist eine Lüge!" entfuhr es Altair und er schritt auf den Novizen zu wie um ihn zu schlagen. "Ich konnte nicht zu euch gelangen, De Sable hat den Eingang zum Einsturz gebracht!" Waqqaad wich keinen Meter zurück, er hatte längst bemerkt, dass er die Oberhand in diesem Spiel gewonnen hatte und war nicht bereit diese Position sofort wieder zu verlassen. "Aber ihr hättet das alles verhindern können, wenn ihr nicht die Regeln unserer Bruderschaft mit Füßen getreten hättet!" funkelte er zurück. In seinen Augen lag der Ausdruck eines Mannes, der nur knapp dem Tode entronnen war und nun den Schuldigen dafür gefunden hatte. "Eure Torheit, euer auffälliges Verhalten war es, dass uns beinahe scheitern ließ! Nur dem Wirken Allahs ist es zu verdanken, dass ich den Schatz für unseren Meister retten konnte!" Altair verlor endgültig die Beherrschung. "Du verdammte speichelleckende Ratte willst behaupten....!"

"Ein Angriff! Die Kreuzritter haben die Bergenge passiert!" Der laute Ruf eines Wächters unterbrach das Streitgespräch. Schnell trat der Alte an die Brüstung und warf einen Blick in die Halle unter ihnen, in denen sich einige Assassinen gesammelt hatten. Besorgt sah Raoul zu ihm auf, er hatte laute, hitzige Stimmen vernommen, als er das Haupthaus betrat. Binnen Sekundenbruchteilen schien Al Mualim sich wieder zu fassen und handelte schnell. "Blast die Hörner! Alle Bewohner der Stadt müssen hier her gebracht werden! Gebt den Schülern Pfeil und Bogen und stellt sie auf den Zinnen auf! Jeder verfügbare Mann soll sich sofort in den Dienst begeben, egal ob er ein Schwert halten kann oder nicht!"

"Ich werde ihnen Einhalt gebieten!" regte sich Altair neben ihm. Der Meister ignorierte sein Worte. "Raoul, bereitet unsere Überaschung für ungebetene Gäste vor!" Als die Untergebenen davoneilten, wandte er sich wieder an jenen, der seinen Zorn erregt hatte. "Ihr werdet gar nichts tun, ihr habt schon genug angerichtet! Folgt den anderen in den Hof und verteidigt den Eingang, aber wagt es ja nicht, die Burg zu verlassen! Ich bin noch nicht fertig mit euch, Altair Ibn La Ahad!"

Heiser bellte Raoul die Befehle seines Meisters über den Hof. In Momenten wie diesen zeigte sich, dass der Orden durchaus eine gute Organisation besaß. Kein Chaos, sondern zielgerichtete Aktivität brach unter den Assassinen aus, keiner musste Fragen stellen um zu wissen, was zu tun war. Suchend blickte Raoul über die Köpfe der Kämpfer hinweg, die aus dem Tor der Burg dem Feind entgegenströmten. Er musste für diese Aufgabe vorsichtig wählen, nur ein wahrhafter Mann des Ordens konnte die Anforderungen erfüllen, denn ein Zögern konnten sie sich nicht erlauben.

Der Assassinenwächter überlegte nicht lange, als Altair aus dem Haupthaus trat und ebenfalls auf das Tor zuhielt. Raoul warf seine Arme über den Kopf und versuchte, die Aufmerksamkeit des Meisterassassinen zu erregen. "Altair! Hier her!" schrie er über die wogenden Geräusche der Kampfvorbereitungen seiner Brüder. Der Kopf des Angesprochenen flog herum, er erkannte Raoul und kam auf ihn zu. "Wir müssen zur Stadt, es sind noch zu viele dort unten!" rief Altair, als er nur mehr wenige Meter von dem anderen entfernt zu stehen kam. "Nein! Folgt mir mein Bruder, wir haben etwas zu erledigen!" Der Wächter wandte sich um und begann eine Leiter zu erklimmen, verharrte doch, als Altair ihm nicht nach kam. Raoul wusste nicht genau, was im Büro Al Mualims geschehen war, er hatte jedoch die letzten Sätze des Meisters gehört, die er an seinen langjährigen Schüler gerichtet hatte und wusste, dass er den Assassinen nicht schreiten lassen durfte, wenn ihn nicht ins Verderben schicken wollte. Altair war im Moment gewiss nicht in der Stimmung, sich von einem nicht einmal Gleichgestellten Befehle erteilen zu lassen und Raoul besaß genug Herz, um einen anderen Weg zu wählen. Er streckte die Hand aus und winkte den Assassinen näher. "Habt Vertrauen, mein Freund, kommt mit mir!"

