8. Tote Geister, ringende Hände

8. Tote Geister, ringende Hände...

Rafiq hatte ihn nach seinem erfolgreichen Attentat umgehend wieder nach Maysaf entsandt. Altair fand es lästig, dass er nun jedesmal wieder zum Meister zurückkehren und Rechenschaft ablegen sollte, fügte sich aber in der Hoffnung, durch Gehorsam schneller voranzukommen.

Al Mualim selbst schien keine Eile damit zu haben, er erfuhr von der Ankunft seines Schülers, noch bevor dieser das Reich betrat, rief ihn aber erst nach einigen Tagen zu sich, als Altair die Untätigkeit, zu dir er verdammt war, langsam etwas mürrisch werden ließ.

Der Alte wusste genau was er tat, er spielte mit den neu erwachten Emotionen seines Günstlings und empfand unglaubliches Vergnügen dabei. Er ließ Altair zu einem Fluß nahe der Stadt schicken, war selbst jedoch nicht zu sehen, als der Assassine dort ankam. Dieser hatte gelernt, die Unsicherheiten zu meistern, die Al Mualim zu erzeugen suchte. Mit verschränkten Beinen ließ er sich am Ufer nieder und wartete geduldig, bis der Meister aus dem Gebüsch trat und sich zu ihm gesellte.

"Friede sei mit euch, Altair! Es freut mich zu sehen, dass ihr eure Ungeduld im Griff zu haben scheint. Ein wahrer Fortschritt!" begann er, und nahm ebenfalls auf einem Felsen Platz. "Seid gegrüßt, Meister. Wovon sollte ich mich drängen lassen, wenn meine Aufgaben derart leicht zu bewältigen sind wie die letzte?" erwiederte der Assassine ohne Schärfe. Diesmal wollte er sich nicht in hochgeistige Diskussionen verwickeln lassen, für den Moment hatte er wirklich genug davon.

Al Mualims Augen weilten auf den Grenzbergen in der Ferne. "Euer Auftrag mag euch unwichtig erscheinen, aber seid versichert, dass ihr damit einen großen Teil zum Schutz unseres Ordens beitragt. Ich entnehme euren Worten, dass Tamir unter den Toten weilt?" Altair griff an seinen Gürtel und zog die Feder hervor, deren einzelne Fäden vom Blut seines Opfers verklebt waren. Der Meister nahm sie an sich und nickte zufrieden. "Gut gemacht! Es hat wohl keine Probleme gegeben, ansonsten hätte Rafiq mich sicherlich davon unterrichtet. Ich denke es ist angebracht, euch wieder einen Rang aufsteigen zu lassen. Hier!" Er reichte dem Assassinen jene unheilvolle Vorrichtung, die es seinesgleichen erlaubte unbemerkt inmitten einer Masse von Menschen zu töten. Altair nahm den Dolch an sich, fragte jedoch überrascht: "Wäre es nicht eigentlich gängig, mir nun Kurzschwerter zu gestatten? Diese Waffe gebührt einem höheren Titel als dem meinen!" "Ah, ihr fangt an zu verstehen, was ich euch zu lehren suche!" schmunzelte der Alte. "Nein, mein Kind, ich denke ich kann diesesmal über einige unserer Regeln hinwegsehen, zumal euer zweites Ziel nicht ganz so einfach zu beseitigen sein wird!"

Helles Platschen erklang von der Mitte des Flusses, als ein Fisch aus den Fluten sprang und mit seiner Beute, einem Wasserläufer, wieder untertauchte. "Meister, Tamir hat seltsame Worte gesprochen, bevor sein Geist entschwand. Er behauptete, es sei mehr hinter dem Auftrag ihn zu töten, als nur ein Attentat an einem einfachen, kleinen Waffenhändler. Ist es mir erlaubt euch zu fragen, ob zwischen diesen Zielen eine Verbindung besteht?" "Es ist euch nicht nur gestattet, ich bestehe sogar darauf! Eines der Dinge, die euch stets ausgezeichnet haben, ist, dass ihr klug genug seid zu hinterfragen, was ihr tut. Ich wünschte mehrere meiner Männer hätten diese Fähigkeit, sie zeugt von Intelligenz und diese ist wichtig, wenn man wirklich bedeutsames tun will! Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen euren Zielen! Einzeln für sich sind sie alle kleine Übel, die für die Gesamtheit des Friedens jedoch gefährdent sind! Gäbe es nur einen von ihnen, könnte ich bereits heue Nacht ruhig schlafen!"

Es war nicht die Antwort, die Altair erwartet hatte, er gab sich aber damit zufrieden, denn er wusste, dass Al Mualim nicht mehr sagen würde, dazu kannte er den Alten viel zu gut. Dieser begann, Steine auf der Oberfläche des Wassers tanzen zu lassen. "Nun, da ich euch eure Frage beantwortet habe, möchte ich meinerseits eine an euch richten." Al Mualim hielt ein und sah seinem Schüler ins Gesicht.

"Ihr habt in letzter Zeit ein reges Interesse an der Vergangenheit entwickelt und ich frage mich, warum ihr nicht an mich herangetreten seid, um mehr über Cihan zu erfahren. Ihr wisst das wir uns nahestanden, was ist also der Grund, dass ihr euch mit anderen Brüdern über ihn unterhaltet und dies vor mir zu verbergen sucht?" Der Meister hatte gehofft, die Reaktion aus dem Gesicht seines Schülers lesen zu können, doch dieser blieb unbewegt, versteifte seine Miene weder, noch englitt sie ihm. "Nun, ich wusste, was eure Antwort sein würde, wenn ich mich nach den rätselhaften Vorgängen der damaligen Zeit erkundige." gab er trocken zurück. "Und wie würden meine Worte eurer Meinung nach lauten?" Diesmal war es Altair, der aus dem Gebaren des Alten lesen konnte. "Ihr hättet gesagt ich würde alles erfahren, wenn die Zeit reif ist. Nur noch nicht jetzt."

Sekundenlang herrschte wieder das alte Ringen ihrer starken Geister miteinander, Al Mualim schaffte es aber erneut, aus einer unangenehmen Situation für ihn ein Lob und einen Tadel für Altair zu machen. "Ihr seid sehr aufmerksam! Nehmt jedoch nicht meine Gedanken vorweg, dass kann gefährlich sein! Ihr wäret nicht der erste, der mein Handeln fehlinterpretiert!"

Der Assassine suchte nicht, tiefer in diese Sphären ihrer Unterhaltung zu stoßen und brachte sie an den Ausgangspunkt des Gespräches zurück. "Wo werde ich den zweiten Mann finden?" "Dass liegt ganz in eurer Entscheidung. Ich denke es ist nicht nötig, dass ihr jedesmal, wenn ihr eine Aufgabe beendet habt, zu mir zurückkehrt, aus diesem Grund stelle ich euch frei, welches eurer nächsten beiden Ziele ihr zuerst erledigen wollt. Sowohl in Akkon als auch in Jerusalem gibt es Arbeit für euch, erst wenn ihr in beiden Städten eures Amtes gewaltet habt, werden wir uns wiedersehen!" "Erneut keine Informationen darüber, wen ich zu töten suche?" Al Mualim stützte sich auf die Schulter seines Schülers, als er sich langsam erhob. "Wozu? Ihr werdet ohnehin schnell erfahren, um wen es sich dabei handelt! Vorerst genügt es wenn ihr wisst, dass ihre Namen Garnier von Nablus und Talal lauten." "Ein Christ und ein Sarazene...kann es sein, dass hinter dieser Liste das Ansinnen steckt, unsere Feinde gleichermaßen zu schwächen?" Das übliche, milde Grinsen fand seinen Weg auf das Gesicht des Alten. "Das, mein Kind, werdet ihr erfahren, wenn die Zeit reif ist!"

