7. Waffen für Feinde

7. Waffen für Feinde

Damaskus war anders als die restlichen großen Städte des Heiligen Landes. Während Jerusalem und Akkon von der Vergangenheit zu leben schienen und Veränderung bis zum Einfallen der Kreuzritter für diese Metropolen ein Fremdwort war, stellte sich Damaskus als blühende Bruststätte neuer Ideen dar. Salad al Dhin hielt die Stadt inzwischen, es hatte keine große Anstrengung bedurft, sie den Kreuzrittern zu entreißen. Der Großteil der Bevölkerung war immer noch islamischen Glaubens und hieß seine Soldaten mit offenen Armen als Befreier willkommen. Als Dank winkte ihnen ein uneingeschränkteres Leben ohne nächtliche Sperrstunde und die Möglichkeit, ihre Religion wieder offen ausüben zu können. Die kleinen, täglichen Grausamkeiten der Sarazenensoldaten wurden dabei pflichtbewusst übersehen.

Für Altair stellte dies alles keine merkenswerte Veränderung dar, waren es früher christliche Soldaten, vor denen er sich verbarg, musste er nun Sarazenen täuschen. Saladin hatte bisher keine offiziellen Befehle gegen die Assassinen ausgesprochen, von ihrem Wirken in der neuen Stadt seines Reiches war er aber durchaus nicht begeistert, trotzdem sah der islamische Herrscher in ihnen kaum mehr als lästige Fliegen, die er in der Dunkelheit der Nacht beseitigen ließ, wenn er ihrer habhaft wurde.

Altair bediente sich einer Gruppe Prediger, die betend ihre Runden vor dem Tor der Stadt zogen, um die Wachen zu überwinden. Hinter den Mauern angekommen, war es nicht mehr nötig sich völlig zu verstecken, dennoch achtete er darauf, kein Aufsehen zu erregen und wich geschickt den Menschenmassen aus, die durch die Gassen strömten. Es fühlte sich gut an, wieder auf der Jagd zu sein, auch wenn er vorsichtiger geworden war und nicht mehr danach sann, die Aufmerksamkeit der Wächter auf sich zu ziehen um ein paar von ihnen zu dem tödlichen Fehler zu animieren, ihn anzugreifen. Vielmehr genoss er jetzt unerkannt unter den Menschen zu wandeln, wie ein Schatten des Todes, der die Umstehenden berührte ohne das sie wussten, was geschah.

Das Büro des Verbindungsmannes lag immer noch am selben Ort, Rafiq hielt es nicht für nötig umzuziehen, solange die Sarazenen keine offenen Bewegungen gegen die Assassinen unternahmen. Gebeugt stand er hinter seinem Tresen und setzt mit völlig ruhigen Händen einen kleinen Edelstein in die filigrane Fassung eines silbernen Amulettes. Sorgsam rückte er das glänzende Kleinod in die richtige Position, so dass es von den aus der Umrandung vorstehenden Haken gehalten wurde, legte Pinzette und Holzstab zur Seite und betrachtete zufrieden seine Arbeit, als Altair eintrat.

Rafiq hatte von seinem Kommen gewusst und sich lange an der Vorstellung jener Gemeinheiten ergötzt, die er dem Assassinen von nun an zuzufügen befähigt war. Mit der Zeit jedoch war ihm eingefallen, dass Altair, sollte er die Prüfungen des Meisters denn erfüllen, bald wieder in der Position sein würde Rache zu üben und er ersann eine neue Strategie. Vordergründig würde er sich loyal geben, aber dieser Bastard sollte spüren, was er von ihm hielt.

Die Begrüßung "Friede sei mit dir, Bruder!" konnte er nur schwer ohne scharfe Erwiederung hinnehmen, doch er hatte sich darin geübt, neue Rethorik zu entwickeln. "Altair! Es ist also wahr, ihr seid wieder auferstanden! Nicht das ich auf das Geschwätz unbedeutender Leute hören würde, aber mir kam zu Ohren, ihr wärt in Ungnade gefallen!" sprach er mit einem süffisanten Lächeln. Der Assassine senkte nicht wie sonst seinen Kopf und flüsterte aus der Zurückgezogenheit der Schatten unter der Kapuze, sondern trat heran, schob die Kopfbedeckung einige Zentimeter zurück und blickte Rafiq offen ins Gesicht.

"Ich habe einen Fehler begangen, ja, aber ich bin hier um ihn wieder auszumerzen! Was wisst ihr über Tamir, einen Mann aus eurer Stadt? Al Mualim befahl seinen Tod." Die wahre Tragweite Rafiqs Verachtung ging tiefer, als dass er sich so einfach mit einem Eingestehen von Verfehlungen zufrieden gegeben hätte. "Es gehen viele Geschichten über euch um, mein Bruder, und ich denke ihr wisst, was die anderen sagen! Natürlich ist es nicht meine Meinung, dass es euch recht geschieht eine solche Schmach ertragen zu müssen, doch ihr werdet verstehen, dass ich an die Weisungen des Meisters gebunden bin. Von mir werdet ihr keine Informationen erhalten, und ob ihr diesen Mann überhaupt eliminieren dürft, liegt in meiner Entscheidung! Al Mualim befahl, eure Überzeugungskraft zu testen und eben das gedenke ich auch zu tun!"

Er nahm das Amulett von dem Tresen, fädelte eine silberne Kette durch eine Öffnung daran und fügte es den anderen Schmuckstücken an der Wand hinter ihm hinzu, um seine Freude zu verbergen. Rafiq hoffte auf einen Ausbruch des Temperaments des Assassinen, eine Möglichkeit ihn zu rügen, aber Altair enttäuschte ihn maßlos.

"Ich verstehe. Könnt ihr mir wenigstens einen Wink geben, wo ich etwas erfahren könnte?" "Gewiss, ich vermutete bereits, dass ihr euch nur mehr schwerlich an die Arbeit erinnern könnt, die ihr von Laufburschen erledigen zu lassen pflegtet. Geht nach Norden, am Rande der Stadtmauer werdet ihr einen Markt finden, auf dem vielerlei Menschen sich treffen. Im Osten der Via Recta könntees euch gelingen, einige Brüder zu finden, die euch über diesen Tamir zu berichten vermögen. Verhaltet euch unauffällig, Altair, derzeit machen Saladins Männer und kaum Ärger. Es wäre zu schade, wenn dies nicht so bleibt!"

