10. Ernten was man säht

10. Ernten was man säht

So schleppend Altairs Suche nach der Wahrheit begonnen hatte, so rasant entwickelten sich nun die Ereignisse. Der neuerliche Zug der beiden Kriegsherren gegeneinander schien Al Mualim zur Eile zu treiben, nicht nur, dass er seinen Schüler sofort nach Damaskus befahl, der dortige Verbindungsmann hatte diesmal keine quälend langweiligen Aufgaben für ihn parat gehalten.
Entgegen aller Erwartungen hatte Rafiq Altair sogar recht freundlich begrüßt und bereitwillig mit Informationen über sein nächstes Ziel versorgt. Der Assassine erfuhr, dass Abu'l Nuqoud als monopolistischer Händlerkönig der Stadt zu den reichsten Bügern gehörte. Er verkehrte nur unter seinesgleichen und umgab sich mit Prunk und Tand, den er aus seinen korrupten Geschäften finanzierte. Abu'l verkaufte verdorbene Ware zu hohen Preisen an die Armen, gewährte allerlei Kredite, forderte jedoch astronomische Zinsen. Es ging sogar die Rede um, dass er Salad al Dhin finanziell unterstützte, denn ein Teil seiner Einnahmen wurde stets von hervorragend bewacht mit mehreren Boten aus Damaskus entsandt.
Nuqoud pflegte es, rauschende Feste für andere Reiche zu geben, auf denen er sein Hab und Gut zur Schau stellt, der Alkohol in Strömen floss und leichte Mädchen die Besucher verzauberten. Es traf sich gut, dass eben am Tage der Ankunft Altairs ein weiteres dieser Gelage stattfinden sollte.
Schon Stunden bevor die Gäste kamen, hatte der Assassine einen Weg in den Palast seines Opfers gefunden. Der Händlerkönig beschäftigte eine Vielzahl an Männern, die seine Auftritte organisierten, ließ Massen an Lebensmitteln in sein Haus schaffen. Für Altair war er keine Schwierigkeit gewesen, sich mit einigen Kisten beladen an die Arbeiter Nuqouds' anzuschließen und so ungesehen an den Wachposten vorbeizukommen. Dann hatte er sich ein sicheres Versteck gesucht und gewartet, bis sich der prachtvolle Hofgarten mit Menschen füllte und Musik und Lachen die Luft durchdrang. Erst als der Gastgeber einen Balkon betrat, um eine Rede zu halten, trat auch er hervor und schlängelte sich langsam durch die Menge nach vorne.
Jeder Zoll an der Kleidung des Händlerkönigs strotzte vor Eitelkeit und es gab viel davon, denn sein fettiger Leib wölbte sich weit vor seinem Gesicht. In seinem Mundwinkel hing Geifer, und wenn er sprach, zuckte diese Seite seines Gesichts nur unkontrolliert vor sich hin. Sein besonderer Dialekt konnte darüber nicht hinwegtäuschen, auch wenn er nobel und geistreich war.
"Seid mir gegrüßt meine Freunde!" rief er über die Köpfe der Anwesenden hinweg. "Dies ist ein denkwürdiger Tag! Ich habe euch hier heute nicht nur versammelt um erneut meinen Reichtum mit euch zu teilen, nein, wir wollen gemeinsam eine letzte Feier begehen, bevor die Zeiten wieder schrecklich werden!" Ein Raunen ging durch die Menge, man hatte bereits viel über die bevorstehende Schlacht gesprochen. "Nun sehe ich, dass ihr euch alle köstlich amüsiert und ganz entgegen meiner früheren Worte an euch muss ich diesmal sagen, dass mir das nicht gefällt!" fuhr Nuqoud fort. Altair konnte spüren, dass er Unsicherheit erzeugte, keiner schien recht zu wissen, was er meinte, doch sein Ziel stellte es bald klar. "Ich habe die Gerüchte gehört, die hinter meinem Rücken kursieren und muss euch sagen, ich bin sehr enttäuscht von euch! Zeit meines Lebens habe ich nur dem Volk gedient, nie eine Bestätigung von euch verlangt und jetzt, da ich mir ein wenig Belohnung für meine harte Arbeit erlaube, fallt ihr mir in den Rücken! Ich sei eitel, ich würde die Menschen betrügen, solcherlei Dinge gehen von euren Mündern aus und vergiften mein Ansehen! Salad al Dhin, der euer Land in den Krieg führt, unterstützt ihr ohne zu fragen, aber mich sucht ihr zu stürzen! Das wird ein Ende haben!"
Um den Assassinen veränderte sich die Stimmung der Menge. Mit einemmal begannen Einzelne zu keuchen und sich an die Kehlen zu fassen, andere krümmten sich plötzlich auf dem Boden, erbrachen sich aufeinander. Der Händlerkönig hob einen Kelch Wein und prostete den Leidenden zu. "Ihr habt alle brav getrunken, schließlich musstet ihr nichts bezahlen! Aber das war ein Irrtum, meine Freunde! Dieses Gift wird euch euer Leben kosten!"
Binnen Sekunden brach Panik auf dem Hof aus. Wer noch stehen konnte, versuchte zu flüchten, wurde jedoch unbarmherzig von den Männern des Händlerkönigs zu Boden gestoßen, verreckte mit verkrampften Fingern und Staub im Mund kläglich an dem heißen Feuer, dass die Adern der Menschen zerriss. Altair war erneut in Deckung gegangen, als Nuqoud von dem Balkon zurück in seine Gemächer trat, es wäre zu gefährlich gewesen, sich ohne Schutz quer durch die am Boden liegenden Leichen zu bewegen, Geduld würde mehr Erfolg bringen.
Als auch der Letzte der Besucher begann, langsam kalt zu werden, zogen die Wächter einen Karren voll Heu auf die Mitte des Hofes und stapelten die Leichen zu einem großen Haufen darauf auf. Die trockenen Halme fingen sofort Feuer, als eine Fackel an sie gehalten wurde und die leckenden Flammen erfassten die Kleider der Toten, formten eine hohe Säule. Der Gestank, der von den brennenden Körpern ausging, war unerträglich, der Assassine musste den Arm schützend vor das Gesicht schlagen, um sich nicht zu übergeben. Nuqouds Männer zogen sich ebenfalls zurück und bald war der Garten verlassen und das Knistern des Feuers dominierte alle Geräusche.
Altair sah sich suchend um und fand schließlich einen Eingang in das Haupthaus des Palastes, wo er sich einige Minuten unter den Schatten einer Treppe erholte und die Umgebung sondierte. Der hohe Vorraum war leer, doch im Stock über ihm konnt er Stimmen hören, die langsam näherkamen. Zwei Wächter traten die Stufen herab und hielten auf den Eingang zu.
"Der Herr wünscht, nicht gestört zu werden! Sorgt dafür, dass niemand dieses Haus betritt! Ich muss mich um diesen Dreck da draußen kümmern!" "Er hätte eine sauberere Methode wählen können, so bleibt die ganze Arbeit wieder an uns hängen!" "War es jemals anders? Aber genug jetzt, es gibt viel zu tun!" Beide Männer verließen die Räume und der Assassine blieb allein zurück. Er horchte noch eine Weile in die Stille, bevor er sich aus dem Dunkel löste und flink die Treppe erklomm.
Oben bot sich ihm ein langer Gang mit dickem Teppich ausgelegt, prunkvolle Gemälde hingen an den Wänden, wo sich nicht reich verzierte Bogenfenster erstreckten. An seinem Ende lag eine schwere, große Tür, deren Ornamente golden glänzten. Altair brachte die letzten Meter schnell hinter sich indem er Anlauf nahm und immer dann zu einer Rolle ansetzte, wenn er von außen durch die Fenster zu sehen gewesen wäre. Der weiche Boden schluckte jedes Geräusch, als er sich wenige Millimeter vor der Türe flüssig aufrichtete und ein Ohr an das kalte Holz presste.
Innen waren keine Gespräche zu hören, aber sonderbare Laute wie die eines quiekenden Ebers. Erst ein spitzer Schrei einer Frau machte dem Assassinen klar, was da vor sich ging. Nuqoud musst eine seiner Kurtisanen zu sich befohlen haben und war nun fleißig an ihr zu Gange. Seine Aufmerksamkeit würde also mit Sicherheit nicht sofort Altair gelten, wenn dieser das Zimmer betrat. "Kein Risiko, kein Gewinn!" fuhr es ihm durch den Kopf, als er eine Hand an den Knauf legte, die Türe aufzog, blitzschnell hindurchschlüpfte und sie leise wieder schloss.
Das Glück war auf seiner Seite, der Händlerkönig konnte ihn nicht sehen, sein Rücken war gegen die Tür gerichtet, als er auf einem großen Bett seiner Befriedigung genüge tat. Sein massiger Körper versperrte auch dem Mädchen die Sicht und so konnte sich der Assassine einige Sekunden Zeit nehmen, den rechten Winkel abzuschätzen, bevor er auf Nuqouds Rücken landete, ihm die Wirbelsäule alleine durch sein Aufkommen brach und den Dolch tief in den fleischigen Massen des Händlers versenkte. Die Hure schrie auf, ihr Schrei brach aber ab, als Ohnmacht gemeinsam mit Abu'l Nuqoud über ihr zusammenfiel. Seine Augen waren von Schrecken geweitet, als Altairs Gesicht neben ihm auftauchte und sein Mörder zu ihm sprach.