Altair verweilte noch an dem Fluss, als der Meister ihn längst verlassen hatte. In seinem Schoß lag der versteckte Dolch, der während seiner Aufträge den Finger der linken Hand besser ersetzen konnte als eine jede Prothese. Akkon und Jerusalem....beides waren nicht gerade Orte, die er gerne aufgesucht hätte. Die Hafenstadt, in der er seine Kindheit verbrachte, mochte eine seltsame Wirkung entfalten, jetzt, da die Schleußen der Vergangenheit geöffnet, die Erinnerungen des kleinen Jungen wieder in ihn gedrungen waren, aber in Jerusalem hätte er Malik begegnen müssen und er hielt es noch für zu früh, um dies zu tun. Immer noch hatte er keine Worte finden können, die er an den Freund richten sollte, sich zu entschuldigen schien angesichts der Situation nicht genug.

Der Assassine beschloss, sich zuerst Akkon zuzuwenden und begann sofort mit seiner Reise denn nun, da er die Aussicht hatte Maysaf für eine längere Zeit nicht mehr zu sehen, konnte er sich gar nicht schnell genug aus dem Reich entfernen. Geübt legte er seine Waffe an und genoß das Gefühl ihrer Schwerer unter dem Ärmel der Robe, es gab ihm gewissermaßen mehr Sicherheit.

Shaitan gefiel es, endlich wieder mehr Bewegung zu haben, es störte den Hengst nicht im geringsten, dass die langen Tage ohne Arbeit auf der Weide vorrüber waren, vielmehr wieherte er freudig, als sein Herr mit Sattel und Zaum zu ihm trat.

Anfangs hatte sich Altair eines besonderen Tricks bedienen müssen, um den Hengst zu satteln, inzwischen aber hatte er das grenzenlose Vertrauen des Tieres gewonnen und musste ihm nicht mehr die Augen verbinden, um nicht von harten Hufen und scharfen Zähnen zurückgestoßen zu werden. Nur das unruhige Tänzeln Shaitans, wenn der Sattel seinen Platz auf dem starken Rücken fand, war geblieben. "Sch mein Freund, du solltest deine Kräfte schohnen! Wie haben einige lange Wege vor uns!" sprach der Assassine ihm freundlich zu, als er ehrfurchtgebietend seinen Kopf hin und her warf.

Hätte Altair an einen Gott geglaubt, wäre er überzeugt gewesen, dass dieses Pferd ein Geschenk des Allmächtige war. Shaitan mochte oberflächlich klein und unbeeindruckend aussehen und so mancher hatte ihn schon unterschätzt, wenn sein Reiter aber in Not war, vermochte dieses Tier ihm spielend das Leben zu retten, Verfolger zu töten oder ihn über eine weite Distanz auch führungslos in Sicherheit zu bringen. Die wachen, dunklen Augen sprachen zu Altair, wenn sie auf ihm ruhten und er tätschelte dem schnaubenden Hengst den Hals. "Du bist ein wahrer Asssassine!" lobte er ihn beinahe zärtlich und stieg auf.

Akkon war nicht so weit entfernt wie Jerusalem und wenn sie sich beeilten, würden sie noch vor Anbruch eines neuen Tages dort angelangt sein können. Genug Zeit um darüber nachzusinnen, ob es schlau war, Allada wiederzusehen.

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Altair die Hafenstadt erreichte. Seit seinem letzten Besuch hier waren lange Jahre vergangen, in denen Kreuzritter und Sarazenen in einem ständigen Wechsel Macht über Akkon erhielten. Die erbitterten Kämpfe hatten auch nun noch kein Ende gefunden, auch wenn die Christen derzeit die Stadt hielten und Saladin sich vorerst ein wenig zurückgezogen hatte, und sie forderten hunderte Opfer. Wen die Soldaten der streitenden Parteien nicht vernichteten, erledigten die Plünderer und Leichenschänder, die dem Krieg folgten wie Fliegen dem Gestank von Blut.

An vielen Orten der Stadt waren Blumen und Kerzen unter den mühevoll in die Mauern geritzten Namen von Vätern, Töchtern und anderen geliebten Menschen aufgestellt worden, die in den Wirren der Schlachten ihr Leben ließen. Ganz Akkon wirkte wie ein einziges, großes Begräbnis, allerorts konnte man das Leiden auf dem Gesicht des Volkes erkennen.

Altair wollte der Hoffnung, Allada könnte noch leben, keine Nahrung geben, zu sehr fürchtete er die Gefühle, die ihn ereilen würden, wenn er ihren Tod feststellte. Er beschloss, dass es besser war, die Dinge beim Alten zu belassen, sie hätte ihn ohnehin nicht mit offenen Armen empfangen und sehr wahrscheinlich fortgescheucht, ohne ihm zuzuhören, und er konnte es verstehen.

Yahmmun El Awara* war Herr über die Assassinen in Akkon, ihre Wege hatten sich schon mehrmals gekreuzt und Altair mochte den Alten. Bei einem großen Auftrag vor Jahrzehnten hatte Yahmmun sein Augenlich verloren, doch seinen anderen Sinnen hatte das nur zum Vorteil gereicht. Er folgte niemals den Meinungen anderer, schließlich verließen die sich auf die Dinge, die sie sahen, nicht auf die wahren Hintergründe und der Assassine hoffte, hier weniger Schmach ertragen zu müssen als in Damaskus.

El Awaras Büro lag in einem ruhigen Teil der Stadt, anders als die restlichen Verbindungsmänner hielt er kein Geschäft zum Schein aufrecht. Wer hätte schon einen alten Krüppel verdächtigt, ein mächtiger Meuchelmörder, dessen Arm auch über die Stadtgrenzen hinausreichte, zu sein?

Gewöhnlich vertrieb er sich die Zeit, indem er jüngere Brüder, die noch aktiv Aufträge erfüllten zu einer Partie Schach in seinem gepflegten Wohnraum einlud, oder sich mit den Greisen in den Parkanlagen der Stadt unterhielt. Dabei erfuhr er mehr über die Vorgänge in Akkon, als manch einer der ihm Gleichgestellten durch eine aktivere Informationspolitik.

Jetzt ruhte er wieder in seinem Hause, um der Hitze des Nachmittags zu entgehen und trat gegen sich selbst in seinem Lieblingsspiel an. Yahmuun brauchte keine Augen um zu wissen, wer zu ihm kam, er hatte ein feines Gespür für die Geräusche von Bewegungen entwickelt und wusste auch diesmal ohne fragen zu müssen, um wen es sich bei dem Besucher handelte. "Altair! Welche Freude! Ich habe gehofft, dass euer Weg euch nach Akkon führen wird, in diesen Zeiten ist es schwer, einen guten Schachpartner zu finden!" "Friede sei mit euch!" antwortete der Eingetretene und nahm gegenüber des Verbindungsmannes Platz, der sofort begann die Figuren wieder in ihre Ausgangsstellung zu bringen. "Mit jemandem wie euch zu spielen, ist auch nicht gerade einfach! Bedenkt man, dass man dies das Spiel der Könige nennt, seid ihr wohl der größte Monarch unter allen!" Yahmmun lächelte überlegen. "Übertreibt es nicht mein Freund, ich habe von euren Verfehlungen gehört und werde mit Sicherheit nicht so einfach darüber hinwegsehen, weil ihr mir schmeichelt, auch wenn ich nicht ganz glauben kann, dass ihr uns wirklich verraten haben sollt! Das scheint mir doch eher eine Theorie eurer Neider!"