Als Novize hatte Altair in Jesualem viel Zeit damit verbracht durch die Straßen zu streifen und sich alle Informationen anzueignen, die er finden konnte. Damals war es wie ein Sport für ihn gewesen, jeden Tag mehr Neuigkeiten an seinen Lehrer herantragen zu können. Malik...er hätte gelacht, wenn er solcher Gedanken bei ihm gewahr geworden wäre. Die Beziehung zwischen ihnen war meist wie die zweier Freunde gewesen, Malik bediente sich in jenen Zeiten nur notfalls der Autorität, die sein Stand ihm verlieh. Altair jedoch hatte ihm, als er den Rang eines Meisterassassinen erreichte, mit zahlreichen Gesten und Bemerkungen klar gemacht, welchen Respekt er nun forderte. Immer noch konnte der Assassine nicht verstehen, wie Malik für ihn hatte sprechen können, nachdem er ihre Freundschaft verraten, seinen Bruder in den Tod geführt hatte.

Doch nun war nicht die Zeit, sich über solche Dinge Gedanken zu machen. In den letzten Jahren hatte sich Altair zu einem völligen Misanthropen entwickelt, er scheute die Gegenwart anderer, war froh sich nicht in den Straßen herumschlagen zu müssen. Jetzt schien es ihm, als hätten die Visionen seines Schlaf die Schleußen für seine Gefühle geöffnet und er sog die Kraft der Menschen um sich auf. So viel Energie, so viel Leben füllte ihre Auren, während die seine schwarz wie der Tod zu sein schien.

Altair hatte einst begonnen, die treibende Kraft hinter seinen Gedanken, den Funken der ihm am Leben erhielt, am Leid derer zu entzünden, die er tötete und es hatte ihn eingefangen, seine Emotionen gebunden, ihn kalt gemacht. Nun fühlte er den warmen Schein der Sonne auf den wenigen Flecken unbedeckter Haut, tauchte in die Atmosphäre der pulsierenden Stadt ein und gab sich all den Geräuschen und Gerüchen eines einfachen Lebens hin.

Der Markt, den Rafiq ihm beschrieben hatte, stellte sich als eine kleine Ansammlung heruntergekommener Stände heraus, an denen nur zwielichte Waren angeboten wurden. Das Gemüse verfaulte langsam in den Kisten, während im Schatten der Tresen andere Dinge gegen hohe Bezahlung gereicht wurden. Saladin verbot es, offen Waffen und Kräuter, die den Geist benebelten, zu verkaufen, er duldete aber einen gesunden Anteil an Schwarzhandel, der es seinen Männern erlaubte ihre Bestände aufzufüllen, auch wenn der Nachschub aus der Heimat stockte. Die Händler an diesem Ort hatten nichts mit den Marktschreiern zu tun, die Altair aus seiner Kindheit kannte, sie priesen ihre Waren nicht mit lauten Rufen an und auch die Kunden hegten nie offenes Interesse, wenn sie an einen von ihnen herantraten. Geschäfte wurden hier still und mit einem Händedruck abgeschlossen, wer zuviel sprach, riskierte es den Platz nicht unversehrt zu verlassen.

Zwischen den Ständen bot sich ein kleiner Springbrunnen mit einer Bank, auf der zwei Frauen sich aufgeregt über die neue Herrscherin der Stadt unterhielten, die in ihrem Stil so ganz anders war, als die Frauen der Kreuzritter. Wenig von ihnen entfernt ließ sich Altair auf das andere Ende der Bank sinken und bemühte seine Sinne, zu filtern was sich ihm bot.

Anders als auf dem Weg hierher herrschte keine reges Treiben, die wahre Zeit, in der sich der Platz füllen würde, lag in der Dämmerung des Abends. Links von ihm stand eine Gruppe Wächter am Eingang eines Freudenhauses und wartete darauf, eingelassen zu werden. Eine Bettlerin lief hin und her und bat um Almosen für ihre kranke Familie, wurde aber meist nicht beachtet. Von der anderen Seite näherte sich ein junger Mann mit einem großen Ballen Stoff auf dem Rücken.

Der Assassine richtete seine Aufmerksamkeit auf den Träger. Sicherlich, eine derartige Menge Leinen mochte sein Gewicht haben, aber diese Person bewegte sich, als müsse sie alle Kraft aufwenden, um die Last zu stemmen. Dies und das scheppernde Geräusch, das dem Stoffballen entwich, als er auf den Boden neben einem nahen Stand geworfen wurde, bestätigte Altairs ersten Eindruck.

Langsam senkte er den Kopf, schloss die Augen und begann, sich voll auf die Geräuschkulisse zu konzentrieren. Es dauerte eine kurze Weile, bis der Nebel aus Klängen sich lichtete und alles in den Hintergrund trat, was keinen Belang für ihn enthielt. An die Stelle des lebhaften Gespräches der beiden Frauen neben ihm traten die dunklen, leisen Stimmen des Beobachteten und eines Händlers.

"....schon die dritte Lieferung diese Woche! Ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll! Sei also nicht verwundert, wenn du deine Ware demnächst von jemanden anderen beziehen musst!" Der Standbesitzer krächzte verärgert. "Wenn es jemand anderen geben würde! Deine Mitbewerber hat Tamir längst unter Vertrag genommen und wenn du auch noch in seinen Diensten stehst, kann ich einpacken! Wem zum Henker verkauft er all diese Waffen? Inzwischen muss er schon eine ganze Armee damit versorgen!" Die kurze Stille verriet Altair, dass sich der Lastträger hastig umsah. "Wenn ihre ein Geheimnis für euch behalten könnt, kann ich euch sagen, was Tamir betreibt. Er unterhält nicht ein, sondern zwei Heere!" "Iblis*! Ihr meint er unterstützt die Sarazenen UND die Kreuzritter?" "Scht, seid still, das ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt! Also, sucht euch einen neuen Lieferanten, ich werde in Zukunft keine Zeit mehr für euch finden!"

Der Assassine lächelte zufrieden, als er sich erhob und sich auf den Weg zu dem zweiten Ort begab, der ihm genannt worden war. Wenn man das Ganze von der Seite dieses schnellen Erfolgs aus betrachtete, war es gar nicht so schlecht, wieder auf sich selbst gestellt zu sein.

Die Via Recta teilte Damaskus von Ost nach West in zwei Teile, sie wirkte wie eine Grenze zwischen dem reichen und dem armen Teil der Stadt. In ihren staubigen Biegungen trafen die Angehörigen völlig verschiedener Schichten unter den wachenden Augen der Soldaten zusammen, ein Gewimmel verschiedener Lebensumstände zusammengeworfen in der Enge einer Häuserschlucht.

Altair nahm sich Zeit, die Straße zu durchwandern. Hie und da stieß er auf Prediger, die Salad al Dhin für die Befreiung der Stadt lobpreisten und Allah als den einzigen Gott nannten. Um sie sammelten sich Einzelne, die an den Lippen der Redner hingen, als würden sie Seligkeit für alle Zeit verkünden. Nie hatte der Assassine verstehen können, wie die Macht von Worten den Geist eines Menschen derart verwirren konnte, dass er bereit war zuzuhören, ohne zu hinterfragen. Dass es sich bei ihm selbst nicht anders verhielt, wenn er mit Al Mualim sprach, vermochte er noch nicht zu erkennen.