Sekunden war Altair zerrissen zwischen seinen schnell kreisenden Gedanken. De Sable, dieser Schweinehund, war dort unten im Dorf und metzelte ihr Volk nieder, aber Al Mualim hatte ihn dazu verdammt, untätig hier oben zu warten. Was hatte er also zu verlieren, wenn er Raouls Wunsch Folge leistete? Der Wächter war ihm stets gut gesinnt gewesen, es war also keine Falschheit von ihm zu erwarten. Die Schmerzen seiner Verletzungen spürte Altair nun kaum mehr, zuviel Energie war in seinen Körper gefahren und setzte die Gefühle aus, als er behende hinter dem anderen her kletterte.

Ein weiterer Stoß aus dunklen Hörner rief die Assassinen zur Festung zurück, eben als die beiden das Ende der Leiter erreichten und auf einen Turm neben dem Tor traten. Mit Schrecken sah Altair auf die Ordensbrüder herab, die die Flucht hinter die schützenden Mauern antraten, als eine große Truppe Kreuzfahrer unter de Sables Führung den Weg zur Burg hinan stoben. Das Tor wurde mit einem rasselnden Krachen nach unten gelassen, gerade rechtzeitig, um die erste Vorhut der Angreifer auszusperren und die Männer schwärmten aus, um die Zinnen zu erklimmen und den Kreuzrittern von oben einzuheizen.

Tief im Tal konnte Altair Rauchsäulen sehen, die von brennenden Häusern in den Himmel zogen. Ihr Anblick führte ihn für Sekundenbruchteile zurück in die Vergangenheit, und er glaubte, eine von Flammen umschlungene Gestalt zu erkennen. Erst Raouls neuerliche Berührung rief ihn in die Realität zurück.

De Sable weilte unter ihnen und schien unbeeindruckt von den Versuchen der Assassinen, die Burg zu schützen, trotz der zahllosen Bogenschützen trieb er sein Pferd gemächlich so weit an die Mauern heran, dass er Al Mualims Gesicht, das über den Zinnen auftauchte, problemlos studieren konnte. Die beiden Feinde standen sich, durch Stein und Höhe getrennt, gegenüber und jeder erwartete, dass der andere beginnen möge. Schließlich erhob der Templer als erster seine Stimme.

"Gebt auf, Al Mualim, ihr seid geschlagen! Ihr habt kaum Vorräte und wie lange wird die Treue und der Kampfwille eurer Männer reichen, wenn die leeren Mägen ihren Zoll fordern?" Die Überheblichkeit de Sables hallte in jedem seiner Worte wieder. Der Meister der Assassinen hingegen klang wie ein Mann, der sich mit Freunden übers Wetter unterhielt, als er antwortete: "Ihr irrt, de Sable! Meine Männer sind nicht ein solcher Haufen von Eunuchen, wie die euren! Sie fürchten den Tod nicht, und ich werde euch dies beweisen!"