Altair war froh, dass der Verbindungsmann so dachte, anscheinend gab es doch noch Menschen außer Al Mualim und vielleicht auch Malik, die den Glauben in ihn nicht verloren hatten. Er begann mit dem ersten Zug, setzte einen der mittleren Bauern zwei Felder nach vorne. "Al Mualim hat mir vergeben. Es sollte keine Frage des persönlichen Hasses für die Brüder sein, es ebenfalls zu tun!" Yahmuuns Finger fuhren suchend über das Schachbrett, erreichten Altairs Figur, fanden dann den Weg in die eigenen Reihen und ließen ebenfalles einen Bauern ins Feld ziehen. "Ihr verlangt zu viel von den Menschen. Nur die wenigsten unter ihnen sind weise genug, um falschen Denken gewahr zu werden. Davon jedoch einmal abgesehen, wer euch kennt, hat nicht den Eindruck das ihr viel darauf gebt was andere sagen! Warum dieser Sinneswandel?" Gleichmäßiges Klopfen erklang, während eine Figur nach der anderen gegen die Feinde auszog. Bisher war das Spiel ausgewogen, doch Altair erwartete erst gar nicht zu gewinnen. "Normalerweise stellen sich die Reden Unwissender nicht meinen Aufträgen in den Weg, wenn man jedoch ständig daran gemessen wird, können sie schon recht behindernd sein." "Ihr lasst euch zu leicht irritieren! Vielleicht liegt es auch an eurem Alter, die Weisheit, dass später niemand mehr nach euren Jugendsünden fragt, wird auch euch noch ereilen!" Ohne tasten zu müssen entfernte Yahmuun einen von Altairs Läufern, den er mit einem geschickten Zug eines Pferdes schlug. "Euer Wort im Ohr eines jeden, der mich derzeit verflucht!"

Die Hand des Assassinen schwebte einen Moment unschlüssig über dem Spielbrett, dann klärte sich sein Gesicht und er zog seine Dame mitten in Yahmuuns Reihen, entfernte einen Turm aus ihnen. Einige Sekunden vergingen, in denen der Alte wieder tastend nachvollzog, was geschehen war und schließlich zufrieden lächelte. "Bravo, mein Freund, ein guter Zug! Ich werde meine Wünsche für euch an das Ohr Allahs, an den ihr nicht zu glauben geruht, tragen. Schachmatt."

Altair blinzelte und sah überrascht auf das Spielfeld zwischen ihnen. Gerade noch hatte er geglaubt, seinen Gegner empfindlich geschlagen zu haben, jetzt stand sein König, eingezwickt von den eigenen Truppen, unausweichlich im Kreuzfeuer der Figuren des Alten. Yahmuun rieb sich die Hände. "Also, nachdem ihr nun ein wenig für meine Zerstreuung gesorgt habt, sollten wir wohl zum Wesentlichen kommen. Wer führt euch in meine bescheidene Hütte, wen sollt ihr diesesmal töten?" "Sein Name lautet Garnier von Nablus, mehr konnte oder wollte Al Mualim mir nicht mitteilen." Die Miene des Verbindungsmannes verfinsterte sich augenblicklich. Er fluchte persisch, seine eigentliche Muttersprache, setzte dann aber das Gespräch wieder in arabisch fort. "Ein Ketzer sondergleichen! Es erfeut mich wahrlich zu hören, dass seine Taten endlich ein Ende finden sollen!" "So seid ihr mit ihm bekannt?" Sorgfältig räumte der Alte Figur für Figur in das innere des Schachbrettes, klappte es zusammen und stand auf. "Nicht mit ihm persönlich, aber mit den Nachwirkungen seiner Therapie!" "Ein christlicher Heiler?" "Nein, ein teuflischer Quacksalber! Ihr seid lange nicht mehr hiergewesen, Altair, dabei ist euch einiges entgangen. Diese ständigen Kämpfe um die Stadt...sie nagen am Bewusstsein des Volkes. Angst und Verzweiflung geht um und nicht wenige sind über das Leid, dass sie erfahren haben, wahnsinnig geworden. Garnier schimpft sich einen Wohltäter, der die Irren kostenlos behandelt!" Yahmuun bewegte sich derart sicher durch den Raum, das Altair seine Behinderung beinahe vergaß. "Könnte ich nicht eurem Ton entnehmen, dass mehr dahintersteckt, würde ich sagen das klingt doch gar nicht so schlecht...." "Und ihr würdet meilenweit falsch mit dieser Meinung liegen! Die Patienten kommen auf verschiedenste Art und Weise in sein Hospital, die wenigsten jedoch freiwillig! Meist werden sie von ihren eigenen Verwandten dorthin überführt, gebunden an Beinen und Händen, andere liest die Stadtwache auf und verhaftet sie . Hat Von Nablus sie erst einmal in seiner Gewalt, wird ihnen endgültig jedes Recht entzogen. Und wer wirklich wahnsinnig ist, dass bestimmt nur er. Würde es euch gefallen, für irre erklärt zu werden, weil ihr eure Stimme gegen die vorherrschenden Umstände erhebt? Oder weil euer Nachbar wegen des letzten Streites immer noch auf Rache sinnt?" Mit Schaudern erinnterte sich Altair an den Zustand, in den er vor seinen Verfehlungen verfallen war, an die Stimmen, die ihm geflüstert hatten, an die Schmerzen in seinem Kopf. "Wohl kaum." "Nun, genau das ist es aber, was in dieser Stadt vorgeht. Es ist beinahe wie eine dieser Hexenjagden geworden, von denen die Europäer erzählen."

Der Assassine nickte, von jenen unmenschlichen Auswüchsen des Christlichen Fanatismus hatte er bereit gehört. "Was geschieht mit den Menschen, wenn Garnier sie behandelt?" "Nun, dass solltet ihr euch wohl selbst ansehen, ich bin nicht fähig es zu beschreiben." Yahmuun griff nach seinem Spazierstock und machte Anstalten, sein Haus durch die Vordertüre zu verlassen, erinnerte sich doch dann daran, dass es besser war, dies nicht in der Begleitung eines Mannes wie Altair zu tun. "Ich werde vorgehen, mein Rücken beansprucht mich dieser Tage sehr. Wir treffen uns in einer Stunde am Hafen, dort werde ich euch zeigen, was Von Nablus Arbeit hinterlässt!"

Als der Alte gegangen war, ließ sich Altair auf einigen Polstern am Boden nieder und streckte sich aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Seit Neuestem pflegte er, sich ausgiebig Zeit zum Ruhen zu nehmen und die Gedanken fließen zu lassen, er sann nicht mehr darauf, alles zu verdrängen, was aus seinem Innersten durchbrach. Seitdem fühlte er sich bedeutend besser, gelassener, weniger zerrissen.

Akkon hatte er lange für seine Heimat gehalten, bis er erfuhr, dass sein eigentlicher Geburtsort Maysaf war. Als hätte diese Erkenntiss das Band zerrissen, das zwischen ihm und seinem alten Leben hier bestanden hatte, konnte er die Gefühle, die er dieser Stadt gegenüber brachte, nicht immer genau einordnen. In Akkon hatte sein Weg als Assassine begonnen, hier hatte er seiner Vergangenheit abgeschworen und seitdem die Hafenstadt gemieden. Nun, zurückgekehrt mit neuen Richtungen des Denkens, wurde er beinahe traurig, wenn er realisierte, was er hier alles verloren hatte, seine Eltern, seine Schwester, nicht zuletzt sich selbst und doch wusste er gleichzeitig, dass sich alles zum Guten wenden würde. Es gab einen Grund für all diese Ereignisse, noch konnte er ihn nicht enttarnen, aber Altair war davon überzeugt, dass sich die Nebel lichten und ihm preisgeben würde, welcher Bestimmung er seit jeher unterlag.

Der Schwarzmarkthändler, nun ein Arzt, was mochte noch kommen? Wo lag der Zusammenhang zwischen seinen Zielen, denn es musste einen geben, soviel hatte Al Mualim durchblicken lassen...so viel er auch darüber nachsann, im Endeffekt musste er annehmen, was schon der Meister ihm gesagt hatte: Er würde erfahren was vor sich ging, wenn die Zeit dazu reif war. Seufzend richtete er sich auf und schickte sich an, Yahmuun zu folgen.

Der Hafen kam einem Auffangbecken für all die gescheiterten Existenzen Akkons gleich. Kriegsversehrte säumten die Straßen, jetzt, da sie ihren Zoll an den Kampf gezahlt hatten, blieb ihnen nichts mehr als für eine warme Mahlzeit zu betteln. Dabei gingen sie jedoch nicht mit der Vehemmenz vor, mit denen Bettler in anderen Städten zu arbeiten pflegten. Ihre dumpfen, starrenden Augen waren zwingender und berührten mehr die Seele, als es die abgedroschenen Phrasen, die Altair schon so oft gehört hatte, es jemals tun hätten können. Beinahe hatte er das Gefühl, durch Geister zu wandeln, diese Leute waren nur mehr ein blaßes Abbild des Lebens, dass sie einst geführt hatten.