Gemächlich näherte er sich dem östlichen Ende der Via, wo sich größtenteils Tavernen und Gästehäuser befanden. Verschiedene Schilder wiesen darauf hin, welchen absonderlichen Namen das jeweilige Haus trug und Altair studierte aufmerksam, was er sah. Nachdem er an der "Schenke zum Halbmond" und dem "Haus des ruhenden Wanderers" vorbeigeschlendert war, wurde er eines kleineren Gebäudes gewahr, dass sich zwischen die anderen duckte. An seinen Mauern hing kein Hinweis, ob hier Zimmer oder Speiß und Trank angeboten wurden, an der schäbigen Türe war jedoch ein kaum erkennbares, verrostetes Zeichen angebracht. Altair berührte abwesend eine kleine Kette um seinen Hals, an dem dasselbe Emblem hing. Dies war das Haus einen Assassinen.

Hinter der schweren Eingangstüre, die sich nur schwer aufstoßen ließ, lag ein kleiner Vorraum mit einer dunklen Treppe, neben deren Absatz ein Tresen angebracht war. Niemand war zu erkennen, als er eintrat, doch während er auf den Empfangstisch zuschritt, regte sich etwas hinter der rückwärtigen Tür der Loge. Ein alter Mann tauchte auf, die Hände in ein Tuch wischend, mit schlurfendem Gang und heiserem Husten. Altair entging nicht, dass der Alte sich absichtlich schwach gab, er hatte gewiss genug zu verbergen, als dieser jedoch feststellte, dass ein Bruder zu ihm gekommen war, gab er seine theatralische Haltung auf.

"Seid gegrüßt, mein Freund, willkommen in Mujjiers Bleibe für flüchtige Meuchelmörder. Sucht ihr ein Zimmer für die Nacht, oder wollt ihr euch nur einige Stunden verstecken, bevor ihr wieder eurer Wege geht?" Der Alte musterte den Neuankömmling sorgfältig, er wusste, dass er dieses Gesicht kennen sollte, konnte des aber keinem Namen zuordnen. "Keines von beiden, aber ich hoffe, dass ihr mir einige Informationen geben könnt!" Die fragende Miene Mujjiers klärte sich. "Ah, dann müsst ihr Altair Ibn La-Ahad sein! Rafiq teilte mir mit, dass ihr kommen würdet! Ich habe schon eine Aufgabe für euch vorbereitet!" Innerlich stöhnte der Assassine, aber er ließ sich seinen Ärger nicht anmerken. "Ein weiterer Test? Euer Verbindungsmann kann wohl nicht genug davon bekommen, mich zu demütigen!" "Aber nein, aber nein, seht es als Dienst an der Bruderschaft! Ihr könnt mit bei einem ernsthaften Problem zu Hande gehen. Saladins Truppenführer haben Bogenschützen in diesem Teil der Stadt postiert, die die Sicherheit meiner Gäste gefährden! Wie soll jemand mein Haus ungesehen erreichen, wenn diese Bastarde von den Dächern ringsum jeden Flüchtigen melden? Vielleicht könntet ihr diese Unannehmlichkeit ohne Aufsehen beseitigen, dann wüsste ich auch einiges, was ich euch erzählen könnte!"

Mujjier kümmerte sich wenig um die neuesten Vorgänge im Orden, er hatte gewissermaßen hier eine sinnvolle Tätigkeit für seinen Ruhestand gefunden und streubte sich dagegen, sich selbst um lästige Kleinigkeiten zu bemühen. Immer wieder erwiesen ihm Gäste seines Hauses solche Dienste und es war ihm nur recht, wenn er jemanden fand, den er nicht dafür bezahlen musste, seine Drecksarbeit zu erledigen. Rafiq hatte ihn wissen lassen, dass dieser Mann weit besser war, als man aufgrund seines vorliegenden Ranges vermuten konnte, er schien eine Art Spielzeug des Meisters zu sein, doch alles in allem war dies Mujjier egal.

Der Alte gab nicht viel auf die neue Wendung in der Gesinnung der Assassinen, er hielt die alten Zeiten, in denen ihr Weg noch von Allah bestimmt war, für den Höhepunkt der Bruderschaft. Wäre er viele Jahre jünger gewesen, hätte er wohl bewogen, sich gegen die Verschandelung ihres Glaubens zu erheben, da ihn aber nur noch wenig Zeit von der Ewigkeit trennte, beließ er es dabei seiner Religion pflichtbewusst zu folgen und die Brüder Brüder sein zu lassen.

Sein Gegenüber dachte nicht lange über das Angebot nach, sondern fand sofort Einwände. "Mit Verlaub, wie soll ich allein mit dem da," Altair wies auf sein Schwert, "mehrere Männer töten ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen? Nicht dass ich kein Vertrauen in meine Fähigkeiten hätte, aber ein verborgenes Attentat mit einer Waffe wie dieser erfordert ein wenig mehr als fünf Minuten Vorbereitungszeit!" Der Alte hatte damit gerechnet, er zog einen Dolch hinter dem Tresen hervor und reichte ihn dem Assassinen. "Nehmt einstweilen das hier, es hat mir schon viele gute Dienste erwiesen! Nun, wohlan, ich wünsche euch fröhliches Jagen!"

Die Bogenschützen rund um Mujjiers Haus aufzuspüren war der leichtere Teil der Aufgabe. In diesem Viertel waren selbst die Seitenstraßen voller Leben und Altair brauchte lange um eine Stelle zu finden, an der er unbeobachtet nach oben klettern konnte. Diesmal bediente er sich auch nicht der Fähigkeit, beinahe jeden kleinen Vorsprung als Halt zu benutzen, er zog es vor eine gewöhnliche Leiter zu verwenden. Nicht spektakulär, aber sicher. Sie führte ihn auf das flache Dach eines Schuppens, der an den Aufenthaltsort des ersten Zieles grenzte. Von hier aus konnte der Mann ihn nicht sehen, solange der Assassine nicht auf das Gebäude übersetzte, auf dem er stand.

Der Soldat gehörte zur jüngeren Sorte der Sarazenen, die sich durch besonderes Pflichbewusstsein auszeichnete. Mit strammen Bewegungen drehte er sich in regelmäßigen Abständen zu allen Seiten, damit nichts seiner Aufmerksamkeit entgehen konnte.

Über ihm regte sich eine Stimme. "Wer da?" rief der Soldat, aufmerksam geworden. Da er keine Antwort erhielt und niemanden in seiner Nähe erkennen konnte, nahm er sein Kreisen jedoch wieder auf. Der Assassine wartete und zählte still die Sekunden. In genau zehn von ihnen musste der Bogenschütze sich wieder in die andere Richtung gewandt haben. Neun, acht....