"Tretet auf jene Plattform dort und wartet auf mein Zeichen!" flüsterte Raoul Altair zu, der seine Augen nur schwer vom Geschehen lösen konnte. Wie in Trance befolgte er die Anweisungen und kletterte auf ein breites Holzbrett, das weit über die Mauern des Turmes hinaus reichte. Unter ihnen erstreckte sich eine gewaltige Felswand, an deren Ende eine Schlucht, durchflossen von einem Fluss, lag. Al Mualim hatte fortgefahren zu sprechen. "Während ihr eure Soldaten bezahlen müsst, damit sie in den Kampf ziehen, vor dem sie feig flüchten, wenn er ihr Leben bedroht, scheuen es meine Schüler nicht, selbst dann den Tod zu suchen, wenn er nicht durch das ehrvolle Vernichten eines Feindes gerechtfertigt ist! Seht und werdet der Wahrheit gewahr!" Der Meister richtete seinen Arm auf den Turm, auf dem Altair und Raoul in schwindelnder Höhe warteten. Robert de Sable folgte seiner Weisung und erwartete still was da kommen möge.

"Springt!" rief Raoul, stieß sich von der Plattform ab und fiel mit weit ausgebreiteten Händen ins Leere. Nur Sekundenbruchteile später folgte Altair ihm, längst hatte er erkannt, dass auf halben Weg nach unten ein mit Heu verdeckter Felsvorsprung auf sie wartete. Nur ein dumpfes Geräusch erzeugte sein Körper, als er in den Halmen aufschlug, doch neben ihm regte sich ein heiserer Schrei. "Mein Bein!" Roul lag auf dem Boden und warf sich hin und her, während er seinen rechten Fuß umklammert hielt. Schnell war Altair neben ihm. "Ich helfe euch!" sprach er und wollte den Assassinen hochziehen, doch Raoul schüttelte seinen Griff ab. "Nein...ich...schaffe das schon, ihr müsst weiter, es ist zu wichtig! Folgt den Balken dort drüben, sie werden euch zu einer Falle neben den Toren führen! Ihr müsst sie auslösen, oder wir sind auf ewig verloren!"

Hastig aber dennoch vorsichtig folgte Altair den Weisungen und betrat einen glitschigen langen Baumstamm, der über die Schlucht auf die andere Seite des Hauptweges führte. Mehr tänzelnd als sicheren Schrittes balancierte er über den tiefen Abgrund, ein Schritt an die falsche Stelle konnten den Tod bedeuten. Mit einem letzten beherzten Sprung erreichte er das Ende des Balkens und trat auf einen weiteren Felsvorsprung.

Dort konnte er eine Art hölzernen Wachturm erkennen, der sich direkt neben De Sable erstreckte. Das musste das Ziel sein. Der Assassine hielt den Atem an, als er sich der Falle von hinten näherte. Wenn einer der Angreifer ihn jetzt entdeckte, war alles verloren und so zwang sich Altair nur langsam vorzugehen, obwohl ihn innerlich alles zur Eile drängte. Über Umwege erreichte er den Turm und kletterte so daran hinauf, dass seine Masse ständig zwischen ihm und de Sables Heer lag. Oben angekommen wurde er gewahr, dass der Innenraum mit Baumstämmen gefüllt und einer riesigen Klappe versehen war, die nur durch einige Seile in Position gehalten wurde. Diese Abwehranlage musste neu erbaut sein, bisher hatte Altair sie nie zur Kenntniss genommen.

Der Templer hatte sich gefasst und erhob erneut Worte gegen die Mauern. "Das beeindruckt mich gar nicht, Al Mualim, aber ihr könntet mir eine Menge Anstrengung ersparen, wenn ihr alle diesen beiden Verrückten folgt!" Die Antwort der Assassinen bestand in einem unheimlichen Getöse, als Altair die Seile durchschnitt und die tonnenschwere Last des Turmes auf die Kreuzritter hinabfiel. De Sables Pferd stieg steil in die Luft, als die anderen Tier um es von der Wucht der Baumstämme umgeworfen und unter der Last begraben wurden. Schrille Schreie begleiteten den Weg der rumpelnden Geschosse, die die Reihen der Soldaten empfindlich lichteten. Gleichzeitig begonnen die Bogenschützen damit, Pfeile auf die Feinde herabregnen zu lassen. Der Templer fluchte französisch und riss sein Pferd herum, damit hatte er nicht gerechnet. Mit gewaltigen Sprüngen setzte er über die immer noch in Bewegung gebliebenen Stämme und flüchtete mit den verbliebenen Männern aus der Reichweite der Assassinen.