Die Kreuzritter hatten bald damit aufgehört zu versuchen, alle Leichen zu begraben, die die Schlacht hinterließ, und einen neuen Weg gefunden, sich ihrer zu entledigen. Unzählige Körper wurden von einem Wagen gezogen, an den Rand der Mauern geschleppt und in das Meer geworfen. So grausam dieser Anblick auch sein mochte, in Akkon störte sich niemand mehr daran, denn alles war besser, als den Gestank und die Verwesung der Toten in den Straßen zu ertragen.

Der Assassine brauchte nicht lange, um Yahmuun zu finden, denn der Verbindungsmann hatte sich gut sichtbar postiert, stand in der Nähe der und war in eine betende Haltung verfallen. Auch wenn Altair kein Mann des Glaubens war, er empfand tiefen Respekt vor der Handlung des Alten, wollte ihn nicht stören und nahm auf einer Bank in der Nähe platz, bis Yahmuun seine Bitten beendete, erst dann trat er wieder an ihn heran.

"Schrecklich, nicht? An Tagen wie diesen höre ich auf, andere um ihr Augenlicht zu beneiden. Allein das Gefühl des Schmerzes, den diese Menschen ertragen mussten, zerreist mein Herz, wie könnte ich da den Anblick ertragen?" begann der Verbindungsmann sofort, als er das wohlbekannte Schrittmuster wahrnahm. "Es ist eine Bestätigung für das Ziel, das unser Meister verfolgt. Dieser Krieg muss ein Ende finden, oder das Heilige Land wird noch untergehen!" antwortete ihm Altair. "Einerseits mag das wohl stimmen, mein Freund, andererseits hoffe ich, dass wir nicht eines Tages ernten, was wir sähen! Nicht selten sind zwei verbitterte Feinde durch einen dritten, den sie beiden zu bekämpfen suchen, zu Verbündeten geworden. Es wäre eine Katastrophe für Maysaf...verzeiht, Altair. Ich bin ein wenig müde dieser Tage und ihr seid nicht hier um sich das sorgenvolle Geschwäz eines alten Mannes anzuhören! Kommt, ich will euch jemanden vorstellen!"

Gemeinsam schritten sie den Hafenmauern entlang, wirkten dabei wie zwei Freunde, die einen einfachen Spaziergang unternahmen. Weiter hinten an den Docks herrschte Betriebsamkeit. Mehrere Männer waren damit beschäftigt, die Fracht auf ein großes Schiff zu laden und der Assassine konnte nicht umhin zu bemerken, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmte. Wären ihm die schleppenden Schritte der noch so jungen Träger nicht aufgefallen, er wäre spätestens misstrauisch geworden, als er das Gewirr von Stimmen vernahm, die quer durcheinander schrieen, deren Worte aber keinen Zweck verfolgten. Diese Männer waren eindeutig nicht ganz bei Verstand.

Yahmuun hielt auf einen von ihnen zu, ein Bursche noch, dessen jugendliche Stirn von einer kreisrunden Narbe geziert war. Der Junge reagierte sehr eigenartig, als der Verbindungsmann ihn zu sich rief.

"Efehan, komm einen Moment zu uns!" Der Kopf des Trägers ruckte herum, schien aber nicht in einer ruhigen Position bleiben zu können, er pendelte unablässig hin und her, als er mehr auf sie zustolperte als er ging. Yahmuun kam ihm entgegen, legte ihm einen Arm um die Schultern und führte ihn. "Dies, Altair, ist einer der Novizen, die mir in den letzten Jahren zugeteilt wurden. Sag hallo, Efe!" "H-h-h-h-h-l-l-l-o-o! Hihihi!" Wie ein kleines Kind drehte der Angesprochene sich von seinem Gegenüber weg, versteckte sich hinter Yahmuun und kicherte entrückt. Altair war erschüttert, dass sollte ein Bruder ihres Ordens sein? "Was bei allen Göttern ist mit ihm geschehen?" fragte er atemlos. "Nun, was ihr hier seht, ist das Ergebnis einer ganz besonderen Heilmethode Garniers! Unser Freund hatte ein wenig Pech, er wurde von einem Wächter gefasst, als er einen Händler bestahl. , Leider wurde er nicht als einer der unseren erkannt, meiner Meinung nach wäre der Tod jedoch die bessere Wahl gewesen, als dass, was ihm letztlich angetan wurde. Diese Narbe hier, sie stammt von einer Vorrichtung, die jener ähnlich ist, die wir bei unserer Initation verwenden. Ein Gewicht wird zwischen zwei Schienen nach oben gezogen und fixiert. Dann lässt Garnier den Kopf seiner

darunter postieren. Löst er die Sicherung, schießt der Bolzen nach unten und zertrümmert die Schädeldecke des Unglücklichen an einer ganz bestimmten Stelle. Von Nablus nennt sie . Ich hingegen ziehe es vor, vom freien Willen eines Menschen zu sprechen. Versteht ihr nun, warum das gutherzige Getue dieses Scharlatans mich derart erregt?"

Mit offenem Mund hatte Altair gelauscht und beeilte sich nun, zu antworten, damit Yahmuun dem Schrecken nicht gewahr wurde, den seine Ausführungen erzeugt hatten. "Das ist Wahnsinn! Er beraubt geistig gesunde Menschen ihrer Entscheidungskraft? Ich freue mich darauf, den Dolch tief zwischen seine Augen zu stoßen und ihm die seine zu entreißen! Wo finde ich diesen Teufel?" "Wisst ihr, eigentlich habe ich den Auftrag erhalten, euch für jede Information arbeiten zu lassen, die ihr verlangt, aber ich bin zu alt und habe zu wenig Zeit um mich mit diesen Spielchen herumzuschlagen. Vergesst nicht Al Mualim auf die mühevollen Aufgaben hinzuweisen, die ich euch gestellt habe, sollte er euch danach fragen! Von Nablus befindet sich in seinem Hospital, er verbringt seine volle Zeit bei seinen Spielzeugen, wie er die Patienten zu nennen pflegt. Wie ihr es schaffen könnt, in diese Festung einzudringen, vermag nicht einmal ich euch zu sagen, aber ich bin überzeugt, dass ihr einen Weg finden werdet. Geht, Altair, und geht schnell, bevor er noch mehr Leben aus reiner Lust an der Qual zerstört!" Eine Feder wechselte mit Hilfe eines festen Händedrucks zwischen ihnen und der Assassine brach auf, das Wirken Garniers' zu beenden.

Das Krankenhaus des Templers Von Nablus lag inmitten des Viertels der Hospitaliter. Von welcher Seite man es auch betrachtet, das Gebäude glich wahrlich mehr einer Burg als einem Ort, an dem Heilungen stattfanden. Es bot sich nicht die geringste Möglichkeit, ungesehen einzudringen, weder von den Seiten noch von oben und Altair verbrachte unzählige Stunden damit, diese Erkenntis immer wieder aufs Neue zu prüfen. Garnier würde, laut Yahmuuns Informationen, diese alte, umgebaute Kirche nicht verlassen, also musste er eine Möglichkeit finden zu ihm zu gelangen, notfalls mit Gewalt.

Gerade schätzte der Assassine, wieviele der Wächter er aus dem Weg räumen konnte, bevor sie ihn töten würden und die Chancen standen wirklich gut, dass er hier sein Leben lassen musste, als er plötzlich eine Stimme wahrnahm, die er schon einmal gehört zu haben glaubte. Ein Baum bot ihm etwas Schutz und er versuchte, wie ein beiläufiger Pilger zu wirken, der sich an den morschen Stamm lehnte, um sich von seiner anstrengenden Reise zu erholen.