Der kleine Widerstand, den der Fenstersims bot, reichte, um ihn auf die Höhe des Soldaten zu katapultieren ohne dass er sich erst mühsam auf das Dach ziehen musste. Altair trat so schnell hinter den Mann, dass dieser die Geräusche erst wahrnahm, als der Dolch bereits in seinem Rücken steckte. Sanft ließ er den Körper seines Opfers zu Boden gleiten und verharrte hockend über der leblosen Gestalt.

Seit er begonnen hatte zu töten, hatte Altair nichts darauf gegeben, Reue für seine Taten zu empfinden und auch jetzt gab es nichts, dass er wert befand sich selbst zu verzeihen, trotzdem konnte er nicht aufstehen und die Leiche einfach so liegen lassen. Seine Finger fuhren über die Lider des Toten und senkten sie über die starr gewordenen Pupillen. Es war kein Akt wahren Bedauerns, es erschien ihm nur menschlicher, es zu tun.

Nach und nach schlich sich Altair an die Männer heran, die Mujiier Sorgen bereiteten, einer nach dem anderen endete mit dem kalten Stahl des Dolches zwischen den Rippen. Dabei stellte sich nicht der Rausch ein, den der Assassine normalerweise zu fühlen pflegte, in ihm breitete sich Leere aus, die ihn ermüdete. Nur noch ein Schütze stand zwischen ihm und der Erfüllung seiner Aufgabe und Altair bedauerte, dass er sich das schwierigste Ziel bis zum Ende aufgehoben hatte.

Während die anderen leicht zu erreichen und noch leichter ungesehen zu beseitigen waren, stand dieser Mann auf einem Holzgerüst inmitten eines Platzes, und konnte von jedem ringsum wahrgenommen werden. In seiner Nähe gab es keine nennenswerte Verstecke und nachdem Altair eine Weile um den Aussichtspunkt gestreift war, sah er ein, dass er Hilfe brauchen würde.

Sorgfältig begann er, die Menschen um sich zu beobachten, sah tief in ihre Gesichter und beinahe in ihre Seelen, konnte jedoch keine Wahl treffen, bis er einem kleinem Mädchen gewahr wurde, dem er schon einmal begegnet war. Sie hatte vor den Toren der Stadt auf einem Zaun gesessen und Shaitan bewundert, jetzt ruhte sie im Schatten eines Baumes und spielte mit einer Puppe. Bewusst vorsichtig trat der Assassine an das Kind heran, um es nicht zu verschrecken. "Hallo, junge Dame! Es freut mich euch wiederzusehen!"

Hatice fuhr zusammen und riss ihren Kopf nach oben. Über ihr stand die Gestalt, die sie einige Monate lang in ihren Träumen verfolgt hatte und sie versuchte zu schreien, verlor aber vor Panik ihre Stimme und keuchte atemlos. Der Mönch trat sofort einige Schritte zurück und blickte nach links und rechts, beruhigte sich aber schnell wieder, als niemand auf die Szene reagierte. "Bleib ganz ruhig, ich tue dir nichts, versprochen!" versuchte Altair weich und freundlich zu klingen. Als dies immer noch keinen rechten Erfolg brachte, zog er schließlich einen kleinen Beutel mit Geldstücken aus seiner Robe, öffnete ihn und hielt ihn dem Mädchen hin. "Siehst du, hier, ich möchte dich gerne darum bitten, etwas für mich zu tun, ich bin nicht hier um dir Schaden zuzufügen!"

Hatices Augen brannten sich an den golden glänzenden Münzen fest, noch nie hatte sie so viele davon auf einmal gesehen. Ihr Schüchternheit begann sich langsam zu lösen und sie studierte die Gestalt, die der Mönch ihr bot. Damals hatte sie geglaubt, der Fremde besäße kein Gesicht, so tief war es in den Schatten der Kapuze zurückgezogen gewesen. Nun begegnete sie feinen Zügen eines jungen Mannes, dess Lippen von einer Narbe unterbrochen waren, der aber an sich in diesem Moment nicht bedrohlich auf sie wirkte.

Piepsend brachte sie hervor: "Wie könnte ich euch helfen, ich bin ein Kind!" Altair setzte das gewinnendste Lächeln auf, dass er hervorbringen konnte. "Nun, weißt du, der Mann dort oben und ich spielen ein kleines Spiel und wie ich weiß sind Kinder immer noch am geübtesten darin! Es heißt , du kennst es sicher!" Hatice wurde mutiger und nickte eifrig. "Ja, man muss sich verstecken und der andere muss einen finden! Ich spiele das gerne!" "Genau. Nur, leider ist mein Freund nicht sehr gut im Suchen, wir haben schon vor einer Weile angefangen und ich langweile mich langsam ein wenig. Würdest du ihm einen kleinen Tipp geben, der vielleicht etwas seltsam klingt?"

Wie das geöffnete Maul einer hungrigen Schlange schoss die Hand des Mädchens vor und schloss sich um den Beutel, sie zog ihn an sich und steckte ihn sogleich in die Tasche ihres Kleides. "Was soll ich sagen?" Erneut wurde ihr ein freundliches Lächeln geschenkt. "Sag ihm, ein Mönch in der Gasse dort hinten hätte ihn einen Eunuchen genannt!"

Altair lehnte an einer Wand und versuchte sein Prusten zu unterdrücken. Von allen Arten, auf die er schon Gegner getäuscht hatte, war das seine bisher eindeutig beste. So etwas konnte er einmal seinen Kindern....nun ja, Malik erzählen, sollte dieser jemals mit ihm sprechen. Nachdem er mit dem Mädchen übereingekommen war, war dieses kleine Fräulein doch wahrhaftig zielstrebig zu dem Gerüst gestapft, die Leiter hinaufgeklettert und hatte dem Soldaten ganz einfach auf die Schulter getippt. Dieser staunte nicht schlecht, als ein Kind hinter ihm stand und ihm winkte, sich zu ihm hinunterzubeugen. Einige Sekungen lang flüsterte Hatice dem Mann etwas ins Ohr und wies dann mit ausgestrecktem Arm auf die Gasse, die Altair ihr zuvor gezeigt hatte. Dann zog sie sofort den Rückzug an und verschwand zwischen bunten Ständen.

Der Schütze nahm einen Rundblick und gewährte es sich, für einige Momente seinen Posten zu verlassen. Von einem Mönch wollte er sich nicht auslachen lassen, es missfiel ihm schon genug, dass Salad al Dhin diesen Männern Aufenthalt in Damaskus gewährte. Der Sarazenenherrscher ging davon aus, dass sie als wahre Männer des Glaubens ebenso wie die islamischen Immame kein Blut an ihren Händen hatten und übte Milde über sie. Dem Herrscher lag viel daran, dass seine Gesten friedlich wirkten. Wenn die Christen jetzt aber damit begannen, die stolzen Soldaten zu verhöhnen, musste man ihnen Einhalt gebieten.