"Findet Frieden. Worte können euch nicht mehr verletzen." Der Händlerkönig stotterte geifernd, konnte nur mühsam antworten. "Wa-a-ar-rum tut i-h-hr das?" "Ihr seid ein Betrüger, ein korrupter Bastard, Nuqoud! Ihr tötet eure eigenen Gönner, bestehlt jene, die ohnehin nichts mehr haben, um jemanden zu unterstützen, der euren Interessen dient. Wer ist er und warum?" Rasselnd holte Abu'l tief Luft. "Seht mich an! Keiner der heute gestorben ist, hat je mich verehrt, sondern nur meinen Reichtum! Was bin ich schon, wenn man von meinen edlen Kleidern, meinen Habtum absieht? Ein Monster, unwürdig zu leben!" "All das nur aus reiner Selbstsucht? Was ist mit eurem Glauben?" Altair verzog das Gesicht ob des stinkenden Atems seines Opfers, als dieses glucksend lachte. "Warum sollte ich einem Gott dienen, der mich so erschaffen hat?" "Wenn du jene, die ihm folgen, nicht unterstützt, wessen Gründe heiligst du dann?" "Ihr stellt Fragen, auf die ihr die Antwort längst wisst! Meine Brüder sind nicht anders als ihr und euresgleichen, wir alle töten nur für den Frieden! Wir beide sind eins!"
Gerne hätte der Assassine seinem Ziel noch mehr Schmerzen zugefügt, riss sich aber selbst noch zusammen, als Abu'l fortfuhr. "Ich sehe es in euren Augen! Ihr fürchtet uns und ihr werdet uns nicht davon abhalten können, eine neue Welt zu erschaffen!" Der Tod erlöste den Händlerkönig von den Qualen, mit denen er Zeit seines Lebens geschlagen gewesen war. Altair fühlte zum ersten Mal keine Leere in der Aura der Seele, die den unförmigen Körper verließ sondern beinahe Licht, Erleichterung, Freude. Er hatte einem Menschen ausgelöscht und ihm damit einen Gefallen getan.

Es gab keine Flucht, denn es gab niemanden, der Nuqoud vermisste, zog er sich mit seinen Gespielinnen zurück, kam er oft nicht vor dem nächsten Morgen wieder aus seinem Zimmer und das Mädchen war immer noch bewusstlos, als Altair die beiden verließ. Ungehindert kehrte er zu Rafik zurück, überbrachte ihm die Nachricht seines Erfolges und verließ noch in der gleichen Stunde, in der er den Händlerkönig getötet hatte, die Stadt, um nach Akkon zu reiten. Es waren nicht nur die eiligen Befehle des Meisters, die ihn vorantrieben, Altair freute sich  darauf, Al Mualim wieder entgegenzutreten, denn diesmal würde er Antworten verlangen, keine weiteren Fragen akzeptieren. Nur noch ein Punkt auf der Liste lag zwischen ihm und Maysaf und er gedachte, ihn ebenso schnell zu erledigen wie Nuqoud.
Yahmmun El Awara erwartete ihn bereits, hatte bitteren Kaffe und das Schachbrett bereitgestellt. Die beiden Assassinen erlaubten sich nur einige kurze Begrüßungsformeln, bevor sie zum wesentlichen kamen. "Nun Altair," sprach der Alte, der diesesmal das Spiel eröffnete, "euer Ruf scheint zumindest zum Teil wieder hergestellt! Wilhelm von Montferrat, euer nächstes Ziel, ist bei weitem nicht so unbedeutend wie der Mann, den ihr bei eurem letzten Besuch eliminiertet." Sein Gegenüber lenkte seine Aufmerksamkeit keine Sekunde vom Spielbrett zwischen ihnen. "Richards rechte Hand? Al Mualim greift also direkt in den Krieg ein?" Yahmmun nickte anerkennend über die Wahl des Jüngeren bezüglich ihres Schachspiels und fuhr monoton fort. "Das haben wir alle von Anbeginn an getan, mein Junge! Es mag uns nicht immer behagen, doch letzlich sind wir alle nur Politiker auf unsere ganz eigene Art und Weise!" Altair schwieg, er versuchte nicht durchblicken zu lassen, was in seinem Kopf vorging, doch Yahmuun war nicht zu unrecht trotz seines Alters und seiner Behinderung zum Büroleiter ernannt worden. Als der Assassine die nächste Figur über die schwarzweißen Felder zog, legte sich die Hand des Alten auf die seine. "Was bedrückt euch? Und sagt mir nicht, dass es die Last der Verantwortung auf euren Schultern ist, ihr strebt danach sie zu tragen!" So aus der Reserve gelockt, sprach Altair schneller als er dachte, glücklicherweise nutzte sein Gegenüber dies jedoch nicht aus.
"Yahmmun, ihr seid schon sehr lange ein Mann unseres Ordens, angeblich ward ihr schon lange Assassine, bevor Al Mualim zum Meister aufstieg." "Ja, das ist wahr. Ich sah seinen Weg nach oben und auch jenen Cihans, wenn das eure nächste Frage ist!" Beinahe väterliche Züge legten sich auf das Gesicht des Alten. "Würdet ihr mir davon erzählen?" bat Altair hoffnungsvoll. "Da gibt es kaum Worte zu verlieren! Sie waren die richtigen Männer zur Richtigen Zeit am rechten Ort! Wenn ihr einst mein Alter erreicht haben werdet, wird euch klar sein, dass Umbrüche und Revolutionen eine notwendige Sache sind. Führer kommen und gehen wie Jahre, sie beginnen ihre Herrschaft alle gleich, mit edelmütigen Zielen und die meisten von ihnen gehen auf genau dieselbe Art und Weise unter: Sie werden gestürzt von jenen, die noch höhere Ansinnen haben." "Al Mualim hat also den alten Meister getötet?" "Nein, Altair, so einfach ist das nicht. Noch nie hat ein Assassine wirklich seinen Meister getötet, wir werden nicht umsonst die Herren der Schatten genannt! Wir sind viel subtiler, es beginnt damit, das Gerüchte umgehen, dass ein schlauer Mann mit großen Ideen den rechten Moment nutzt. Was die meisten dabei übersehen ist nur, dass sie danach auch halten müssen, was sie versprechen! Al Mualims Meister ist friedlich entschlafen, seine Macht hatte er jedoch schon lange vor seinem Tod verloren." Ein Läufer des Verbindungsmannes fiel vom Spielbrett, als ein schwarzes Pferd ihn schlug.
"Und mein Vater? Was hatte er mit dem allem zu tun?" "Was ist unser Glaube, Altair?" "Das nichts wahr und alles erlaubt ist!" "Diese Worte sind seit jeher unser Bekenntnis an das Leben, aber interpretiert wurden sie von Herrscher zu Herrscher verschieden. Ihre heutige Bedeutung verlangte, dass Al Mualim ein Exempel dafür erschaffen musste, dass ein Mann völlig frei von Glauben, der sich nur an der Suche nach Frieden orientiert, erfolgreicher ist als jene, die im Auftrag eines Gottes handeln. Die Assassinen waren von jeher religiöse Menschen und er suchte, ihre Welt völlig auf den Kopf zu stellen. Cihan war wie geschaffen dafür, er kam aus Persien als Waisenjunge mit einer Karawane und wurde unserem Meister um wenig Geld verkauft." Das Spiel endete je, als Altair aufsprang und dabei das Brett mit sich riss.
"Ihr wollt sagen er war ein Sklave? Wollt ihr mir auch den Rest meiner Ehre rauben?" fragte er atemlos. Yahmmuns leerer Blick folgte ihm. "Ihr habt mich darum gebeten, euch zu berichten. Es gibt keine eine Wahrheit, was ich sah, ist nur ein Teil davon. Setzt euch!" Der Assassine sank mehr zusammen, als dass er dem Befehl folge leistete und erhob keine Wiederworte mehr, als der Alte fortfuhr. "Er war mehr als ein Leibeigener, es stellte sich heraus, dass Al Mualims Wahl nur zu gut war. Cihan glaubte an nichts mehr, ihm war alles schon in jungen Jahren genommen worden und in ihm brodelte Hass, tiefe Verachtung für jeden, der sich seinen Feind nannte. Unter der Führung unseres Meisters wurde er zu einem Phantom für unsere Widersacher und brachte völlig neue Dimensionen der Kontrolle mit sich! Durch seine Hand starben nicht nur Menschen, sie wurden vorher völlig in den Wahnsinn getrieben! Cihan stieg nachts in ihre Gemächer und legte eine blutige Feder neben ihre Köpfe, Monate, bevor er sie endgültig aufsuchte. Euer Vater war der perfekte Mörder, er hatte die Kunst des Tötens im Blut!"
Yahmmun räusperte laut und stärkte sich an einem Schluck des belebenden Getränks. Immer noch sprach Altair kein Wort, hielt den Kopf gesenkt und der Verbindungsmann konnte ihn vor seinem inneren Auge sehen, auch wenn es nicht wirklich er, sondern eine Reflexion seines Vaters war.