Zu wenige Soldaten sammelten sich auf dem Dorfplatz um ihn, als dass er einen zweiten Angriff gewagt hätte. Diesmal hatte der Alte wohl gewonnen, aber de Sable wusste, dass er zurückkehren würde und dann würde es mehr als eine einfache Überraschung brauchen, um ihn aufzuhalten.

Altair beobachtete nicht lange, wie sich die Templer zurückzogen, sondern trat sofort den Rückweg zu dem verletzten Wächter an. So gerne er sich in die Menge gestürzt, de Sable gesucht und eliminiert hätte, koste es was es wolle, er stand in Raouls Schuld. E hatte versucht es vor Altair zu verbergen, aber der Assassine wusste sehr wohl das es nur dem Wächter zu verdanken war, dass zumindestestens einige der Brüder positiv über den höchsten Kämpfer ihres Ordens dachten. Sein Stolz mochte den Assassinen verändert haben, er hatte jedoch nie den Blick für wahre Treue verloren und wusste, dass er sie Raoul nun vergelten musste.

"Ist es vollbracht?" rief der Verletzte ihm schon aus der Ferne entgegen und versuchte, aufzustehen, was ob des gebrochenen Beines misslang. Altair half ihm, eine angenehmere Position zu finden, bevor er antwortete. "Ja, es ist vorbei, Bruder. Kommt, ich bringe euch in die Festung!" Er ergriff Raouls Arm, zog ihn hoch und stützte ihn so, dass er zu hüpfen vermochte. "Altair...." sie hielten inne, als Raoul angestrengt zu reden begann, "ich weiß nicht was geschehen ist und womit ihr den Meister derart erregt habt, aber ich muss euch warnen! Es werden Stimmen laut die verlangen, euch zu eliminieren! Es heißt ihr wärd gefährlich geworden, unkontrollierbar, dem Wahnsinn verfallen! Sie haben es sogar gewagt, mit Al Mualim darüber zu sprechen! Seid auf der Hut, mein Freund, und versucht eurem Temperament Einhalt zu gebieten!" Tiefe Ehrlichkeit, kein Vorwurf war es, die aus Raoul sprach. Altair hätte die Warnung sehen müssen, doch er verstand nicht. "Dies sind schwierige Zeiten, Raoul, zu schwierig, als dass ich mich an die Meinung des gemeinen Volkes halten könnte!"

Die Assassinen hatten sich im Hof versammelt, als sie wenig später in die Festung zurückkehrten. Es war eine seltsame Stimmung, die über ihren Köpfen schwebte und sie ergriff Altair sofort, als er in ihre Kreise trat. Schüler eilten herbei und brachten Raoul fort, während er selbst still stehenblieb. Aller Augen waren auf ihn gerichtet und er leistete keine Gegenwehr, als zwei seiner Brüder an ihn herantraten und ihn bestimmt, wenn auch nicht brutal, zum Eingang des Hauptgebäudes leiteten, wo Al Mualim auf ihn wartete. Zweifellos war der Meister gewillt trotz der Umstände sofort sein Urteil über Altair zu fällen, was den Assassinen einigermaßen überraschte, denn ihr Führer neigte nicht zu vorschnellen Handlungen.

Früher, als er noch ein Kind gewesen war, hatte Altair einen besonderen Feinsinn für Schwierigkeiten besessen, er konnte sie beinahe riechen, doch der Erfolg hatte diese Fähigkeit stumpf werden lassen. Es gab keine Probleme, wo er auftauchte, und niemand stellte sich ihm je in den Weg, den er nicht beseitigen konnte. Egal was passiert war, er konnte sich nicht vorstellen, dass Al Mualim ihm eine harte Strafe zukommen lassen würde, war er doch der eine, der soeben eine große Bedrohung vom Orden abgewandt hatte, der den sie ihren Besten nannten.