Kaum war er um die Ecke gebogen und einige Meter in die Gasse hineingegangen, schalt er sich selbst für seine Dummheit. Dieses Kind hatte ihn ins Boxhorn gejagt, der Ort war leer und diese kleine Göre saß jetzt wahrscheinlich versteckt unter dem Tisch irgendeines Standes und lachte sich ins Fäustchen.

Zackig fuhr der Soldat herum und erschrak maßlos, als ein Schmerz in seiner Brust explodierte und er direkt in dunkle, unbarmherzige Augen blickte. Altair war von dem Balken, auf dem er gewartet hatte, hinuntergesprungen und hatte die Unbesonnenheit seines Opfers voll ausgenutzt. Auch diesmal gewährte er dem Toten eine letzte Ehre und verdeckte dessen gebrochenen Blick mit dem Streichen seiner Hand.

Mujjier knurrte unbehaglich, als er wieder das Ankommen eines Gastes vernahm. Gerade hatte er es sich gemütlich gemacht, um zu Abend zu essen, und musste nun den Tisch wieder von sich schieben, um aufzustehen. Fluchend schlurfte er in den Vorraum seiner Bleibe und war bereit, den Ankömmling mit bösen Worten zu empfangen, klang aber eher verwundert als drohend, als er Altair erkannte. "Ihr seid schon zurück?" "Euer Wunsch war eine schnelle und saubere Lösung des Problems." Der Alte runzelte die Stirn. "Wer sagt mir, dass ihr mir keine Lügen auftischt, und diese Misere für mich wirklich beendet ist?" Wortlos wurde ihm ein blutiger Dolch gereicht, an dessen Spitze der Fetzen einer Sarazenenuniform baumelte.

"Oh...nun gut, ihr habt mir einen großen Gefallen erfüllt. Sagt mir jetzt, wie ich ihn euch vergelten kann!" "Ich suche einen Mann namens Tamir. Er ist Schwarzmarkthändler und scheint Waffen an jeden zu liefern, der nur gut genug zahlt." Altair lehnte sich lässig mit den Unterarmen auf die Theke. "Ihr wisst nicht zufällig, wo er sich aufhält?" Der Alte kicherte überdreht und begann, in einer Lade zu wühlen. "Wie sonderbar, dass ihr euch gerade nach ihm erkundigt! Wusstet ihr etwa, dass ich einige der Annehmlichkeiten, die ich meinen Gästen hier biete, von der selben Quelle beziehe wie er? Tamir ist ein großkotziger Schleimbeutel, der spektakuläre Auftritte liebt, natürlich weiß ich, wo er ist! Oder besser gesagt, wo er sein wird. Warum verdient ein Niemand wie er Al Mualims Aufmerksamkeit, denn die hat er zweifellos erregt, wenn der Meister einen seiner Fidais schickt?" Kurz sann der Assassine darüber nach, wie viel von dem Erfahrenen er teilen sollte, unterwarf sich aber schließlich dem Eindruck, das Mujjier keine Gefahr darstellte. "Tamir unterstützt Sarazenen wie Kreuzfahrer und betreibt so eine inakzeptable Aufrüstung dieser Parteien im Krieg. Ich denke keinem von uns ist daran gelegen, dass die Heere noch mehr Waffen erhalten, durch die weitere Unschuldige zu Schaden kommen!" Endlich hatte der Alte gefunden wonach ersuchte und zog einen zerknitterten Zettel mit kaum lesbaren Zeichen hervor. "Ah, da ist es ja! Morgen Abend, nach Sonnenuntergang, in Tamirs Lagerhalle im Westen der Stadt! Hier, nehmt es, es wird euch weiterhelfen!" Altair nahm das Schreiben an sich, drehte es in seinen Händen und sah Mujjier verwirrt an. "Äh...was soll ich damit?" "Na hingehen!" antwortete dieser vorwurfsvoll. "Das ist eine Nachricht, die einer unserer Brüder in meinem Auftrag heute Morgen einem Boten Tamirs gestohlen hat. Ich wollte wissen, was dieser Sohn einer Hure im Schilde führt, konnte mir aber keinen wirklichen Reim darauf machen. Vielleicht könnt ihr mich unterrichten, worum es bei dieser Sache ging, wenn ihr denn geruht nachzusehen!"

Der Zettel verschwand in der geballten Hand des Assassinen. "Habt Dank!" sprach er aufrichtig und wandte sich um zu gehen. "War mir eine Freude, Altair Ibn La-Ahad. Ich bin mir sicher von einem tüchtigen Mann wie euch wird man eines Tages noch viel hören!"

Eine letzte Hürde musste noch genommen werden, bevor er endlich wieder ein richtiges, bedeutendes Attentat ausführen durfte. Altair überlegte lange, wie er es über sich bringen konnte, Rafiq um Erlaubnis zu bitten, tat es aber schließlich direkt und ohne große Worte. "Er muss ausgeschaltet werden!" endete er seine Ausführugen zu den Details, die er erfahren hatte. "Ich hoffe, dass ihr mir den Segen dafür geben werdet!" setzte er dann noch hastig nach.

Rafiq hatte geduldig gelauscht und einige seiner Erwartungen revidiert. Altair hatte also tatsächlich nicht verlernt, wie ein Halm im Kornfeld zu sein und sich trotzdem umfassende Kenntnis einer Situation zuzulegen. Bedachte er, dass dieser Mann eigentlich tot war, auferstand und wieder von vorne anfing, war das in den Augen des Verbindungsmannes eine recht gute Leistung. Rafiq besaß genug Ehre, um Größe anerkennen zu können, wenn sie ihm begegnete.

"Also gut," begann er schließlich, "ihr habt mich überzeugt. Nehmt Al Mualims Feder und seid eingeladen, eure Vorbereitungen in meinem Hause zu treffen. Aber ich werde dennoch nicht umhin können, euch weiterhin auf die Reden unwissenderer Brüder hinzuweisen!" Der Assassine gab sich damit zufrieden, wenigstens musste er die Nacht nicht in irgendeiner dreckigen Spelunke der Stadt verbringen. Ein wenig Schlaf würde ihm jetzt sicher wohlbekommen, ganz waren die Schmerzen der Verletzung an seiner Brust noch nicht verklungen, sie erwachten nach den Anstrengungen des Tages und erweckten die Sehnsucht nach einem Ort, an dem er seinen geschundenen Körper einfach ablegen konnte.