"Aber schließlich passierte, was geschehen musste. Cihan und Al Mualim hatten annähernd gleiche Ziele, aber wohl verschiedene Wege, sie zu erreichen. Sie kamen immer öfter in Zwist miteinander und niemand vermag zu sagen, worüber sie stritten, ihre Gespräche fanden stets im Geheimen statt. Und dann hat euer Vater plötzlich eines Nachts Maysaf überstürzt verlassen, ohne Auftrag, wohl aber mit einer festen Ahnung. Unsere Feinde hatten einen Weg gefunden, ihn zu einem Kampf zu zwingen, indem sie irgendwie herausfanden, dass ihr und eure Familie existiert. Wenn er gefragt hätte, Altair, jeder von uns wäre mit ihm geritten, um euch zu retten! Aber er hat es nicht getan, er nahm nur Malik al Sayr mit sich." Der Alte entschied, dass er seinem Gegenüber genug zugemutet hatte, seufzte laut und lange und erhob sich endlich, um die Figuren aufzuheben. Sofort löste sich Altair aus seiner Starre und half ihm, der nur tastend das Chaos ordnen konnte.
"Ich danke euch. Seid gewiss das ich euch eure Ehrlichkeit vergelten werde!" "Ein Mann, ein Wort! Geht und tötet Wilhelm von Montferrat! Reitet nach Maysaf und findet Antworten! Ihr seid ein Mann mit großen Ideen, Altair, und der rechte Moment für euch wird kommen!"

Parcelsus genoss das Leben in vollen Zügen. Seit er im Auftrag des seltsamen Fremden stand, musste er nichts missen, er hatte mehr als genug Bezahlung bekommen, um Monate lang damit auszukommen. Pflichtbewusst wie er war, verprasste er nicht etwa das Geld und machte sich aus dem Staub, sondern nahm seine Aufgaben wahr. Der Bettelmönch striff durch Akkon, lauschte dem Gerede der Menschen, lud den einen oder anderen Mann auf ein Glas Wein ein und verwickelte ihn in Unterhaltungen, aus denen er viel erfuhr. Parcelsus war wie ein wandelndes Notizbuch, inzwischen wusste er sogar, wann welcher Händler was an hochgestellte Persönlichkeiten verkaufte.
Die Aussicht, sein Wissen endlich teilen zu können, erfüllte seine freudige Begrüßung, als Altair ihn aufsuchte. "Mein Herr! Wie schön euch zu sehen! Ihr seid wohlauf!" "Seid gegrüßt, Freund! Euch scheint es ebenso gut zu ergehen!" Der Bettelmönch lachte und legte eine Hand auf seinen gefüllten Wampen. "Allerdings, dank euch und eurer Großzügigkeit! Kann ich euch diesmal behilflich sein, um wenigstens ein wenig meine Dankbarkeit auszudrücken?" Der Assassine war mit sich selbst zufrieden, er hatte den Alten richtig eingeschätzt. "Das könnt ihr wohl! Der Herrscher Akkons," "Wilhelm von Montferrat?" unterbrach Paraelsus ihn. "Ja, genau dieser. Wo befindet er sich zur Zeit?"
Durch die Jahre seines Lebens hatte der Bettelmönch gelernt, sich zu wundern, aber keine Fragen zu stellen, wenn sie ihm nicht angeboten wurden. "In seinem Palast, er hat hohen Besuch! Richard selbst ist gekommen, um erneut mit ihm über die Lage zu sprechen. Wisst ihr, die beiden sind sich nicht gerade einig darüber, wie diese Stadt zu führen ist...Wilhelm ließ eben erst letzte Woche einen Großteil der Gefangenen töten, die der englische König ihm zur Bewachung sandte. Das Volk spricht davon, dass Richard gekommen ist um ihn ein letztes Mal zu ermahnen." "Gut, habt meinen Dank. Benötigt ihr etwas, kann ich euch etwas Gutes tun?" Wenn Al Mualim Altair etwas gelernt hatte, dann war es, dass man seine Männer immer bei Laune halten musste, solange sie erfolgreich arbeiteten. "Ihr habt schon mehr getan als nötig, mein Herr! Wenn ihr meine Dienste erneut in Anspruch nehmen würdet und ich euch helfen kann, wäre mir der größte Gefallen getan!"
Mit einem stummen Nicken verließ Altair Parceslus und tauchte wieder in die Sphären Akkons ein. Die Erinnerung an was er hier erlebt hatte, lag meilenweit entfernt, getrennt von ihm durch die Puzzleteile der Geschichte, die er in sorgsamer Kleinarbeit zusammentrug. Er musste zurückkehren und Allada finden, ihr sagen, was er herausgefunden hatte, sobald die Bruchstücke einen Sinn für ihn ergeben würden.

Der Palast des Herrschers von Akkon war eine prächtige Festung, geziert mit flatternden Fahnen der Kreuzritter, geschützt durch ein schweres, eisernes Gitter. Auf dem Platz vor ihm waren viele Menschen versammelt, mehr noch als sonst. Der Besuch Richard von Englands' scheuchte die Massen auf, bereits mehrmals waren sie Zeuge der Auseinandersetzungen zwischen den beiden christlichen Kriegern geworden und jedesmal hatte sich ein Schauspiel geboten. Richard war auf Wilhelm in gewisser Weise angewiesen, ihr Blut war verbunden durch unzählige Hochzeiten unter ihren Familien, sie waren jedoch nie einer Meinung gewesen.
Der engliche König stand in dem Ruf, ein wahrhafter Kämpfer zu sein, der auf dem Schlachtfeld neben seinen Männern stand, während Wilhelm von Montferrat sich hinter die schützenden Mauern Akkons zurückgezogen hatte und Politik betrieb, Ränge schmiedete von denen keiner so richtig wusste, mit wem sie geschlossen wurden.
Die beiden Kriegsherren hatten sich bereits des Morgens in den Palast zurückgezogen und es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Gespräche endeten, denn ohne Hektik aber bestimmt wurden die Wachen auf dem Platze verstärkt, das Volk etwas weiter zurückgedrängt. Altair mischte sich unter die Menschen und erreichte die vorderste Reihe des Koridorrs, den die Soldaten in der Menge bildeten eben in jenem Moment, als schmetternde Fanfarenstöße die beiden Herrscher ankündigte. Das schwere eiserne Gitter wurde hochgezogen und flankiert von Soldaten ritt Richard von England auf einem großen Schlachtross hindurch. Wilhelm ging neben ihm und es war ihm von Weitem anzusehen, dass der Höhenunterschied ihm nicht behagte. Die beiden Kriegsherren waren so vertieft in ihr Streitgespräch, dass sie es selbst hier, vor der versammelten Menge, weiterführten.
"Dreitausend Seelen, Wilhelm! Diese Gefangenen waren zum Austausch gegen unsere eigenen Männer bestimmt!" Die Stimme des englischen Königs war deutlich erhoben, auch wenn er nicht schrie. Sein Untergebener hingegen sprach leise, drohend, als er anwortete. "Die Sarazenen hätten ihr Wort nicht gehalten! Eigentlich sollte ich dafür belohnt werden, dass ich euch von dieser Last befreit habe!" "Natürlich, ich soll euch noch befördern dafür, dass ihr dem Feind nur noch mehr Argumente gegen uns liefert! Salad al Dhin wird nun bestrebter sein mich zu töten, als  je zuvor, aber vielleicht ist es ja genau das, was ihr bezweckt habt!" Richard hatte das Pferd angehalten und sah erwartungsvoll auf Montferrat herab, der vor Wut kochte. "Ihr seid ungnädig, wenn ihr behaupten wollt, ich sei ein Verräter! Habe ich nicht durch meine großen Taten endgültig euer Vertrauen verdient?" "Ihr seid wie ein machthungriges Kind, Wilhelm! Ich habe euch zum Regenten von Akkon gemacht, um in meinem Namen hier zu regieren, welche Zeichen meiner Zuneigung verlangt ihr noch? Soll ich abdanken und euch Krone und Thron überlassen?" Gespannt lauschte der Assassine der Unterhaltung, er fand es beinahe amüsant zu sehen, wie sein Opfer alle Kräfte an sich halten musste, um Richard nicht ins Gesicht zu springen. "Ihr verdreht den Sinn meiner Worte, Richard, das tut ihr immer!" brachte Montferrat schießlich zwischen gepressten Lippen hervor. Sein Herr lächelte müde und wandte sein Pferd, warf nur über seine Schulter einige Worte zurück. "So gerne ich meine Zeit mit euren Torheiten vergeude, ich habe einen Krieg zu führen! Wir werden dies ein andermal fortsetzen und bis dahin verlange ich, dass ihr keine Entscheidungen mehr trefft, ohne mich vorher benachrichtigt und um Erlaubnis gebeten zu haben!"
Ein Tross aus schwer Bewaffneten verließ die Szene gemeinsam mit dem englischen König, während Wilhelm von Montferrat in dem wesentlich kleinerem Kreis seiner Männer zurückblieb. "Die neue Welt wird für Männer wie ihn keine Verwendung haben!" knurrte er, bevor er sich seinen Wachen zuwandte. "Ich will mit den Truppen sprechen, befehlt sie sofort in das Wachhaus! Ich werde keine Nachlässigkeiten mehr dulden, es ist schlimm genug, dass ihr dabei versagt habt, Garnier von Nablus zu schützen! Wer es wagt auch nur eine Sekunde zu spät zu kommen, wird schwer bestraft!"
Schnaubend wandte sich der Herrscher von Akkon um und stolzierte wieder in seine Festung, die einem kleinen Stadtteil glich, in dem die Wächter und Soldaten wohnten. Trotz der Art und Weise, wie er mit seinen Männern umsprang, fühlte er sich immer noch wohl bei dem Gedanken, so viele ihrer Schwerter um sich zu wissen und Altair sann darüber nach, warum.