"Aber ihr solltet meine Nähte sehen! Kaum jemand leistet derart gute Arbeit bei der Versorgung großer Wunden! Lasst mich eurem Herren vorsprechen und er wird erkennen, welches Talent ich habe!" Ein aufgeregter Mönch in zerschlissener Kutte sprang beinahe vor den Soldaten, die den Haupteingang bewachten, auf und ab. Der größere von ihnen verlor langsam die Geduld. "Scher dich weg, Alter, ich habe dir schon einmal gesagt, dass mein Meister zur Zeit keine Hilfe sucht! Wenn ihr es nicht verstehen wollt, kann ich euch gerne dabei helfen!" Seine Hand kam drohend auf seinem Schwert zu liegen und Parcelsus, der Bettelmönch, trat sofort einige Schritte zurück. "Schon gut, schon gut! Ihr wisst ja nicht was euch entgeht!" Hängenden Kopfes verließ er den Platz und dachte sehnsuchtsvoll an eine Scheibe Brot, die seinen Hunger wenigstens ein bischen gestillt hätte. Schon eine Weile wanderte er dahin bis er merkte, dass jemand sich zu ihm gesellt hatte und dicht neben ihm ging. "Was wollt ihr noch, ich habe doch schon aufgegeben euch zu überzeugen!" sagte er hastig, warf dann einen genaueren Blick auf die Gestalt und blieb verblüfft stehen. "Ihr! Die Welt ist wahrlich ein Dorf! Ich hätte nicht geglaubt euch noch einmal zu begegnen!"**

Vor ihm stand ein kräftiger Mann, gekleidet in die Robe eines wohlhabenderen Bruders, als er selbst es war. "Ja, die Wege des Herren sind unergründlich, wie euresgleichen zu sagen pflegt!" antwortete der Fremde, der kein geringerer als Altair selbst war. "Wie ist es euch seit unserer letzten Begegnung ergangen? Mir scheint die Lust, Wächter zu ärgern, habt ihr trotz Allem nicht verloren!" Parcelsus Gesicht war ein einziges freundliches Lachen. "Aber nein, mein Herr, seid gewiss das ich mich nie mehr in eine solche Lage bringen wie die, aus der ihr mich erettet habt! Ich schulde euch immer noch meinen Dank, leider habe ich nichts....." "Erlaubt mir euch in eine Taverne einzuladen, Freund. Ihr seht aus als könntet ihr eine kräftige Mahlzeit vertragen!" wurde der Bettelmönch abrupt unterbrochen. Kein Worte hätten seliger für ihn klingen mögen und er folgte in seinem grenzenlosen Vertrauen in das Gute sofort dem Angebot. "Gewiss, gewiss, ich kenne da einen vorzüglichen Wirt!" Der Assassine war erleichtert, er hatte mit Misstrauen gerechnet. "Dann führt uns hin!"

Einige Stunden, mehrere Gläser Wein und eine gebratene Schweinshaxe später, hatte Altair sein Ziel beinahe erreicht. Der Bettelmönch war von Schluck zu Schluck redseliger geworden und hatte sein ganzes Leben vor ihm ausgebreitet, während er selbst nur Wasser zu sich nahm und geduldig lauschte. Gerade kam Parcelsus zum Schluss seines hastigen Redeflusses. "Nun, und da das Verarzten von armen Kreaturen, die hierher geflüchtet sind, zwar meiner Misssion als Mann Gottes völlig würdig ist, meinen Magen aber nicht zu füllen vermag, wollte ich meine Dienste Garnier von Nablus anbieten. Er genießt großes Ansehen unseren Kreisen und ich hoffte, von ihm lernen zu können, um eines Tages vielleicht ebenso berühmt zu sein wie er. Nicht dass ich dabei an den Reichtum denken würde, den der ehrwürdige Bruder genießt, ich möchte nur meine Fähigkeiten erweitern, um den armen Individuen zu helfen, so wie es mein Erlöser einst befohlen hat!" Traurig stellte er fest, dass sein Glas leer war. Sofort winkte Altair ein Schankweib heran und ließ es wieder auffüllen.

"Ihr seid vom Leben gebeutelt mein Freund und mich beeindruckt euer standfester Glauben!" sprach er, als der Bettelmönch einen weiteren, gierigen Schluck Wein nahm. Sie hatten sich in die letzte Ecke der Taverne verzogen, in die Parcelsus ihn geleitet hatte. Die anderen Gäste kümmerten sich nicht um sie, es waren nur wenige an der Zahl und die meisten starrten stumm in ihre Getränke. Der Assassine hatte trotzdem, um sicher zu gehen, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, den Kopf gesenkt und die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, wodurch er für sein Gegenüber nur noch geheimnisvoller wirkte. "Mich dünkt, einem Mann wie euch muss man helfen! Ihr tut viel Gutes für die Menschen und keiner vergilt euch eure Treue! Was würdet ihr davon halten, in meine Dienste zu treten? Ich bedarf zwar kaum eurer Fähigkeiten, Krankheiten zu heilen, aber ich glaube die ein oder andere Tätigkeit könntet ihr dennoch für mich ausführen."

Parcelsus versuchte sich zu entscheiden, welchem der beiden Männer, die er vor sich sah, er antworten sollte, beschloss aber dann, dass es völlig egal war, schließlich sahen sie beide haargenau gleich aus. "Wäre denn eine kleine Bezahlung in Aussicht gestellt? Versteht mich nicht falsch, ich verlange keine große Abgabe, nur ein ruhiges Plätzchen zum schlafen und etwas Geld um zu leben!" Ein Beutel erschien vor ihm am Tisch, wurde langsam zu ihm herangeschoben und nur flüchtig nahm der Bettelmönch war, dass der linken Hand des Mannes einer der Finger fehlte, bevor er danach griff und ihn nur ein kleines Stück öffnete. Atemlos wurde er bei dem Anblick und konnte nichts hervorbringen, sah aber mit aufgerissenen Augen hoch.

Altair wusste, dass nun der rechte Zeitpunkt gekommen war, solange die Sinne des Anderen noch vom Rausch des Alkohols und des Goldes vernebelt waren, musste er handeln. "Ich bin ein Reisender zwischen den Städten des heiligen Landes. Mein Orden hat mich erwählt, um jenen...." kurz hielt er ein, beim Anblick des naiv-dummen Gesichtes seines Gegenübers fiel es ihm schwer, derart unverschähmt zu lügen, "Brüdern den letzten Segen zu gewähren, die der Herr zu sich ruft. Leider entgeht mir viel, wenn ich mich auf meinen Wegen befinde und so musste ich festellen, dass der nächste, den ich aufsuchen soll, von Garnier in seine Obhut genommen wurde. Die Wächter verstehen mein Ansinnen genauso wenig wie das eure." Parcelsus mochte nicht viel Menschenkenntniss haben, einen Funken Verstand besaß er jedoch. "Und wie soll ich in das hineinpassen? Was wäre mein Auftrag, wenn ich euer Angebot annehme?" fragte er mit schmalen Augen. "Nun, ich sorge dafür, dass ihr euer Tagewerk tun könnt, ohne Gedanken daran verschwenden zu müssen, wie es weitergehen soll, dafür helft ihr mir bei einem kleinen Täuschungsmanöver und erzählt mir, was in Akkon so vorgeht, wann immer ich hierher zurückkehre. Ein fairer Handel, wie mir scheint!" Der Assassine spielte mit der Situation, setzte alles auf eine Karte und gewann. "Ein Mann, ein Wort. Ihr habt meine Treue!"

Nicht selten geschah es dieser Tage, dass weinende Frauen in Begleitung ihrer Brüder ihre eigenen Männer zu Garnier von Nablus brachten, wenn sie aus dem Krieg zurückkehrten und Nachts im Schlaf laut aufschrien. Ein wahnsinnig gewordener Mönch war jedoch sogar für den lang gedienten Soldaten des Templers eine neue Erfahrung. Der lästige Alte war wiedergekommen, diesmal in Begleitung eines zweiten Mönches und der Wächter hatte ihn gebührend mit einem harten Stoß begrüßt.