Altair betrachtete die Sterne durch die Öffnung im Dach des Zimmers, in das er sich zurückzog und fragte sich, wieviele Männer er wohl töten musste um jemals an das Ziel des Ordens zu gelangen.

So vielfältig wie die Meinungen der Assassinen zum Thema Glauben waren auch die Vorbereitungen, die ein jeder von ihnen traf, wenn er er sich vor einem bedeutenden Attantat befand. Einigen pflegten zu beten, andere ihren Körper und damit auch rituell ihre Seele zu reinigen, Altair versank am Morgen simpel in einer längeren Meditation, in der er sich vorstellen zu versuchte, wie er sein Opfer töten würde. Immer wieder ließ er den Moment vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen, bis sein Körper von dem Adrenalin, dass er ausschüttete, gespannt und bereit für das Abenteuer war.

Al Mualim hatte bei seinem Beschluss wohl übersehen, dass man nicht einmal einen Meister unter ihnen nur mit einem Schwert bewaffnet auf einen Mann wie Tamir ansetzte, wenn man denn sichergehen wollte, dass er starb. Er forderte von Altair also mehr zu beweisen als andere, die in diesem Rang verweilten und dieser gedachte Erfolg zu haben.

Mit kleinen Gedankenspielchen vertrieb er sich die Zeit bis zum Abend, gab Rafiq schließlich Bescheid und kletterte auf das Dach des Hauses, um sich zu orientieren.

Es gab mehrere Möglichkeiten, Tamirs Lagerhalle zu erreichen, jede von ihnen hatte ihre ganz eigenen, speziellen Schwierigkeiten. Wandelte er durch die Straßen, würde er in der Nähe des Gebäudes einige Umwege auf sich nehmen müssen, Rafiq hatte ihn wissen lassen, dass die Halle sich zwischen den noblen, gut bewachten Häusern reicherer Bürger befand. Sie über die Dächer zu erreichen ging gewiss schneller, bot jedoch mehr Gefahr entdeckt zu werden.

Risko gegen Langeweile, die Wahl war nicht gerade schwer. Altair wandte sich gen Westen und setzte auf das Dach des Nachbarhauses über. Hier, hoch über den Straßen, hielt die lähmende Hitze des schwülen Tages noch an, obwohl die Sonne beinah ganz hinter dem Horizont versunken war. Der Assassine mochte es, nachts zu arbeiten, gewisse Schwierigkeiten ließen sich leichter umgehen, wenn man sich im Dunkel verbergen konnte, nur waren die meisten Ziele nicht geruht, wach zu bleiben um einem Mörder die Arbeit zu erleichtern. Der Schwarzmarkthändler bot eine willkommene Abwechslung.

Saladins Männer befanden sich gerade im Wachwechsel und lenkten ihre Aufmerksamkeit eher auf hitzige Gespräche rund um den überraschenden und unnatürlichen Tod einiger Bogenschützen, als auf ihre Umgebung, so war es nicht von Nöten jemanden zu beseitigen, um ungesehen voranzukommen, erst als Altair sich bereits in der Nähe der Lagerhalle befand, verringerte er seine Geschwindigkeit und schob sich vorsichtig an den Rand eines Daches vor.

Unter ihm erstreckte sich ein breiter, sauberer Weg, gesäumt von Häusern mit prestigeträchtigen Fassaden. Warum Tamir gerade hier seine Ware lagerte, schien einleuchtend, die Reichen kümmerte es herzlich wenig, ob Waffen in ihrer Nachbarschaft umgeschlagen wurden, solange ihre Angestellen selbst genug davon besaßen. Wenn der Schwarzmarkthändler keine direkte Bedrohung für sie darstelle, ignorierten sie ihn und seine Machenschaften höflich, zumal es selten vorkommen würde, dass einer von ihnen durch eine der Waffen, mit denen er handelte, verletzt werden würde. Geld zu besitzen stellte gleichermaßen eine gewisse Art von Sicherheit in diesen Zeiten dar.

Die Halle war, soweit er es beurteilen konnte, an der Außenseite ebenfalls gut gerichtet, wäre sie nicht fensterlos und glatt gewesen, hätte er wohl vermutet, sie wäre nur das Heim eines besonders exzentrischen Bürgers. Unangenehm war hier, dass sich keine Möglichkeit bot, das Gebäude zu erklimmen, die Wände waren unverziehrt, keine noch so kleine Erhebung bildete sich aus ihnen. Tamir musste bereits angekommen sein, vor dem großen Tor standen einige Gestalten, die keine offensichtlichen Waffen trugen, aber keinen Zweifel hinterließen, was ihre Aufgabe war. Ihr verschränkten Arme und die beachtliche Größe der Männer zeugte davon, dass niemand diese Halle betreten würde, zumindest nicht unversehrt.

Altair kehrte zurück in die Mitte seines Daches und versuchte einen Weg von Oben zu finden. Wenn es möglich war auf eine Gebäude zu gelangen das höher war als die Halle....sein Blick blieb an einem kleinen Minarett hängen. Der Gebetsturm stand zwar nicht unmittelbar neben der Halle, war aber das einzige, was sich über seinen Zielort erhob. Einige Tauben flogen erschreckt auf, als der Assassine wieder in Bewegung kam. Er lief zur anderen Seite des Hauses, auf dem er sich befand, untersuchte kurz die Lage in der kleineren Gasse unter ihm, sprang schließlich nur leicht von der Kante ab und drehte sich in der Luft, um sich sofort wieder am Dach festzuhalten. Aus dieser Position ließ er sich fallen, landete weich und sicher auf dem Boden und schritt im gleichen Moment voran, als seine Füße den Boden berührten. Nur einige wenige Wasserträgerinnen hatten sein Auftauchen bemerkt, sie schüttelten verwundert den Kopf, schenkten der Szene aber keine nähere Beachtung.

Das Minarett war Teil einer etwas weiter entfernten Moschee und um diese Tageszeit verlassen, der Mu'adhdhin hatte seine abendliche Ausrufung bereits beendet. Gläubige eilten von allen Seiten herbei, um sich in dem Gotteshaus einzufinden. Altair benutzte sie als Deckung zwischen sich und Tamirs Männern, als er die Straße überquerte und auf die Rückseite des Gebetsturmes zuschritt. Diesen zu erklimmen, war ungleich einfach, er zog sich an den vielen vorspringenden Holzrändern nach oben, mit denen der weiche Kalkstein gesichert wurde. Oben angekommen, sah er, dass die Idee zwar gut, die Ausführung aber ein Problem werden würde. Das Dach der Halle lag doch weiter entfernt, als er zuerst angenommen hatte und es würde einen gewaltigen Sprung brauchen, den er noch dazu mit nichts dämpfen konnte. Wenn er falsch aufkam, würde sein Auftrag mit einer bösen Verletzung enden und so etwas konnte und wollte der Assassine sich jetzt nicht leisten. Einmal mehr erhob er seine Hände, sprang und klammerte sie, die Arme gekreuzt, an einen Balken, der über ihm aus dem Turm ragte. Allein mit der Kraft seiner Fingerspitzen zog er sich hinauf, balancierte hockend an das Ende und nahm nocheinmal genauer Maß.