Keines seiner bisherigen Ziele hatte sich vor einer Rebellion jener gefürchtet, die es unterdückte und vielleicht war der Hintergrund dafür schlicht und einfach jener, dass das Volk, gebeutelt von den Zeiten des Krieges, ihre Taten nicht mehr als jene Abscheulichkeiten wahrnahmen, die sie im Endeffekt waren. Man konnte sich auch an die größten Schrecken gewöhnen, dass wusste der Assassine aus eigener Erfahrung, denn er brachte genug Horror unter die Menschen, ohne das ihn je sein Gewissen plagte. Vielleicht hatte Nuqoud recht behalten, Altair war den Brüdern des mysteriösen Ordens nicht unähnlich. Seiner festen Überzeugung folgend stürzte er sich in Gefahren, ohne wirklich anzunehmen, jemand könnte ihn aufhalten. Mut war nicht immer eine positive Eigenschaft.

Einige Stunden später versammelten sich alle verüfgbaren Männer der Stadtwache im Haupthaus ihres Viertels, um ihre nunmehr schon tägliche Rüge zu empfangen. Wilhelm wurde immer mürrischer, er begann Richard offen vor ihnen zu diffamieren und verlangte Treueschwüre, keine einfache Unterzeichnung eines Soldvertrages. Die meisten von ihnen hatten nicht mehr das Gefühl Kreuzritter zu sein, sie gehörten zu seiner ganz eigenen Garde, denn er hatte ihnen ein paradisisches Leben in der neuen Welt prophezeit, genug um einen jungen Mann in der kargen Umgebung für seine Sache zu begeistern. Dutzende der Soldaten waren mit der Hoffnung auf große Abenteuer in den Orient gegangen und hatten nichts vorgefunden als Schmutz, Blut und eine endlos wirkende Wüste voller Gefahren. Die Aussicht auf ein besseres Leben zog sie magisch an und sie waren bereit, dafür alles aufzugeben.
Altair sah, wie sie an Wilhelms Lippen hingen, jedes seiner Worte aufnahmen ohne es zu hinterfragen. Er sah ihre leeren Augen, ihre offnen Müner und ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn. Hatte er nicht selbst so vor seinem Meister gestanden, war nicht viel von dem, was Al Mualim ihn gelehrt hatte, in seinen Geist gedrungen ohne eine Prüfung zu erfahren? Etwas Unbekanntes regte sich in ihm, ein verborgener Gedanke, den er nicht greifen konnte. Seine Starre wurde beendet, als Wilhelm endgültig einen offenen Verrat an seinem König beging.
"Ich weiß, ihr alle gebt was ihr könnt, um in diesen schwierigen Zeiten unser Banner hoch zu halten, aber ich muss euch sagen, es ist nicht genug! Lange haben wir auf diesen Moment gewartet und jetzt droht Richard ihn uns zu zerstören! Sein neuerlicher Kreuzzug raubt uns die Zeit, die es uns erlaubt, unsere neue Welt zu schaffen, jenen Garten Eden, in den ihr alle eingehen sollt! Wollt ihr wirklich, dass dieser Bastard euch ewige Freuden verwehrt? Wir haben zu hart gekämpft, um das zuzulassen! Wenn unsere Verbündeten zu uns gestoßen sind, werden wir handeln! Das Heilige Land wird nicht länger von Tyrannen geknechtet sein, Akkon als seine Hauptstadt zu neuem Glanz erblühen und ihr," er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, "werdet die Herren dieses Grund und Bodens! Seid euch bewusst, dass nur jenem diese Ehre gebührt, der treu und ergeben meinen Anweisungen folgt! Verriegelt diese Stadt, niemand außer unserer Freunde soll noch passieren, und lasst uns ein neues Zeitalter einläuten! Ich will alle Bogenschützen auf den Mauern, jeden verfügbaren Mann an den Toren, Wächter, die die Straßen durchstreifen! Das Volk schreit nach Ordnung und wir werden sie ihnen geben!"
Wilhelm erntete hochgestreckte Fäuste und wilde Schreie für seine Rede, emsig machten sich seine Untergebenen daran, die Befehle auszuführen. Mit einem Glanz in den Augen blieb er alleine zurück, stütze seine Hände auf den schweren Tisch vor sich und erlaubte sich einen Moment der Schwäche. Diese verdammte Krankheit begann, ihn immer mehr zu zerstören, erst hatte er die plötzlichen Krämpfe nur selten wahrgenommen, jetzt traten sie immer häufiger und nach jeder größeren Aufregung auf. Monteferrat wusste nicht, wieviel Zeit ihm noch blieb, aber sie musste reichen, um seinen Traum zu erfüllen...den Traum davon ein Schöpfer zu sein.
Altair löste sich aus seinem Versteck und eilte lautlos einen Balken entlang, der ihn direkt über Wilhelm von Montferrat in Position brachte. Akkons' Herrscher wähnte sich trotz des Todes seines Verbindungsbruders Garnier nicht in Sorge um sein eigenes Leben, niemand war geblieben, der ihm zu Hilfe eilen konnte. Dennoch zerstörte der Assassine ihn nicht, sondern beschleunigte nur das unvermeidliche Sterben. Wie ein stürzender Adler rauschte er auf sein Ziel herab, stieß es mit dem Oberkörper auf die Tischplatte und trieb den Dolch in den Hinterkopf des Mannes. Wilhelm bäumte sich auf, verlor das Gleichgewicht und sank in Altairs Arme, der ihn, begleitet von den Worten: "Ruht euch aus, euer Auftrag ist zu Ende!" vorsichtig zu Boden gleiten ließ. In dem Ausdruck seines Opfers lag Überraschung, doch kein Schmerz, der Adelige hatte schon lange mit seiner Existenz abgeschlossen. Er atmete ruhig, bewegte sich nicht, um die letzten Kräfte des Lebens nicht unnütz zu vergeuden. "Was wisst ihr schon von meinem Wirken!" "Das ihr Richard zu töten sucht! Ihr wollt die Krone für euren Sohn sichern!" Still dankte Altair Paracelsus für seine stets offenen Ohren. Wilhelm versuchte zu lachen, stieß jedoch nur einen kleinen Schwall Blut aus, der von seinem Kinn auf die Robe seines Mörders rann.
"Ihr meint Konrad? Er ist ein Aas, ich habe bei seiner Erziehung versagt! Und Richard ist wie von Sinnen, völlig von seinem Glauben geblendet! Glaubt ihr etwa ernsthaft, dass es einen heiligen Gral gibt? Eine Bundeslade?" Der Assassine antwortete nicht und so fuhr Wilhelm fort. "Eben. Diese Stadt gehört nicht irgendeinem Gott, sie gehört dem Volk! Alles was ich tat war, sie auf eine neue Welt vorzubereiten!" "Indem ihr sie bestohlen habt, sie töten ließt?" "Ihr habt keine Ahnung! Seht euch an, ihr seid doch noch beinahe ein Kind! Wie solltet ihr da von Führung wissen! Ich habe Lagersysteme erschaffen, um für schlechte Zeiten Vorrat anzulegen, ich habe Ordnung und Disziplin gebracht und die Menschen dankten es mir!" Altair spuckte verächtlich neben dem Kopf seines Opfers auf den Boden. "Ihr lügt. Euer Bestreben gilt ebensowenig dem Volk, wie jene von Richard und Salad al Dhin!" "Aber das eure tut es, wollt ihr sagen? Nun, wir werden sehen, welche Früchte eure Arbeit tragen wird! Ihr befreit das Heilige Land nicht, ihr verdammt es endgültig! Wenn ihr uns alle auslöscht, wird es niemanden mehr geben der ihn aufhalten kann!" "Wen?" zischte Altair scharf, aber Wilhelm weilte nicht mehr unter den Lebenden. Er hatte den Tod kommen gespürt und sichergestellt, dass er diese Frage nicht mehr beantworten können würde, auch nicht unter der größten Folter. Die Ernte würde auch ohne ihn eingebracht werden, was zählte war die Saat.  

Das Entkommen war ob seiner blutgetränkten Kleidung nicht einfach gewesen, aber erneut war Altair wie von unsichtbaren Kräften nahezu über die Dächer getragen worden. Die Erkenntnis, dass er Al Mualim keine Macht mehr über sich erlauben durfte, war völlig befreiend für ihn, als wären all seine Empfindungen und Reaktionen bisher immer gedämpft gewesen. Stärke durchfloss seinen gespannten Leib, der Geist pfeilschnell, die Seele selbst dennoch ruhig.
Shaitan hingegen war immer noch derselbe, er scheute schon, als sein Reiter aus dem Dunklen schnellte, behende in den Sattel sprang, und der Hengst raste wie von Teufeln angetrieben los, ohne sich recht führen zu lassen. Es war ohnehin nicht nötig, ihn anzuleiten, er und sein Herr waren in Gedanken verbunden. Hoch in den Bergen, im Tale Maysafs, lagen die Schlüssel zu all diesen Rätsel, dort würde er suchen müssen, um zu erfahren, was er so dringend zu wissen verlangte. Die Wüste hatte sich erhoben, ein heftiger Sandsturm fegte über die Dünen hinweg und hüllte Pferd und Reiter in seinen fürchterlichen Staub. Für die wenigen Wächter auf ihrem Weg, die hie und da einen Blick aus den schützenden Zelten warfen war es, als ritte der Tod selbst in der eisigen, grausamen Nacht vorbei.