"Schon gestern befahl ich euch, euch fortzuscheren, heute werde ich euch Beine machen!" zischte er Parcelsus zu, der sich mühsam wieder aufrappelte. "Seid unbesorgt, ich bin nicht hier, um euch um eine Anstellung zu bitten!" "Was führt euch dann her? Habt ihr euren Irrsinn endlich erkannt und wollt meinen Herren um Heilung bitten?" "Nun, nicht ganz...bei der bedauernswerten Kreatur, die seine Therapien erfahren soll, handelt es sich nicht um micht selbst sondern um meinen Bruder hier!" Auf ein Winken des Bettelmönches trat Altair vor, achtete aber darauf, dass niemand sein Antlitz sehen konnte. Der Soldat zog die Augenbrauen zusammen. "Was hat er?" Parcelsus winkte ihn näher, deckte sein halbes Gesicht mit einer Hand ab und flüsterte: "Er ist letzte Woche von einer Leiter gefallen und seitdem glaubt er, die Wiedergeburt einer heiligen Persönlichkeit zu sein!" "Nennt ihr das Neuestens Wahnsinn? Ich dachte solche Leute verehrt ihr!" Dem Mönch war es sichtlich peinlich, dennoch antwortete er schnell. "Nun ja, er glaubt er sei die Jungfrau Maria!"

Für einen Moment sah der Soldat aus, als wolle er Parcelsus auf der Stelle erschlagen, dann begannen seine Mundwinkel zu zucken und er konnte nur schwer sein Lachen zurückhalten. "Das ist nicht euer Ernst!?" flüsterte er prustend zurück und bekam eine prompte Kostprobe. Parcelsus wandte sich um und rief: "Maria, mein Weib, diese Männer gewähren dir heute Nacht eine Bleibe! Du musst nicht im Stalle schlafen!", worauf Altair sofort erwiederte: "Dank und Lob des Allmächtigen sei mit ihnen, dass sie einer notleidenden Mutter Schutz bieten!"

Auch die anderen Wächter hatten das Schauspiel verfolgt und brachen in Gelächter aus. Ihr Hauptmann wischte sich eine Träne aus dem Auge und trat an den Assassinen heran. "Wohlan, meine DAME, dann lasst mich euch in euer Gemach geleiten!" säuselte er.

In ihrer Unwissenheit ergaben sich die Soldaten uneingeschränkter Häme, als der Bote des Tod langsam mit gesenktem Haupt an ihnen vorbeischritt.

Altair war nicht glücklich mit dem Plan gewesen, aber die Täuschung, die Parcelsus ersann, schien perfekt. Der Mönch mochte eine seltsame Art von Humor besitzen, er war ein verkrokstes Genie, wenn es darum ging, andere hinters Licht zu führen. Nur beim Anblick von Waffen gelang ihm das nicht so recht, aus diesem Grund war er immer wieder in Schwierigkeiten geraten. Zu seinem Vorteil hatte er aus ihnen gelernt und wusste, dass es einer unglaublichen Geschichte bedurfte, um Unmögliches möglich zu machen.

Der Rest war simpel und einfach erzählt, niemand hatte den Assassinen aufgehalten, als er erst einmal im Inneren des Hospitales war. An das Bett, zu dem man ihn gebracht hatte, war er alleine von seinen Eindrücken und dem Anflug alter Schmerzen gefesselt, als er sich in der Hölle wiederzufinden glaubte. Garniers hochgelobte Institution war ein Käfig toter Geister und ringender Hände, die wie ein Meer rund um Altair wogten. Kreischende Schreie mischten sich mit flehentlichen Bitten und Wehklagen derer, die in dem ehemaligen Altargang der Kirche auf und ab wankten, sich gelegentlich an den Kopf griffen und wütend aufeinander losgingen. Dabei wurden sie ein jedesmal von Garniers Männern getrennt, in deren Reichweite immer Tücher mit starkem Alkohol lagen. An den brüchigen Nägeln der Kontrahenten hing meist blutiges Fleisch, wenn sie endlich zu Boden gingen.

Der Assassine hatte sich zur Seite gedreht, um sein Gesicht weiter zu verbergen und dankte seinem Glück, dass sich eine Mauer hinter seinem Rücken befand. Hier gab es keine einzige Person, die er außerhalb seines Sichtfeldes wissen wollte. Eine Weile lag er so und versuchte, zwischen all den kranken Kreaturen sein Ziel zu finden, erkannte aber den Templer erst, als dieser zu ihm ans Bett trat. Schnell schloss Altair die Augen und begann, leise zu schnarchen.

"Was haben wir denn hier?" fragte Garnier von Nablus seine Gehilfen mit einer spitzen Stimme. "Ein Mönch. Ist von der Leiter gefallen, hat jetzt höchst seltsame Wahnvorstellungen. Er besitzt keine Familie und ist ein perfektes Exemplar für den Bolzen, seine Brüder werden sich sicher um ihn kümmern, wenn ihr ihn entlasst!" Der Gelehrte wirkte etwas nervös, als sein Herr herumfuhr und ihn anfunkelte. "Habe ich euch jemals gebeten, mir Vorschläge zu unterbreiten? Nein? Dann wünsche ich auch nicht, dass ihr mir vorgreift. Für diesen Irren hier habe ich eine ganz besondere Behandlung, er ist nahezu ideal dafür! Bringt ihn am Nachmittag in das Labor, ich möchte einige der neuen Tränke an ihm versuchen!" Damit zog die kleine Prozession weiter zu dem nächsten Patienten und Altair wagte es, wieder normal zu atmen. Der Templer gefiel ihm gar nicht, dass Glänzen in den Augen des Mannes zeugte von einem ungesunden Geisteszustand. Wahrscheinlich war Von Nablus verrückter alls alle seine

Vehement verdängte er den aufsteigenden Kopfschmerz und richtete sich langsam auf. Garnier war in den langen Gang zurückgekehrt und begab sich unter die große Kuppel im vorderen Teil des Gebäudes, die früher einmal der Altarraum gewesen sein mochte. Dort befand sich sein Schreibtisch, gesäumt von Wachen, die die Patienten keinen Moment aus den Augen ließen. Trotzdem erkannte Altair diese Situation als die beste Chance, den Scharlatan zu beseitigen. Betont schleppend erhob er sich und begann, den Gang entlang zu torkeln, wobei er darauf achtete, den anderen Personen aus dem Weg zu gehen, um nicht in einen ihrer verzweifelten Kämpfe verwickelt zu werden. Immer wieder traten hagere Gestalten zu Garnier, gaben krächzende Laute von sich und verließen ihn wieder, der Arzt folgte diesem Schauspiel kaum, sondern ergänzte seine Aufzeichnungen und ordnete die Papiere in einen Schrank hinter sich.

Die Anspannung des Assassinen stieg ins Maßlose, als er sich seinem Ziel näherte. Der Templer schien sich auf eine weitere Runde durch den Saal vorzubereiten und nun musste alles schnell gehen. Mit einem letzten Schritt trat Altair in die Nähe seines Opfers, wandte sich kurz nach links und rempelte einen der Geistlosen an, die neben ihm weilten. Sofort entfuhr dem Wahnsinnigen ein ohrenbetäubender Schrei und er stürzte sich auf sein Gegenüber, versetzte ihm einen schweren Stoß und bewirkte, dass der Assassine mit voller Wucht gegen Von Nablus taumelte.

Beide wurden vom Aufprall von den Füßen gerissen und Altair brachte seinen Arm in die richtige Position, um zuzustoßen. Leider glückte der Versuch nicht, der Templer war Herr einer schnellen Reaktion und wehrte den auf seinen Hals gezielten Stich mit einem Block seines Armes ab, entledigte sich des Gewichts seines Angreifers. Sein Ruf zerriss die Schwaden des Leids der Anwesenden und für einige Sekunden herrschte völlige Stille, bevor die Wachen auf sie beide zustürzten. "Ein Assassine!"