Altair schien wie erstarrt, nichts an ihm bewegte sich und sein Blick entrückte in andere Sphären, doch plötzlich warf er sich unvermittelt nach vorne und stieß sich mit aller Kraft ab. Nur wenige Millimeter trennten ihm vom Absturz, als er auf dem Dach der Lagerhalle aufkam, den Schwung in eine Rolle mitnahm und gerade noch rechtzeitig auf die Beine kam, um nicht in eine Luke zu stürzen. Erleichtert bließ er Luft aus, nahm sich jedoch nicht die Zeit, sein klopfendes Herz zu beruhigen.

Tamir konnte er von hier aus nicht sehen, jedoch einige Männer im Inneren der Halle, von denen einer gerade eine hitzige Rede zu halten schien. Es überraschte Altair nicht wirklich, dass er die Uniform eines Templers trug, auch wenn sie sich hier in der Stadt Salad al Dhins befanden. Um seine Worte verstehen zu können, musste der Assassine ihm näher kommen. Unter der Luke erstreckten sich nur einige wenige Balken, diese jedoch lagen ausreichend im Schatten, um nicht gesehen zu werden.

Etwas seichter sprang Altair nun auf einen von ihnen, musste nur Sekundenbruchteile warten, bis er wieder sein Gleichgewicht gefunden hatte und schob sich dann so weit dem alten Holz entlang, dass er beinahe direkt über den Personen weilte, die sich in der Halle aufhielten. Inzwischen konnte er auf jenen Mann sehen, der sein Ziel sein musste.

Der Schwarzmarkthändler saß auf einem protzigen Stuhl dem Templer gegenüber. Sein langes, weißes Haar quoll unter einer mit Edelsteinen besetzten Mütze hervor, in seiner Hand trafen sich Ringe und Schwerter. Er drehte eines davon vor seinen Augen und ließ eine rauhe, unangenehme Stimme erklingen.

"Ich verstehe nicht, warum ihr euch nicht zufrieden gebt! Dass ist erstklassige Waren, vorzüglich in meinen Augen!" Tamirs Gegenüber setzte seine wütenden Tiraden fort. "Mag sein, dass ihr heute Qualität in euren Händen haltet, doch was ihr mir letzte Woche verkauft habt, war unnutzer Tand! Die Säbel brechen beim kleinsten Widerstand und ihr werdet verstehen, dass ich einen Betrug vermute! Immerhin sind eure Preise in letzter Zeit auch stätig gestiegen! Solange sich die Ware bezahlt macht, soll mich das nicht kümmern, wenn ihr jedoch versucht mich übers Ohr zu hauen, werdet ihr mich kennenlernen, Tamir!" Der Templer bekräftigte seine Drohung, in dem er seine Faust auf den Tisch herniederdonnern ließ. Der Angesprochene blieb unbeeindruckt. "Nun, ich gebe euch recht, dass ihr einer Täuschung unterlegen sein mögt, jedoch wurde ich genauso betrogen! Lasst uns den Hersteller dieser Waffen zu rate ziehen, vielleicht kann er uns erklären, warum er mir schlechte Arbeit zum Verkauf bietet!" Aus einer Ecke wurde ein junger Mann mit starken Oberarmen gestoßen, trotz seiner offensichtlichen Kraft leistete er keinen Widerstand, denn drei Schwerter waren auf seinen Rücken gerichtet.

Tamirs Augen blitzten vor falscher Schläue, als er begann dem Gefangenen Fragen zu stellen. "Badal, ihr seid ein Meister eures Faches! Vermögt ihr zu enthüllen, warum ich, der doch auf eure Ehrhaftigkeit vertraut, mich nun der Beschwerde eines verärgerten Kunden stellen muss? Was habt ihr zu den Vorwürfen dieses Mannes zu sagen?" Der Schmied hielt den Kopf gesenkt und antwortete nur leise, seine Worte wirkten aufgesetzt, so als wären sie ihm diktiert worden. "Ja Herr. Die Legierung, die ihr verlangtet, ist zur Zeit schwer zu bekommen und hätte den Preis noch weiter in die Höhe getrieben. Ich dachte es wäre kein Fehler, mehr von billigerem Material beizumischen."

Der Schwarzmarkthändler hatte sich erhoben, trat auf den Mann zu und stieß ihm sein Knie zwischen die Beine. Ächzend fiel Badal zusammen. "Das bringt uns in eine unangenehme Situation, mein Freund! Ihr hättet mich darüber informieren müssen, ich schätze es nicht, wenn meine Leute eigenmächtige Entscheidungen treffen, man sieht ja wohin das führt!" Der Templer griff nicht ein sondern erwartete gespannt, was Tamir ihm bieten würde. Badal wand sich immer noch am Boden, seine Stimme war nun deutlich von Angst erfüllt.

"Verzeiht mir, mein Herr, so etwas wird nie wieder vorkommen! Ich bin noch nicht lange in diesem Geschäft, gebt mir die Möglichkeit, mich erneut zu profilieren!" Was folgte, war nicht der Akt eines einfachen Mordes, es war eine Demonstration Tamirs Macht, die wohlangelegt vor den Augen seines Kunden stattfand. Der Händler zog ein Kurzschwert aus der Scheide und hieb damit mehrmals auf den Wehrlosen sein, während er im Takt seiner Bewegungen schrie: "Das - ist - einfach - inakzeptabel! Ich dulde so etwas nicht!" Ein letztes Mal stieß er das Schwert in den Rücken des längst toten Mannes, spuckte dann auf die Leiche und wischte die Schneide an den Kleidern seines Opfers sauber. Dann wandte er sich wieder an seinen Gast. "Ihr mögt mir dieses kleine Gemetzel verzeihen, aber ich führe meine Männer mit absoluter Disziplin...." "Und einer harten Hand!" unterbrach ihn der Templer. "Also gut Tamir, diesmal werde ich euch unverschont lassen, der arme Teufel hatte wohl Schuld an unserem Missverständnis. Wenn gleiches jedoch noch einmal vorkommt, werde ich mit euch verfahren, wie ihr mit ihm! Morgen schicke ich meinen Karawanenführer, sorgt dafür das alles bereitsteht!"