Maysaf begrüßte Altair nicht wie sonst mit dem Hass seiner Brüder, vielmehr sah jeder durch ihn hindurch. Es war, als wäre er nicht existent, sie wichen seinem Blick aus, niemand sprach ihn an. Die war keine Geste der Unstimmigkeit, vielmehr ein Tribut, denn er hatte sie als degradierter Schüler verlassen und war binnen kürzester Zeit als Meisterassassine zurückgekehrt, der die Straßen des Heiligen Landes mit dem Blut seiner Opfer rot färbte, dass verlangte ehrlichen Respekt.
Selbst Al Mualim erwies ihm diesen, indem er ihn davon abhielt, vor seinem Meister zu knien, er ließ den Assassinen wissen, dass er dies für den Stand eines Mannes wie ihm als nicht angemessen erachtete. Altair achtete genau auf den Eindruck, den der Alte hinterließ, nicht mehr so sehr auf seine ehrhaften Beteuerungen des Stolzes. "Ich sah einst Großes in euch, mein Kind, und ich sollte recht behalten!" "Ich bin nicht euer Sohn!" war die trockene Antwort seines Schülers. Der Meister gab sich für einen Moment Blöße, als er mit den Brauen zuckte, sein Gegenüber registrierte das sofort. "Ich habe euch bewiesen, wozu ich fähig bin! Beendet eure Spiele mit mir und behandelt mich wie einen Bruder, mit Ehrlichkeit!" "Geduld, Altair, ihr seht doch selbst, dass ihr noch immer nicht demütig vor mir seid!" zischte der Alte. "Ist es das was ihr wollt? Einen Hirnlosen Sklaven, den ihr zu eurer Marionette machen könnt? Nein, Meister, das war es, was ihr in meinem Vater vorgefunden habt! Wenn ich euch MEINE Treue erneut schwören soll, müsst ihr mich zu eurem Verbündeten machen!"
Keine Drohung, kein Vorwurf, nur Tatsachen sprachen aus der Haltung des Assassinen. Al Mualim beschloss zu einem letzten Trick zu greifen, um die Oberhand zu behalten. Langsam schritt er an seinen Tisch, öffnete ein reich verziehrtes Kästchen und barg seinen Schatz in seiner Hand, als er sich umdrehte.
"Als ich euch die Bibel lehrte, habe ich euch von einem Mann erzählt, der Wunder vollbrachte." "Ihr meint Jesus von Nazareth." "Ja. Aus dem Koran kennt ihr einen anderen, mit selben Wirken, den Propheten. Vielerlei Religionen haben ihr Glaubenszentrum hier in diesem Land, habt ihr euch je gefagt warum?" Altair hob seine Augen, sah den Alten stechend an. "Wohin führt das?" "Zu dem Grund, warum ihr hierseid, Fidai. Jedes Wunder, dass die Heiligen je hier vollbrachten, war nicht mehr als eine Projektion dieses Gegenstandes," Al Mualim öffnete seine Finger und ließ es zu, dass sein Schüler das Artefakt näher betrachten konnte, "einer Laune der Natur. In diesem festen Gehäuse befindet sich ein einfacher Stein, einst im Staub der Wüste gefunden, als eine Karawane dem Trugbild einer Oase folgte. Diese scheinbar tote Materie ist fähig, die Realität zu verändern und das ist es, was seid jeher mit ihr getan wurde! Jesus Christus ist nie über Wasser gewandert, er hat nie einen Blinden geheilt, alles was er tat war die Menschen glauben zu lassen, es wäre so und ihnen ein verzerrtes Bild vorzuhalten! Und er war nicht der Einzige, denn Wunder und Gebote, Altair, gibt es nicht, genausowenig wie es einen Gott gibt!" "Ich verstehe nicht, was ihr damit sagen wollt!" "Aber ihr werdet es! Stellt euch vor, ihr könntet alles um euch neu erschaffen, alles nach euren Ideen gestalten und jeder würde euch folgen, ohne euch zu hindern!  Dies könnte eine Reflexion von Frieden sein, aber wir Menschen sind nicht dazu geboren, keinen Krieg zu führen! Wir werden ruhelos, rastlos, wenn wir unseren Instinkt nicht ausleben können! Wer alles besitzt, wird niemals glücklich sein, wird alles unterwerfen. Diese Männer, die ich von euch töten lasse, wollen alles zerstören, alles nach ihren Ansichten gestalten, und wie ihr wohl selbst erkannt habt, können wir das nicht zulassen, denn sie sind nicht weise, sondern töricht und grausam!"
Nur schwer konnte der Assassine seine Augen von dem Artefakt lösen, er hörte sich mehr fragen als das er bewusst sprach. "Der seltsame Orden? Sie trachten danach die Welt zu verändern! Wer sind sie und was habt ihr mit ihnen zu tun?" Al Mualim trat an seinen Schüler, ihre Blicke kreuzten sich. "Hört mir gut zu, Altair, nur dieses einemal, hört was ich euch sage! Ich werde euch alles geben, was ihr von mir verlangt, euch in alle Geheimnisse einweihen, die ihr zu erfahren wünscht aber vertraut mir wenn ich sage, dass die Zeit drängt! Sie wollen das Artefakt und sie werden es sich holen, wenn wir nicht schneller zuschlagen! Wir müssen das Heilige Land vor diesen Bastarden schützen, bevor sie uns in ein Heer willenloser Untoter verwandeln!" 
Al Mualim war enttäuscht, dass sein Versuch nicht die rechte Wirkung zeigte. Altair wurde verwirrt von dem Glanz des Artefaktes, aber er wurde nicht von seiner Kraft gebrochen. Der Meister stellte fest, dass sein Schützling ihm endgültig zu entgleiten begann und pokerte hoch, um die letzte entscheidende Phase seines Plans zu retten. "Cihan war niemals mein Sklave, er war für mich wie ein Bruder und auch wenn ich euch zustimmen muss, dass ihr nicht mein Sohn seid, so fühle ich für euch zumindest wie für einen Neffen! Seit ihr unter meinem Schutz weilt habe ich mich immer bemüht, euch nur das Beste zukommen zu lassen, selbst als ich euch töten wollte, geschah es nur zu eurem eigenen Vorteil! Warum vertraut ihr den Reden anderer, die bedeutend weniger für euch getan haben?" Der Schatz fand seinen Weg zurück in das Kästchen und der Alte schloss es vorsichtig, während Altair sich nicht vom Platze rührte. "Ich vertraue niemanden, Meister, nur mir selbst und ob ich euch glaube ist von dem Gefühl abhängig, dass eure Wahrheit in mir erzeugen wird. Nachdem, was ich über eure letzte Begegnung mit meinem Vater hörte, kann es nicht Freundschaft gewesen sein, die euch dazu bewog mich aufzunehmen, ihr habt euch im Zwist getrennt!" "Seht ihr, hier liegt die Gefährlichkeit darin, wenn ihr dem, was andere sahen, Bedeutung beimesst! Ich will nicht leugnen, dass unsere letzte Auseinandersetzung von hitzigen Worten getrieben war, doch habt ihr auch den Grund für sie erfahren?"
Endlich regte sich der Assassine, wanderte zu dem Fenster und überlegte einige Sekunden lang. Der Meister mochte nicht sein Vertrauen genießen, aber was er sagte war plausibel. "Nein. Aber ihn mir zu erklären ist das Mindeste, das ich von euch verlangen kann, bevor ich neue Befehle entgegennehme!" "Nun gut, dann sollt ihr es haben! Ich erhielt eine Nachricht vom Büroleiter in Akkon, der mir mitteilen ließ, dass sich Vannino Leruzzis* Männer darum bemühten, euch und eure Familie zu finden. Sofort ließ ich Cihan zu mir rufen, um ihn in Kenntnis zu setzten und die Erlaubnis zu erteilen, dass er euch hierher zurückholt. Unser Streit bezog sich darauf, dass ich darauf bestand, ihm eine schlagkräftige Truppe hoher Brüder zur Seite zu stellen, er aber alleine reiten wollte! Es war Wahnsinn, was er da tat und ich war mehr besorgt als wütend, als er sich meinen Befehlen widersetzte! Er war mein Freund, Altair, und er ritt offenen Auges in den Tode, ohne das ich es verhindern konnte! Der Grund, warum ich mich stets um euer Wohl sorgte ist schlicht und ergreifend jener, dass ich hoffe meine Schuld wieder gutmachen zu können! Ich hätte ihm die Krieger nachsenden müssen, ich hätte alles in Bewegung setzen sollen, um ihn zu unterstützen, aber ich habe es nicht getan, weil ich wie ein kleines Kind geschmollt habe! Wir alle begehen Fehler, Fidai, und ich versuche meine ebenso zu beseitigen, wie ihr die euren!"