Erst als er vor den Meister trat und seine Begleiter ihn an beiden Armen packten, dämmerte es Altair, dass er diesmal wohl zu weit gegangen war. Al Mualim hatte nicht vor, mit ihm alleine zu sprechen, was dem Assassinen gar nicht behagte. Diese anderen Idioten verstanden nichts, sie hatten es nie kapiert, dass selbst der Meister Angst vor ihm hatte! Sorglos sprachen sie hinter seinem Rücken, doch das würde ein für allemal ein Ende haben! Wenn er erst dies hinter sich gebracht hatte, würde er sich an ihnen rächen und dann würde Blut fließen, zuallererst jenes des vermaledeiten Abaz, den Altair grinsend in einer Ecke erkannte. Sie würden ihn kennenlernen und er würde klarstellen, das er hier das Sagen hatte. Wie oft hatte er schon gegen die Regeln verstoßen und der Meister hatte ihn unversehrt gelassen? Warum sollte es diesmal anders sein...

Die Menge sprach kein Wort, starrte jedoch gebannt auf die Vorgänge. Al Mualim stand streng aufgerichtet vor seinem Schüler, jede Milde war aus seinen Zügen verschwunden und seine Stimme härter denn je.

Altair war sein Günstling gewesen, von Anfang an hatte er ihn gefördert, doch nun hatte selbst er erkannt, dass Reden ihn bei diesem Mann nicht weiterbrachten. Sein Schüler mochte der Beste sein, den er je unterrichtet hatte, sein Verstand war jedoch vergiftet von dem Ruhm, der ihm zuteil wurde und ließ keine Logik mehr in sein Herz ein. Al Mualim hatte Mühe zu beginnen, lieber hätte er dies hinter verschlossenen Türen geklärt, aber die Folgen der Fehler seines Schülers waren zu weitreichend, um ihn in einem stillen Kämmerchen einzuschließen und schmollen zu lassen, wie es einst schon einmal geschehen war. Dies hier verlangte mehr Aufmerksamkeit und längst hatte der Meister begriffen, das die Legende, die er selbst schuf, dabei war, den Zusammenhalt der Brüder zu zerstören. Seit Altair unter ihrem Zeichen wandelte, hatte es immer zwei Lager unter ihnen gegeben: Jene, die ihn hassten wie die Pest und jene, die mit einer unheilvollen Verehrung zu ihm aufsahen. Al Mualim musste das beenden, wenn er nicht wollte das ein Krieg in seinen eigenen Reihen ausbrach.

"Wisst ihr, warum ihr heute Erfolg hattet, Altair?" begann er so leise, dass die Zuseher näher heranrückten, um keines seiner Worte zu überhören. "Ich habe meine Fähigkeiten gewinnbringend genutzt!"

Der Assassine wusste genau, was der Meister plante, zumindest dachte er dies. Stets hatte Al Mualim versucht, seinen Schüler mit subtileren Methoden zu formen, nun jedoch schien die Zeit gekommen zu sein, in der er versuchte Altairs Geist mit Gewalt zu brechen, ein Vergnügen dass dieser ihm nicht gönnen wollte. Er würde nicht im Staub kriechen, nicht hier, nicht vor all den anderen.