Zackig wandte der Kreuzfahrer sich um und nahm seine Männer mit sich. Tamir ließ die Leiche seines Untergebenen entfernen, und rief einen anderen Anhänger zu sich. "Sorge dafür, dass ich ungestört bin! Ich habe einiges zu arbeiten!" wies er ihn an. Alle bis auf ihn selbst verließen die Halle und der Schwarzmarkthändler ließ sich seufzend auf seinen Stuhl fallen. Diese verdammten Templer waren auch noch anspruchsvoll, als ob es nicht genügte, dass er sie als Feinde seines Glaubens mit Waffen versorgte.

Über ihm huschte ein Schatten über die Balken, Tamir sah die Bewegung aus dem Augenwinkel, konnte jedoch nichts genaueres erkennen, als er nach oben sah und verzog das Gesicht. Ratten, auch das noch! Einer seiner Männer würde noch heute Gift besorgen müssen...

Altair kletterte auf die hoch aufgestapelten Kisten in einer weit entfernten Ecke. Der Raum war duster und staubig, ein Vorteil wenn man suchte sich zu verbergen, ein Nachteil jedoch, wenn man dabei möglichst leise vorgehen wollte. Mehr ahnend als wissend tastete der Assassine sich zu Boden, änderte immer wieder seinen Weg oder verlagerte sein Gewicht, wenn unter ihm die Last ins Rutschen zu kommen drohte.

Altair wusste nicht, wieviel Zeit ihm blieb, dennoch unterband er alle Hast um nicht einen weiteren, diesmal endgültig tötlichen Fehler zu begehen. Sanft setzte er auf dem Grund auf und blieb hockend im Schatten des Warenturmes, während er um die Ecke spähte. Tamir hatte damit begonnen, Aufzeichnungen über seine Geschäfte zu führen, in der einen Hand die Feder, in der anderen einen Abakus war er versunken in der seiner Welt aus Zahlen und Gewinn.

Die hohe Lehne des Prunkstuhles würde keinen Angriff von hinten zulassen, mit einem Schwert in der Hand wäre es auch unmöglich gewesen, Tamir hochzuziehen, soviel erkannte der Assassine sofort. Er musste also diesmal anders vorgehen, sich seinem Ziel zeigen und dann möglichst rasch handeln, bevor der Waffenhändler seine Männer zu Hilfe rufen konnte. Es kostete weitere wertvolle Minuten, in denen Altair an die Wand gepresst und geduckt durch die Schatten Tamirs Tisch umrundete, bis er in einiger Entfernung genau vor ihm stand. Der Rest war nur mehr Frage eines guten Timings und eines Quäntchen Glücks.

Stumm bewegten sich Tamirs Lippen, während er rechnete. Alles in allem waren die Einnahmen in dieser Woche nicht schlecht gewesen, wenn man aber die Spesen abzog dann...

Der Schwarzmarkthändler sah zwar, was geschah, verstand es aber erst, als es längst zu spät für ihn geworden war. Aus der Dunkelheit vor ihm schoss plötzlich eine Gestalt. Tamir fuhr in die Höhe und wollte seinen Mund öffnen, um nach seinen Wachen zu rufen, doch schneller als seine Worte den Mund verlassen konnte, setzte der Angreifer über den Tisch hinweg, traf mit der vollen Wucht seines Fußes das Kinn des Händlers und schleuderte ihn so nach hinten zu Boden. Tamir kam auf seinen Händen auf und suchte hektisch, sich auf den Rücken zu werfen, riss abwehrend die Hände vor das Gesicht, aber die Gestalt war bereits erneut gesprungen, senkte sich über ihm und hielt dabei ein blitzendes Schwert mit der Spitze nach unten.

Mit einem ohrenbetäubenden Knacken fuhr die Klinge in sein Brustbein, zerfetzte seine Lungen und nahm seiner Kehle so jeden Ton.

Altair setzte einen Fuß auf die Brust seines Opfers, entriss die Schneide wieder dem Körper und ließ sich neben Tamir in die Hocke sinken. Die Umgebung um sie begann sich aufzulösen, augenblicklich fand er sich in einem dichten, bläulichen Nebel wieder. Der Assassine kannte diesen Zustand bereits, er bezeichnete ihn als die Schwelle des Todes, die letzten Momente im Leben seiner Ziele, in denen er selbst ihr Begleiter war. Bis Tamir seinen letzten Atemzug getätigt hatte, würde die Zeit um sie stillstehen, nur ihnen beiden würde es möglich sein zu erfassen, was jetzt geschah. Als er das erste Mal im Laufe eines bedeutenden Attentats in diese Phase kam, war Altair in Panik geraten und davor geflüchtet, Jahre der Übung jedoch hatten ihn mit diesem seltsamen, beinahe überirdischen Vorgang vertraut gemacht und er bewegte sich ruhig, ohne Eile.

Er schob eine Hand unter den Oberkörper des Händlers und half ihm, sich ein wenig aufzurichten. Aus Tamirs Mund und Augen floss Blut, er hatte dennoch einen letzten Funken Leben in sich.

"So finde ich mein Ende? Getötet von einem Assassinen?" flüsterte der Halbtote gebrochen. "Im Willen Al Mualims." antwortete ihm Altair. "Ihr seid ein Kriegstreiber, verantwortlich für den Tod vieler Unschuldiger! Es war eine Notwendigkeit, euch zu beseitigen." Tamir lächelte schwach. "Das sagt ihr, der ihr nichts anderes seid als ein Mörder? Ich habe meine Hände niemals mit Blut besudelt, wie ihr die euren!" "Aber ihr liefert in einem Krieg, der das Volk zerreibt, Waffen an beide Feinde. Ihr arbeitet dem Teufel in die Hand!" "Trotz allem....findet ihr es nicht auch seltsam, dass euer Meister euch schickt, um einen kleinen Fisch wie mich zu exekutieren? Ich bin nicht der Einzige, der solchen Handel betreibt, warum also solltet ihr gerade mich töten?" Altair legte seinen Kopf schief und sann einige Sekunden über diese Feststellung nach, wurde aber von Tamirs letzten keuchenden Atemzügen aus den Überlegungen gerissen. "Es steckt mehr hinter manchen Dingen, als es scheint, mein junger Freund!" krächzte er, halb erstickt von seinem eigenen Blut. "Möge der Teufel eure Seele holen!" waren die letzten Worte des Schwarzmarkthändlers.

Die Hand des Assassinen wischte über das Gesicht des Opfers und schloss die Augen, während die Umgebung wieder ihre normale Form annahm. Die Feder Al Mualims zog über die Mundwinkel des Toten und färbte sie somit rot. Schließlich trat Altair den taktischen Rückzug an. Den ganzen Weg zurück zu Rafiq ließen ihn die Worte des Mannes nicht mehr los, er konnte sich auch nicht von ihnen abwenden, als weit hinter ihm die Glocken eines Turmes den Tod einer hochgestellten Persönlichkeit verkündeten und die Wächter ausschwärmten, den Schuldigen zu finden.

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* Islamischer Teufel