Der Alte trat hinter den Assassinen, folgte dessen Blick über die Schulter hinweg. "Wenn ihr zurückkehrt, werden wir eine Reise begehen. Ihr werdet mich in die Wüste begleiten und wir werden uns weit draußen an einer Oase niederlassen, wo wir gemeinsam planen werden, wie es weitergehen soll. Ich werde euch zu meinem Verbündeten erheben, Altair, und zusammen werden wir dafür sorgen, dass endlich Schluss ist mit dem Krieg. Doch zuerst müsst ihr beenden, was ihr begonnen habt! Niemand fährt die Ernte ein, bevor er gesäht hat! In Jerusalem und Damaskus soll unser Bestreben durch euch besiegelt werden und dann gibt es nur noch einen, den ihr vernichten müsst um uns alle zu retten! Tötet die letzten drei Brüder dieses Ordens und dann erschlagt ihren Meister, Robert de Sable! Mein Dank an euch wird MEINE ewige Treue sein!"

Altair fühlte sich leer, seltsam ausgelaugt von unsichtbaren Kräften und erholte sich erst ein wenig, als er Al Mualim verlassen hatte. Immer noch konnte er die Zusammenhänge nicht voll erkennen, er glaubte aber ein großes Stück weitergekommen zu sein. Der Alte hatte sich ihm geöffnet, der Assassine wusste nun, was in dieser verrückten Welt vor sich ging, und auch wenn seine Sympathien für den Meister beinahe vollständig verschwunden waren, er glaubte Wahrheit in seinen Worten zu erkennen. Außerdem würde noch genug Zeit bleiben, um seinem Verhalten auf den Grund zu gehen, vorerst gab es wichtigere Ziele.
Es waren nicht die Truppen Richards, oder jene Salad al Dhins, die das Heilige Land bedrohten, hinter ihren tiefreligiösen Schlachten gab es eine Gruppe völlig Anderer, die sowohl die Fähigkeit als auch die Stärke besitzen würden, sie alle zu unterjochen. Robert de Sable war ihr Führer und ihm endgültig den Tod zu bringen würde Altair erlauben eine Aufgabe zu beenden, die er sich selbst schon vor langer Zeit auferlegt hatte.
Der Weg nach Jerusalem war diesmal nicht begleitet von Angst vor dem was kommen möge, der Assassine hätte nicht einmal Ruhe zum Denken gefunden, wenn er es gewollt hätte, denn das Chaos war über die Umgebung der Heiligen Stadt hereingebrochen. Bauern sahen sich plötzlich gezwungen, ihre Scheunen als Lager für Saladins Soldaten zur Verfügung zu stellen, jedes noch so verarmte Gebäude, dass zu finden gewesen war, hatten die Krieger in kleine Bunker verwandelt und bildeten so einen Ring aus Befestigungsanlangen um das Reich.
Wer aus der Stadt flüchten wollte, wurde aufgehalten, ebenso niemand in sie eingelassen und es dauerte mehrere Tage, bis Altair einen kleinen Pfad über die felsigen Hügel fand, der ihn unentdeckt näher an die geschichtsträchtigen Mauern brachte. Shaitan ließ er diesmal nicht an einer bestimmten Stelle zurück, sondern er erlöste ihn vom Gewicht des Sattels und dem Zaum, gab ihm einen kräftigen Klaps auf die Hinterhand und schickte den prachtvollen Hengst in die Wüste. Niemand wusste, wann Richard angreifen würde und es würde sicherer für ihn sein, wenn er sich nicht in der Nähe Jerusalems befand. Der feingliedrige Kopf des Pferdes flog wild in die Luft, als es stieg, sich umwandte und das Weite suchte, die ihm gewährte Freiheit in vollen Zügen genoß. Ob er ihn jemals wiedersehen würde, wusste Altair nicht.
Die Tore Jerusalems passierte nur mehr, wer das Zeichen Saladins an der Brust trug und die Mauern waren schwer bewacht. Es schien, als böte sich keine Möglichkeit für den Assassinen, ohne einen Kampf hinter die Befestigungen zu gelangen, doch aus der Not machte er eine Tugend, suchte die Umgebung gründlich ab und fand bald darauf einen Weg.
In der Nähe des Zionstores war einst eine kleine Kapelle errichtet worden, deren Garten von den Sarazenen jetzt genutzt wurde, um ihre Toten zu beerdigen. Unzählige frische Gräber erhoben sich aus dem zarten Grün, eben wurde ein neues von schwitzenden Männern ausgehoben. Zu ihnen trat eine kleine Prozession aus Totenträgern, in zeremonielles Gewand gehüllt. "Beeilt euch, wir brechen jetzt auf! Unausdenkbar, wie der Scheich reagiert, wenn das Grab seiner Frau noch nicht ausgehoben ist, wenn sie hier eintrifft!" bellte einer von ihnen den Arbeitern zu. Die Flüche, die er als Antwort erhielt, lösten einen minutenlangen Vortrag darüber aus, wer hier am Acker Allahs das Sagen hatte und Altair nützte die Gunst der Stunde. Er schwang sich über die Friedhofsmauern und stellte fest, dass die kleine Kirche auch einen Hintereingang besaß, der ihn direkt in den gedrugenen Altarraum brachte. Die Sarazenen hatten alle Zeichen der Erbauer entfernen lassen, lediglich ein dunkler Abdruck eines Kreuzes war auf der Wand zurückgeblieben, keine Gebetsbänke füllten mehr den Raum. Das Bauwerk war zu einem Lager für Särge verkommen, die links und rechts an der Wand aufgestapelt standen, nach Größe und Material geordnet.
In der Mitte zwischen ihnen stand ein prunkvolles Exemplar zum Abtransport bereit, in ihm waren die Leichentücher hergerichtet, mit denen der Leichnahm der unglücklichen Toten eingehüllt werden würde, bevor man sie im Staub aus dem sie gekommen war, begrub. Der Assassine zögerte keinen Moment, schob den Deckel des Sarges in die rechte Position und ließ sich in den hölzernen Verschlag gleiten. Mit einem entschlossenen Ruck zog er die Bedeckung über sich und wurde eingehüllt von Dunkelheit und Stille, denn die dicken Wände schluckten den Großteil der Geräusche. Wie aus weiter Ferne nahm Altair nach einiger Zeit die Stimmen der Leichenträger wahr, glich ausgewogen den heftigen Ruck aus, mit dem er hochgehoben wurde. "Turkan, dieses Ding ist verdammt schwer! Was zum Teufel habt ihr dafür benutzt?" "Normales Holz. Das sind die vielen Beschläge, die der Scheich befahl! Ich wünschte, ich könnte nur einen Teil davon entfernen und mit nach Hause nehmen, dann könnte ich diese Schinderei endlich sein lassen! Aber nein, der feine Herr muss ja seine fette Alte umhüllt von Reichtum verbuddeln! Als ob das noch einen Unterschied machen würde, wenn die Würmer sie erreichen!" "Nana, warum so missmutig? Schmerzt euer Rücken erneut?" Der Angesprochene stöhnte, Altair hörte es mit seinem dicht an das Holz gedrängte Ohr. "Sprechen wir nicht davon! Los, lasst uns die Leiche schnell holen und diesen Tag hinter uns bringen, dann gebe ich euch heute Abend einen Trunk aus!"
Sanft wiegende Bewegungen verrieten dem Assassinen, dass der Sarg nun vorwärts getragen wurde, und hoffte dass die Soldaten seinen Inhalt nicht kontrollieren würden, wenigstens würde ihm in diesem Fall eine Sekunde der Überraschung bleiben. Doch die Wächter fragten lediglich, für wen diese letzte Bleibe bestimmt wäre. "Die Frau des Scheichs! Ihr kanntet sie sicher, eine ausnehmend hässliche Person!" hörte er jemanden neben seiner rechten Schulter sagen. "Die Dicke mit dem seltsamen Geschmack für Mode? Wenn ich ihr Gemahl gewesen wäre, ich hätte dieses Nilpferd schon längst um die Ecke gebracht! Gewiss kann er es gar nicht erwarten, sich neu zu vermählen, also beeilt euch und tilgt diesen Schandfleck von dem Angesicht der Erde!" war die wenig charmante Antwort.
Die Prozession bewegte sich weiter und Altair zählte die Sekunden, bis er sicher war, weit genug vom Tor entfernt zu sein. Der Assassine hatte nicht vor gegen einfache Soldaten zu kämpfen, er stand nun über solchen niederen Begehren, er nutzte lediglich den Schrecken, den er in den Sargträgern erzeugte, als der Deckel des schweren Holzes wie von Geisterhand beiseite gestossen wurde und eine vermummte weise Gestalt aus dem Inneren schoss. In einer Haltung, die einem landenden Adler glich, kam sie zu Boden und war verschwunden, noch bevor den Männern ihre Schreie entfliehen konnten.

Malik war nicht alleine, ganz im Gegenteil, es herrschte hektische Betriebsamkeit in seinen Räumen. Wer sich von den Männern ihres Ordens in der Stadt befand, kam hierher um gemeinsam mit den anderen die Vorgehensweise zu planen. Weder Kreuzritter noch Sarazenen würden zögern zuzuschlagen, wenn sie sich bewusst wurden, dass der Untergund Jerusalems fest in der Hand Malik al Sayrs lag, der Jahre darauf verwendet hatte sich ein kleines Imperium innerhalb der Stadt aufzubauen. Der Verbindungsmann war sich im Klaren, dass Saladin längst von seinen Machenschaften wusste, dem Sarazenenherrscher nur noch Namen und Gesicht fehlten, um den Richtigen zu finden. So teilte er wohl überlegte Befehle aus und versuchte trotz der Panik, die langsam in der Bevölkerung aufkam, seine unsichtbaren Fäden an den rechten Stellen zu ziehen.