Sein Schwert fuhr aus der Scheide, als Altair erneut auf ihn zusprang, ebenfalls seine Waffe in die Hände riss. Wie durch Nebel nahm er die Bewegungen aller Wachen hinter sich wahr, hörte Garniers Atem, spürte seine Angst. Die Klingen prallten aufeinander, doch wider Erwartens versuchte der Assassine nicht, seinem Gegner das Schwert aus der Hand zu drücken, sondern benutzte es gewissermaßen als Schiene, um das seine mit der vollen Wucht der Bewegung tief in den Oberschenkel des Templer dringen zu lassen. Garnier schrie auf und fiel zu Boden, besaß aber immer noch genug Kraft, um einen neuerlichen Schlag nach seiner Kehle auszuweichen. Sein Männer hatten die Kämpfenden beinahe erreicht, als er seine Klinge zwischen die des Angreifers und seine Brust schob, gleichzeitig bohrte sich ein Dolch in sein anderes Bein und ihm entfiel endgültig die Waffe.

Der erste Soldat holte aus, um zuzuschlagen, als Altair beendete, was so misslich begonnen hatte. Mit einer schwungvollen Drehung nahm er Geschwindigkeit auf und trennte den Kopf seines Opfers beinahe von den Schultern. Die Zeit fror ein, als Garnier langsam nach hinten kippte. Um sie herrschte völliger Stillstand, eine besondere Art von Frieden. Die Feder Al Mualims berührte zart das zerrissene Fleisch und der Templer öffnete die Augen.

"Ein Heide beendet meine göttliche Mission! Welch ein Jammer, welch ein Frevel!" flüsterte er müde, während der Saft des Lebens stetig aus ihm floss. "Ihr seid eher eine Ausgeburt der Hölle, als ein Mann Gottes, Garnier! Ist euch bewusst, was ihr diesen Menschen angetan habt?" Altairs Stimme war durchwachsen von Hass. "Muss ich mich vor einem hinterhältigen Mörder rechtfertigen? Ich denke nicht! Dennoch will ich euch eine Geheimnis verraten: Ich habe diese armseligen Irren gerettet, sie ans Licht geführt! Nur wenige Menschen besitzen das Geschick, mit dem Verstand, der ihnen von Gott gegeben wurde, richtig umzugehen! Seht euch im Heiligen Lande um! Ketzer, Ungläubige und Kriegsherren, sie alle nutzen dieses Geschenk nicht so, wie der Allmächtige es von uns verlangt hat! Es war ein Segen für meine Patienten, von der Last des Denkens befreit zu werden!" Der Assassine schüttelte fassungslos den Kopf. "Garnier, mich dünkt, ihr seid selbst völlig von Sinnen! Ihr strebt danach, die Welt zu kontrollieren und eurem eigenen Willen zu unterwerfen und brecht damit die Gesetze eures eigenen Glaubens! Lautet nicht eines davon, dass ihr keine Götter neben dem euren haben sollt, auch nicht euch selbst?"

Der Miene des Verwundeten gelang es, ein verächtliches Lächeln hervorzubringen. "Wie praktisch für euch, dass euresgleichen nicht an einen Allmächtigen glaubt, sondern einen alten Bastard verehrt, ihm bedingungslos folgt! Al Mualim ist keinen Deut besser als ich, mein Junge, dass werdet auch ihr eines Tages noch erkennen! Ich habe eurem Orden niemals Schaden zugefügt und trotzdem lässt er mich durch euch töten. Welch wunderbare Taten hätte ich vollbringen können, wenn der Edensplitter nicht in seine Hände gelangt wäre! Er wollte ihn damals schon für sich haben und jetzt, da er Erfolg hatte, werden die Schrecken, die seine Herrschaft bringt, unermesslich sein!" Der Assassine war für einen Moment verwirrt. "Wollt ihr damit sagen ihr kennt Al Mualim persönlich? Welche Begebenheit hat euch zusammengeführt?" "Fragt ihn das, wenn ihr kriechend zu ihm zurückkehrt!"

Die Lider Garnier Von Nablus senkten sich langsam über seinen Augen, sein Bewusstsein hatte den Körper verlassen. Altairs Geist war für Sekundenbruchteile gebannt von den Reden des Templers, er kehrte jedoch schnell in die Realität zurück, als um ihn der Sturm des Zornes der Wächter losbrach.

Erschrocken und rasend geworden hieben sie alle gleichzeitig auf ihn ein, schlugen gegenseitig auf ihre Klingen und brauchten einen Moment, um das Chaos zu entwirren. Diesen nuzte der Assassine sofort, er warf sich herum und begann zu laufen. Dabei hielt er sich vom Hauptgang fern, hechtete über Brüstungen und Betten, stieß seinen Verfolgern Dinge in den Weg. Bei seiner Ankunft hatte er ein hölzernes Gerüst an der äußeren Mauer des Hospitales bemerkt, es war seine einzige Möglichkeit, lebend davon zu kommen und er hielt darauf zu, ständig zur Seite springend und Schwertern, Fäusten, Irren ausweichend. Ein leiser Luftzug fuhr an seinem Ohr vorbei, als einer der Soldaten seinen Kopf nur um Millimeter verfehlte und seine Klinge Fetzen in die Robe des Assassinen riss, die darunterliegende Haut jedoch nur oberflächlich ritzte.

Altair wusste, dass er sich keinesfalls auf einen Kampf einlassen durfte, wenn er morgen noch atmen und Aufträge erfüllen wollte, und steigerte seine Geschwindigkeit, als er quer über den Innenhof der Festung schoss. Mit einem gewaltigen Satz drückte er sich vom Boden ab und bekam die Planken des Gerüstes in mehreren Metern Höher zu erfassen, was die Verfolger für Sekunden erneut stoppen ließ. Für sie hatte es ausgesehen, als wäre der Flüchtige an dem senkrechten Balken hinaufgelaufen, ebenso mühelos, wie er jetzt daran höher kletterte.

Pfeile wurden nun abgeschossen und prasselten wie hölzerner Regen auf ihn nieder, in seinem grenzenlosen Glück jedoch traf keiner von ihnen sein Ziel. Die gewaltigen Glockenschläge des Kirchturmes hallten donnernd über Altair, verkündeten der Stadt Ärger, versetzten alle Wächter, die in der Nähe waren, in höchste Alarmbereitschaft. Die Jagd hatte begonnen.

"Stirb, Unbgläubiger!" Von allen Seiten her warfen sich Soldaten in den Weg des Assassinen, als er durch die umliegenden Straßen flüchtete, also wechselte er mit ein paar einfachen Handgriffen die Ebene und kletterte nach Oben, um über die Dächer zu entkommen. Hier musst er zwar mit weiteren Bogenschützen rechnen, die Wächter hinter ihm jedoch kamen nun bedeutend langsamer vorran. Altair wandte sich nach Norden in Richtung des Tores, an dem er Shaitan zurückgelassen hatte. Sollte er keine Möglichkeit haben, sich in Akkon selbst zu verstecken, würde er mit dem Hengst in die Wüste flüchten, wo das Tier in rasendem Gallopp alle Angreifer abschütteln würde.

Dem Assassinen blieb keine Zeit, nach sicherem Halt auf seinem Weg Ausschau zu halten, er verließ sich rein auf seinen Instinkt. Die Straßen der Stadt stellten ein wirres Netz aus Wegen da, mit den Dächern verhielt es sich nicht anders. Hier waren hohe und kleine Gebäude wild durcheinandergemischt und nicht selten tauchte hinter einem First plötzlich gähnende Leere auf. Altair sprang, hangelte und lief so schnell er konnte, sein Atem ein regelmäßiges Geräusch im Takt seines schlagenden Herzens.

Dieses verdammte Artefakt, seit es aufgetaucht war, boten sich ihm ständig Rätsel, und die einzelnen Teile, die er daraus lösen konnte, ergaben keinen Sinn. Was hatte der Meister mit dem Templer zu schaffen und warum schien es, als sei alle Welt auf der Jagd nach diesem Ding?