Verächtlich spuckte der Meister auf trockenen Stein. "Nein, mein Kind, ihr habt zugehört! Eine Fähigkeit, die ihr schon lange lernen hättet sollen! Zweifellos, eure Handlung heute hat uns vor einer langen Belagerung gerettet, ich habe jedoch nicht vergessen, dass ihr der Grund seid, der uns überhaupt erst in diese Lage gebracht hat!" Mit langsamen Bewegungen versuchte der Angesprochene, sich aus dem Griff der beiden Assassinenwächter zu befreien und stellte mit Unmut fest, dass sie ihre Finger nur noch härter um ihn schlossen. Der Meister begann vor ihm auf und ab zu schreiten. "Einst, als ihr hier unter dem Zeichen der Assassinen geboren wurdet, habe ich euch eine große Zukunft prophezeit und bei Allah, ich hatte recht! Ihr seid der fähigste Mann, der mir je begegnet ist. Dennoch," nun hob der Alte seine Stimme, auf dass alle ihn hörten, "habe ich mich in euch getäuscht! Wo waren eure Sinne, als ich euch die Gesetze unseres Ordens lehrte? Es scheint, als hätten sie weit weg geweilt! Waqqaad hat mir alles erzählt, die Mission ist nicht fehlgeschlagen, weil de Sable Informationen hatte, nein, es ist allein euer Verschulden! Unser erstes Gesetz lautet, niemals einen...." "Unschuldigen zu töten, ich weiß!" unterbrach Altair ihn mit gelangweiltem Ton.

Während seiner Rede hatte der Meister einen schweren Dolch in der Hand geführt, den er nur für wichtige Ereignisse zu benutzen pflegte. Jetzt schlug er seinem Schüler mit der Schneide mitten ins Gesicht. Das Stahl fuhr ohne Wiederstand zu finden über Altairs Lippen und hinterließ einen stark blutenden Riss quer über seinen Mund, dennoch zeigte dieser keine Reaktion.

"Hütet eure Zunge und benutzt sie nur, wenn ich es euch befehle!" schrie der Meister nun. "Zum Teufel, Altair, euer Hochmut hat euch wohl um den Verstand gebracht! Es war nicht nötig, den alten Mann in der Höhle des Tempelberges zu töten! Doch wenn es nur das gewesen wäre, Allah weiß, ich hätte euch verziehen! In eurer grenzenlosen Egozentrik habt ihr schon vor dem Attentat große Aufmerksamkeit erregt und somit auch die zweite Regel gebrochen! Wie lautet sie, wenn ihr euch denn noch daran erinnern könnt?"

Aus Wut über die Behandlung, die man ihm zukommen ließ, schwieg Altair und tat, als könne er durch den Meister hindurchsehen. Erneut schlug Al Mualim zu, diesmal mit der Faust, doch er konnte weder einen Schmerzensschrei noch eine andere Regung bei seinem Schüler erreichen, im Gegenteil. Altair schien völlig abwesend, so als ob er nicht bereit wäre, auch nur einen Moment zuzuhören. "Seht ihr nicht, wohin euch euer Verhalten führt?" Al Mualim brach ab und musterte das Gesicht des Mannes vor ihm. Es war verblüffend, er konnte sich noch daran erinnern, wie Altair als Junge ausgesehen hatte. Die Züge voller Leben, die Augen glänzend, schmächtig von Statur, jedoch mit verborgener Kraft in Händen und Beinen. Alles hatte sich verändert, vor dem Meister zeigte sich nun ein Mann, dessen Züge so reglos waren, als wäre sein Gesicht aus Wachs und dessen Blick nur mehr in ein tiefes, dunkles Nichts führte. Al Mualim hatte stets danach gestrebt, diesen Punkt bei seinem Schüler zu erreichen, er hatte alles dafür getan, Altair gefühllos werden und die Vergangenheit vergessen zu lassen. Nun stellte er fest, dass es ein Fehler gewesen war. Mit den Emotionen und der Erinnerung hatte der Assassine auch seine Ehre getötet.

"Nun gut, wie ich sehe geht ihr mit offenen Augen ins Verderben! Euer größtes Vergehen war, die Feinde zu uns zu führen und damit die Bruderschaft zu verraten! Ihr als Meister unserer Zunft hättet wissen müssen, dass de Sable euch folgt, doch ihr ward wie geblendet von eurem eigenen Schein!" Kein Halm regte sich auf dem Platz und niemand wagte es, zu sprechen. Al Mualim wartete einige Minuten und hoffte, doch noch eine Antwort zu bekommen, aber Altair war stur wie eh und je.