Malik war nicht darauf vorbereitet, Altair so schnell wieder zu begegnen, er hatte noch keine Möglickeit gefunden, sich auch mit diesem Problem auseinanderzusetzen, obwohl es mehr Gewicht besaß als das offensichtlich vorliegende. Er unterbrach sein Gespräch mit einem Boten, als der Assassine das Büro über die Dachluke betrat und winkte dem Besucher, ihm in den Lagerraum zu folgen. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, regten sich flüsternde Gespräche unter den Anwesenden. Jeder von ihnen wusste um die Geschehnisse, die zwischen diesen beiden Männern standen und man erwartete nicht, dass sie wirklich schaffen würden, ihre Zwistigkeiten zu beenden.
Wahrlich war die anfängliche Spannung zwischen Altair und seinem früheren Lehrer alles andere als positiv. Malik war angespannt, müde, fühlte sich beinah ausgebrannt, während er selbst vor Kraft strotzte, unbändige Energie in jede seiner Gesten legte. "Ihr entwickelt euch zu einer Legende, Altair, keiner hat je so lange ohne einzuhalten getötet! Könnt ihr der Spur eurer Taten überhaupt noch folgen?" Bequem ließ er sich auf eine Kiste nieder. "Ist das nicht, was von uns erwartet wird?" antwortete der Assassine. "Eigentlich schon, aber ich war immer der Meinung, dass zuviel Tod auf einmal nicht gut sein kann! Man erkennt kaum noch etwas Menschliches an euch."
Mehr die Art, wie der Verbindungsmann diese Worte sprach, als ihr Inhalt selbst, fand Einlass in Altairs Seele. Er trat einen Schritt vor und schob seine Kapuze vom Kopf, während er sich neben Malik setzte. Dann faltete er die Hände und sah wie durch Schleier auf sie herab.
"Ihr seid ein großer Mann, Malik al Sayr! Trotz allem, was ich euch angetan habe, sorgt ihr euch noch um mich!" Der Ältere konnte nicht umhin zu lächeln. "Ich habe nachgedacht, Altair. Das Leben nimmt seinen Lauf, ohne das wir es beeinflussen können und vielleicht wäre Kadar sowieso umgekommen. Es mag eure Schuld gewesen sein, dass es auf diese Art und Weise geschah, aber nicht, dass es überhaupt passierte!" "Wir werden Zeit finden müssen, um über alles zu sprechen, dessen ich mich schuldig gemacht habe!" "Nun, Zeit ist aber genau das, was ich im Moment überhaupt nicht habe. Was ist eure Mission?"
Der Assassine fragte sich, ob ihre Freundschaft so einfach wieder hergestellt werden konnte, entschied aber, dass es noch zu früh war um vertraut zu werden. Er durfte nicht den ersten Schritt tun, es lag an Malik über ihre Beziehungen zu entscheiden. "Wenn ihr es als recht erachtet, wird Majd Addin mein nächstes Opfer sein!" "Jerusalems Herrscher? Bei Allah, Al Mualim überschätzt wahrlich unsere Kräfte! Wenn Addin fällt, wird Saladin es nicht so einfach dulden! Er ist sein stärkstes Schwert!" "Und der Verkommenste von ihnen allen! Auf dem Weg hier her fand ich genug Beweise seiner strengen Führung! Ich kann mich nicht erinnern, dass öffentliche Folter je zuvor so häufig anzutreffen war!" Malik knurrte leise. "Ja, sein Jähzorn verursacht einige Schwierigkeiten. Jerusalem wird von Angst regiert, nach eurem letzten Attentat führte er sogar eine neue Variante des Schreckens ein. Er bezichtigte einfache Leute, Helfer der Assassinen zu sein, ohne Beweise zu erbringen und ließ sie vor Salomons Tempel vierteilen! Salad al Dhin hat aus euren Anschlägen gelernt, er wusste, dass nur ein Fanatiker einen Schatten finden kann, so war Majd Addin die rechte Wahl für diesen Posten!" "Er sucht mich?" Altair klang einigermaßen überrascht, zugleich ein wenig geehrt. "Nicht euch persönlich sondern die Projektionen, die ihr hinterlasst! Wer immer euch in Statur und Größe ähnelt und sich nur annähernd verdächtig verhält, wird zum Verhör verhaftet. Das ist auch der Grund für die Aufregung dort draußen!" antwortete der Verbindungsmann und zeigte auf die Tür zu seinen Gemächern.
"Saladin hat keine Zeit, um sich darum zu scheren, ob Addin stirbt oder nicht, er ist geblendet und in einen Kampf verwickelt, den er ebensowenig gewinnen wird wie sein Gegner!" "Ihr sprecht in Rätseln!" Altair erhob sich und wartete, bis Malik es ihm gleichgetan hatte. "Majd Addin unterliegt nicht seiner Herrschaft, ebensowenig wie jene, die ich bisher tötete, der Führung eines Herren unterliegen! Diese Männer halten sich nur an sich selbst und an die Utopie einer besseren Welt, in der Kontrolle und Zucht die Menschheit bestimmen! Jeder der freien Geistes ist, macht sich zum Feind dieser Gruppe und sollten sie mich als ihren größten Widersacher ansehen, dann habe ich meine Arbeit gut getan!" "Eine Verschwörung aus Kreuzrittern und Sarazenen? Wie passt das zusammen?" Obwohl er die Antwort längst kannte, schaffte der Verbindungsmann es, ehrlich unwissend zu wirken. "Das verschließt sich mir noch, aber ich denke wenn ich mich beeile, kann ich es noch erfahren bevor Richard und Saladin erneut aufeinander einschlagen! Was mögen sie wohl sagen, wenn sie erfahren, dass sie von ihren eigenen Männern hintergangen wurden? Vielleicht ist das der Weg, ihren Zwist zu beenden!" Altair konnte nicht ahnen, dass er eben eine Idee geboren hatte, auf die Malik gewartet hatte. Endlich hatte der Assassine den Faden gefunden und bald würde er das Knäuel entwirren. Mit tiefer Freude, dass die neuen Zeiten nicht mehr fern waren, erteilte er dem Kämpfer seinen Segen.


Als Leruzzis Füße den Boden berührten, trat Abu’l Nuqoud schnaufend an ihn heran. "Wir haben es gefunden!" entfuhr es hastig seinen dicken Lippen, an denen der Schweiß der Anstrengung perlte. "Gut! Und jetzt sollten wir klären, dass ich es zerstören werde!" antwortete LEruzzi mit seltsamen Klang. Wie auf ein unsichtbares Kommando zogen alle Anwesenden Kreuzritter ihre Waffen, die verbleibenden vier Sarazenen reagierten nur wenig später. Im Dämmerlicht leuchteten ihre Gesichter grimmig, es wäre ein Kampf auf Leben und Tod geworden, hätte nicht noch eine Person, unbemerkt von ihnen allen, diese Begebenheit verfolgt. Mit einem raschen Schritt gab Al Mualim sich im Licht der Fackeln zu erkennen, bezog genau zwischen den gezückten Schwertern Stellung und hob beruhigend die Hände. "Meine Freunde, mäßigt euch! Es gibt keinen Grund, einander zu misstrauen! Wir alle folgen der selben ehrenhaften Bestimmung, wir wollen die Menschheit vor der Macht schützen, die dieses Artefakt in sich trägt!"
Leruzzi hob seine Waffe. "Schert euch weg, dreckiger Assassine! Nur wegen euch ist es überhaupt so weit gekommen! Hättet ihr mit nicht den Schlüssel zu diesem Rätsel so lange vorenthalten, wäre euer Wunsch längst erfüllt gewesen!" Auch Nuqoud zielte auf die Brust des Alten. "Er hat uns beide genarrt, denn er benötigte unsere Informationen! Wir sollten ihn erledigen!"
Mit einer unspektakulären Geste enthüllte Al Mualim, dass er den Gegenstand der Macht an sich genommen hatte und streckte das Artefakt weit vor sich aus. Schwaden aus Licht stoben im Kreis um ihn und bannten die Blicke der verbitterten Gegner. Der Alte wusste, dass von nun an keiner von ihnen mehr fähig war, sich zu bewegen, bis er sie vom Anblick des Splitters erlösen würde. "Eure Bemühungen verdienen einen Lohn! Ich schenke euch allen euer Leben! Leider kann ich euch diesen Stein nicht überlassen, es ist nicht zu verantworten, dass so etwas einzigartiges von niederen Gestalten wie euch zerstört wird!" Der Meister der Assassinen wandte sich um und bedeutete dem kleinen Jungen, der sich immer noch in den Schatten verbarg, ihm zu folgen. Auf einem anderen, geheimen Weg verließen sie die Stätte und traten in die kühle Nacht der Wüste hinaus. Dort legte Al Mualim das Artefakt sorgfältig in die Hände des Kindes und schloss seine Finger darum. "Reite von hier weg, Cihan, wähle selbst deinen Weg und verstecke dieses Ding so gut du kannst! Niemand gegenüber wirst du erwähnen, wo es sich befindet, nicht einmal mir selbst, dass musst du mir schwören, mein Junge!">   

Altair folgte den Spuren des unschuldigen Blutes, dass Majd Addin über Jerusalems Straßen ergoß. Wie leuchtende Wegweiser führten junge Männer in komischen Uniformen ihn zum Ort seines Attentates, indem sie dem Volk die Hinrichtung weiterer Verdächtiger vor den Toren des Salomonischen Tempels ankündigten. Der Gedanke, dass er Saladins besten Mann töten würde, während dieser hoffte ihn endlich zu erwischen, hinterließ ein Prickeln in seinen Fingerspitzen und der Assassine schwebte schnell auf einem höheren Level. Es war, als würde er ein Fenster im Fluss der Realität schaffen und hindurchgehen, keiner der Bogenschützen und Wachen auf den Dächern der Stadt wurde seiner gewahr, denn anstatt den direkten Weg zu nehmen und jeden Feind zu töten, der sich ihm entgegenstellte, bewegte sich Altair flüssig durch die flimmernde Hitze des schwülen Nachmittags und verbarg sich hinter Baldachinen und Firsten.