Die Entfernung zwischen ihm und seinen Verfolgern wurde kleiner und er begann, sich nach einer Deckung umzusehen. Wenn die Lage erst einmal ein wenig ruhiger war, würde er zu Parcelsus gehen. Das Blut an seiner Schulter berührend sah er ein, dass er die Heilfähigkeiten des Mönches wohl doch brauchen würde und Yahmuuns Haus lag zu weit im Herzen Akkons. Die Kühle eines schattigen Dachgartens bot dem Assassinen Schutz, als er ganz einfach von der Bildfläche verschwand.

Mitten in der Nacht schreckte Parcelsus aus dem tiefsten und seligsten Schlaf auf, den er seit langen gehabt hatte. Nachdem er seinem Auftraggeber geholfen hatte, in das Hospital zu gelangen, war er in die vereinbarte Schenke gegangen, hatte ein Zimmer gemietet und gewartet. Als der Andere nicht kam hatte der Bettelmönch beschlossen, sein zukünftiges Leben auszukosten und sich erst einmal eine weitere Mahlzeit zu bestellen. Dann streckte er sich wohlig auf seinem Lager aus und döste rasch ein. Geweckt wurde er nun von einem leisen Klopfen an seinem Fenster.

Parcelsus sah sich nach einer Waffe um, als er langsam am das graue Viereck schlich, dass sich in der Dunkelheit des Raumes klar abzeichnete. Helles Mondlicht warf den Schatten einer Gestalt hindurch und der Bettelmönch war unendlich erleichtert, eine weiße Robe zu erkennen. Immerhin befand er sich hier im dritten Stock eines Hauses, da erlaubte er es sich durchaus sich zu fürchten, wenn jemand auf so ungewöhnlichen Wege um Einlass bat.

Schnell schob er den Riegel fort und trat zur Seite, damit sein Dienstgeber eintreten konnte. "Wo wart ihr so lange? Die Glocken haben geläutet, es muss etwas Schreckliches passiert sein! Ich war schon in Sorge um euch!" Die Augen des Mönches weiteten sich, als er Blut an der Robe seines Gegenübers sah. Altair hatte sich bereits überlegt, wie er Parcelsus erneut täuschen konnte. "Ja, mein Freund, was passiert ist, ist unfassbar und grausam! Stellt euch vor, als ich den bedauernswerten Bruder fand, den ich suchte, weilte schon ein anderer Mann in der Kutte meiner Bruderschaft bei ihm. Als ich ihn ansprach, um zu erfahren wer er sei, sprang er plötzlich auf, lief auf Garnier von Nablus zu und rang ihn zu Boden! Er hat ihn getötet und verschwand dann als wäre er nie dagewesen! Die Wächter waren verwirrt und erlagen einem Trugschluss, sie hielten mich für den Mörder, weil ich ihm gleich gekleidet war! Ich musste fliehen und wurde dabei verletzt, aber ich glaube nicht, dass es sonderlich schlimm ist!"

Der Mund des Bettelmönches stand weit offen und Altair dachte schon, dass er zu dick aufgetragen hatte, wurde aber schnell eines Besseren belehrt. "Du meine Güte! Was für eine Katastrophe! Kommt her, setzt euch, lasst mich sehen! Wie konnten diese Männer sich nur so täuschen!" rief Parcelsus aus und wies dem Assassinen einen Stuhl. Dann hastete er zu seinem Bett und zog ein Bündel unter dem Kopfkissen hervor, das er sorgsam aufschnürte und auf dem Bett ausbreitete. "Zieht das aus, wir müssen die Wunde sicher reinigen!"

Erneut war der Mönch völlig verblüfft, als er den Oberkörper seines Gegenübers sah. Eine Narbe zog sich quer über die Brust, die andere verlief von der Achsel abwärts, hinzu kamen einige kleinere, verheilte Verletzungen, die wohl von Stichwunden stammen mussten. Sie alle waren Überbleibsel all der Jahre, die Altair nun schon als Assassine lebte, er bemerkte sie selbst nicht mehr, denn sie wurden ein Teil von ihm, veränderten nicht nur sein Aussehen.

"Mei Gott!" entfuhr es dem Mönch und er wollte zu einer Frage ansetzen, besann sich dann aber eines Besseren, schließlich wurde er nicht dafür bezahlt zu wissen, was sein Auftraggeber in seiner Freizeit wohl so trieb. Mit geübten Fingern wandte er sich der Schulter des Assassinen zu und untersuchte die oberflächliche Verletzung. "Ihr habt recht, nichts schlimmes, mit ein paar Kräutern und einem leichten Verband werdet ihr schon in ein paar Tagen wieder völlig heil sein!" Die seltsam riechende Salbe, die er auftrug, brannte ein wenig, ein Zeichen ihrer desinfeszierenden Wirkung. Bis er fertig war, sprach keiner von ihnen ein Wort, doch als Parcelsus sein Bündel wieder verschnürrte, stand Altair auf, kleidete sich an und machte sich bereit seine Reise nach Jerusalem anzutreten. "Wo wollt ihr hin, es ist tiefe Nacht?" "Ich muss weiter, mein Freund, es gibt da jemanden, der dringend auf meine Ankunft wartet!" Der Assassine gab seinem Diener einen weiteren Beutel mit Geld. "Das sollte reichen, bis ich zurückkehre. Ich habe noch eine Aufgabe für euch, bevor ich reite! Geht in die Asad-Straße zu dem Mann, der in dem ersten Haus gleich links am nördlichen Ende wohnt, und gebt ihm diesen Brief!"

Altair hatte beschlossen, nicht zu Yahmuun zu gehen, bevor er aufbrach. Er wusste, dass er das Vertrauen des Alten besaß und das es nicht notwendig war, vor ihm zu kriechen. Worte des Dankes ließen sich sowieso leichter schreiben als aussprechen und für eine weitere Partie Schach würde noch genug Zeit bleiben, wenn er das nächste Mal nach Akkon kommen würde. Ein unbestimmtes Gefühl verriet ihm, dass dies nicht lange hin sein würde.

Nachdem der Assassine Parcelsus verlassen hatte, ging er durch die einsamen Straßen in Richtung des Tores, vor dem sein Hengst warten würde. Seine Füße bewegten sich wie von selbst, denn er war mit Planungen des Kommenden beschäftigt und erst als er auf einem großen Platz ankam, merkte er, wohin sie ihn geführt hatten.

Vor seinen Augen erwachte die Dunkelheit zum Leben, er sah plötzlich Stände, Tiere, Menschen, in helles Sonnenlicht getaucht, und mittendrin sein altes Ich, weit entfernt und doch so nah. Hier hatte sein Großvater seine Geschäfte betrieben, hier hatten sie Tag ein, Tag aus geschuftet, immer in der Hoffnung auf ein besseres Leben, bis ihr Vater kam und alles um sie zerbrach. Er selbst hatte einen Weg vorgefunden, der ihn aus all der Verzweiflung und den Ängsten geführt hatte, die ihn als Jungen gefangenhielten, und hoffte innigst, dass es seiner Schwester ebenso ergangen war.

Einst war Allada alles, was er besaß, schon als Kind hätte er sie mit seinem Leben beschützt, wenn es notwendig gewesen wäre und doch war er der Erste, der sie so tief verletzte. Die Schläge des Großvaters hatten nur Wunden an ihren Körpern hinterlassen, Altair hatte seiner Schwester jedoch Risse an der Seele zugefügt.

Die kalte Brise, die der Wind vom Meer her über Akkon trug, wehte ihm klar und salzig ins Gesicht, als er sich zwang, weiterzugehen. Es würde die Zeit kommen, in der er sich um diese Dinge kümmern würde, versuchen würde aufzusammeln, was von all dem noch übrig war. Zuvor jedoch musste er wissen, was die rästelhaften Aufträge, die er erfüllte, zu bedeuten hatten.

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* arabisch für "der Blinde"

** spätestens jetzt wärs für den/die geneigten Leser/In ratsam, den ersten Teil "Son of None" zu kennen! ;)