Schließlich entschloss der Meister, dass es keinen Sinn mehr hatte, das Unvermeidliche noch länger hinauszuzögern. Zu lange hatte er es immer wieder abgewendet, die Assassinen davon überzeugt, wie nützlich sein Schüler für sie alle trotz seiner Fehler war. Jetzt war es ihm nicht einmal mehr möglich, sich selbst zu überzeugen.

Der Meister trat direkt vor seinen Schüler, packte dessen Kinn und zwang Altair, ihn anzusehen. "Das sind die Taten eines Verräters und ich werde euch wie einen solchen bestrafen!" knurrte er. Leben floss in seinen Schützling zurück, dessen Stolz es nicht erlaubte länger zu schweigen. "Ich bin kein Verräter!" rief Altair laut aus, in seinen Augen blitzte die Wut. "De Sable wusste bereits, wo Maysaf liegt, es war nicht nötig, dass er mir folgte! Warum glaubt ihr den Worten eines einfachen Schülers, anstatt euch meine Version des Geschehens anzuhören? Seit ihr so tief gesunken?"

Wäre dies eines ihrer früheren Gespräche gewesen, hätte der Meister über diese Worte lauthals gelacht, um Altair aus der Fassung zu bringen, doch diese Zeiten waren vorbei. Stattdessen legte er dem Assassinen beide Hände auf die Schultern und sprach mit ernstem, drohenden Ton. "Eure Sicht der Dinge, zählt nun nicht mehr, mein Junge! Es scheint ihr habt den Ernst eurer Lage noch immer nicht begriffen! Lasst ihn mich euch deutlich machen!" Mit einer großen Geste wandte sich Al Mualim seinen Untergebenen zu und sorgte dafür, dass auch der Kämpfer in die Menge sehen musste. "Altair Ibn La-Ahad, aufgrund eures schändlichen Verhaltens, dass schlechtes Licht auf unsere Bruderschaft wirft, und weil ihr unser Credo verraten habt, verurteile ich euch hiermit zum Tode!"

Eine Welle aus Begeisterung folgte auf diese Worte. Altair spürte plötzlich empfindlich den Hass, der ihm gegenüber gehegt wurde. Natürlich wusste er schon lange, dass dieser existierte, aber so deutlich gefühlt wie in diesem Moment hatte er ihn noch nie. Die Brüder waren nahezu begeistert von Al Mualims Entscheidung. Sie wollten sein Blut sehen.

Dennoch glaubte Altair bis zuletzt daran, dass der Meister ihm hier eine reine Scherade vorführte. Niemals hätte Al Mualim ihn getötet, ihn, den er selbst zu einem Heiligen des Ordens ernannt hatte. Umso größer war die Überaschung in seinem Gesicht, als die beiden Wachen ihren Griff verstärkten, Al Mualim zu ihm trat und den Dolch tief in seine Brust stieß. "Es schmerzt mich, dies zu tun mein Kind, aber ihr selbst habt die Dinge hierhin geführt!" flüsterte der Meister, bevor er die Waffe mit einem Ruck wieder aus dem Körper seines Schützlings zog.

Langsam sank Altair auf die Knie und dünne Rinnsale seines Blutes bildeten sich in seinen Mundwinkeln, liefen über sein Kinn, fielen auf die Brust und vermischten sich dort mit dem dunklen Rot der tödlichen Verletzung.

Ungläubig und mit offenen Mund legte Altair eine Hand auf die Wunde, blickte seinen Meister fragend an und sank, beinahe in Zeitlupe, zu Boden. Die Wächter gaben seine Arme frei und traten zurück, als sein Kopf auf dem Grund aufschlug.

Lautlos wandte sich die Menge um und begann, den Ort zu verlassen. Keiner der Brüder blickte zu Altair Ibn La-Ahad zurück, der mit dem Gesicht im Staub liegend qualvoll starb.