Der Schrei eines Adlers ließ seinen Blick nach oben gleiten, als er den Tempel des Salomon erreichte und er sah, dass das Tier sich auf der Spitze des Kirchturmes niedergelassen hatte, der sich Hoch über dem Eingang und dem Ort der geplanten Hinrichtung erhob. Binnen Sekunden hatte der Assassine das Bauwerk erklommen und hockte wartend im Schatten der großen, gußeisernen Glocke.
Majid Addin wurde von Jubel begrüßt, auch wenn die Rufe eher gedämpft zu ihm drangen, das Volk stieß sie mehr wegen der unzähligen Wachen als aus tiefer Verehrung aus. Jerusalems Herrscher stand stolz aufgerichtet über ihnen auf einem großen hölzernen Podest. In seinem Rücken waren vier Personen, darunter eine Frau, an Pfähle gebunden, sie und zwei der anderen versuchten verzweifelt, sich zu befreien, lediglich ein Mönch in weißer Kutte harrte bewegungslos unter den fest gebundenen Seilen. Altair konnte sein Gesicht nicht sehen, doch er erkannte an den geheimen Zeichen seiner Kleidung, dass Majd Addin diesmal wirklich einen Assassinen gefangen hatte.
Ein Dejavu zog verüber, schon einmal war er in Jerusalem in einen Kampf verwickelt worden, als er einen Bruder aus solch misslicher Lage befreite, damals hatte Malik seinen Arm verloren. Nur, dass Altair damals noch ein unwissender Schüler gewesen war, am Anfang seiner Karriere, jetzt würden ihm die gleichen Fehler nicht noch einmal unterlaufen.
Majd Addin hob seine kräftige Stimme und seine Worte rollten wie Donner über die Köpfe der Menge hinweg.
"Ruhe, ich verlange Ruhe!" brüllte er und erstickte damit jeden Ruf aus den Kehlen des Volkes. In der folgenden Sekunde der Stille genoss er für einen Moment seine Macht und fuhr dann wild gestikulierend fort. "Menschen von Jerusalem, hört meine Worte! Ich stehe hier heute vor euch, um eine Warnung zu überbringen! Ihr seid unterlaufen von Verrätern, von gottlosen Mördern, die suchen eure Führer zu töten und euch vom rechten Wege abzubringen! Schrecklich sind ihre Taten, kalt ihre Herzen! Wollt ihr ein Leben lang in Angst vor diesen Dämonen leben?"
Wie aus einem Munde erhob sich Verneinung vor ihm, ein Zugeständnis nicht an seine Person, jedoch an seine Rede. "Dann wünscht ihr, dass ich handle? Dass ich euch von diesem Übel befreie? Bei Allah, so sei es!"
Die Reihen der Bürger wurden je gelichtet, als eine Gestalt schreiend direkt auf das Podest zuschoss. Altair erkannte zu spät, dass hier wohl ein Novize versuchte seinen Lehrer zu retten und konnte nicht mehr verhindern, dass der Junge von scharf geschossenen Pfeilen zu Boden gestreckt wurde. Seine Kapuze fiel zurück und ließ Licht auf sein Antlitz treten, dass sich in erschrockenen Augen wiederspiegelte.
"Seht wie die Bosheit eines Mannes einen anderen befällt!" reagierte der sarazenische Herrscher. Er deutete mit weit ausgestrecktem Arm auf den gebundenen Asassinen und ließ seine Stimme erneut anschwellen. "Diese Bastarde sähen Angst und Verzweiflung zwischen uns! Sie sind jene, die uns alle zu knechten suchen, die bestrebt sind eine neue Welt zu schaffen, in der nur sie das Sagen haben! Wir müssen anfangen uns zu wehren, und alles Böse aus dieser Stadt tilgen! Heute wollen wir damit beginnen!" Majd Addin schritt die Reihen seiner Opfer ab. "Eine Hure, ein Spieler, ein Trinker und ein Meuchelmörder, sündige Kreaturen, nicht gut genug um unter uns zu leben! Lasst die Gerechtigkeit Allahs über sie kommen!" Der tosende Applaus war nicht mehr erzwungen, die Greueltaten des Führers vergessen, denn das Volk fand endlich ein Ventil, seine Schmerzen und seinen Hass auf einen gebotenen Feind zu projezieren. Majd Addin war unantastbar, aber die Assassinen, ein gottloser Haufen dreckiger Verbrecher, konnten gefasst und getötet werden.
Altair begriff, was hier vor sich ging und wurde von Grauen erfasst. Der Sarazene, der gewiss ein Mitglied der geheimen Verbindung war, nutzte das Elend der Menschen, um alle auszumärzen, die er für lebensunwürdig befand. Wenn man ihm keinen Einhalt gebot, würde er die Welt nach seinen Vorstellungen richten und das geblendete Volk ihm noch dabei helfen, es zu zerstören. Vielleicht hatte Al Mualim sich geirrt und das Artefakt war bei weitem nicht so wichtig, wie er annahm. Illusionen brauchten nicht immer einen magischen Gegenstand, diese Männer schafften sie auch ohne seine Wirkung.
Majd Addin ließ sich einen großen Krug reichen, während zwei Wächter an jenen Mann herantraten, den er den Trinker genannt hatte. "Ein jeder von ihnen soll bekommen, was er verdient!" rief er aus und schüttete den Inhalt in den mit Zwang geöffneten Mund seines Opfers. Verzweifelt glucksende Geräusche drangen aus dem mit Alkohol gefüllten Mund, der Körper verkrampfte sich wild, als der Säufer qualvoll an seinem Manna erstickte. Wie ein Sack Heu sank er unter Krämpfen zusammen, sein toter Leib wurde jedoch von den Seilen aufrecht am Pfahl gehalten. Die Stimmung der Menge am Platz hatte ihren Siedepunkt erreicht, viele johlten und klatschten, nur wenige stießen noch Schreie des Schreckens aus und betrachteten mit geweiteten Augen, wie Majd Addin die Frau an ein seltsames Gerät führen ließ.
Der Assassine hatte seinen Platz längst verlassen und war in die Menge eingetaucht, durch die er nun unscheinbar hindurchglitt. Er entfernte sich von dem Platz und bog mehrmals in Gassen ab, bis er ein Gebäude erreichte, dessen Rückseite direkt neben dem Podest liegen musste. Niemand achtete auf ihn, als er die Fassade erklomm und seinen Kopf nur Millimeter über den Rand des Daches schob. Zwei Wächter standen mit dem Rücken zu ihm und beobachteten die spannenden Ereignisse, ohne auf ihre Umgebung zu achten.
Majd Addin hatte die Frau zu einem Bock schleifen lassen, auf dem ein eiserner Dorn steil in die Höhe ragte. Eben war er dabei, die Kreischende ihrer Kleider zu entledigen, um sie auf die scharfe Spitze zu zwingen, als der Dolch Altairs dem einen Wächter in den Rücken, sein Kurzschwert dem anderen in den Hals fuhr und beide lautlos zu Boden gingen.
Diese erste Berührung feindlichen Fleisches mit seinen Waffen erweckte in Altair die Instinkte, die ihn zu dem machten, was er geworden war. Zeit hatte keine Bedeutung mehr, alles in seinem Blickfeld verschwamm und in einem Kegel aus glänzenden Farben war sein Opfer das einzige, was er klar wahrnehmen konnte. Der Assassine sprang, seine Füße landeten auf dem schrecklichen Folterinstrument, exakt wenige Millimeter links und rechts des Dornes, er befand sich plötzlich Angesicht in Angesicht mit der Hure, deren Geist nun völlig brach und sie hysterisch werden ließ. Sie trat um sich, riss sich los und stürzte davon, gab die Sicht auf Majd Addin frei, der erst reagieren konnte, als Altairs Schwert bereits zur Hälfte in seinem Körper versunken war. Ein Messer bohrte sich in den Oberarm des Assassinen, konnte ihn jedoch nur mehr unwesentlich verletzen, denn die Hand, die es führte, hatte schon die Kraft verlassen. Gemeinsam sanken sie auf die Knie, verbunden durch das kalte Stahl im Körper des jeweils anderen und gelangten an die Schwelle der Existenz, wo sie völlig allein mit sich waren.
"Eure Arbeit ist getan!" Altair bewegte sich nur unwesentlich, um die Waffe seines Gegners aus seinem Arm zu lösen. "Nein, nein!" rief Majd Addin laut aus. "Ich habe erst begonnen!" "Sagt mir, welche Rolle ihr in diesem Spiel übernehmt! Oder wollt ihr euch wie eure Vorgänger feige in die Umarmung des Todes flüchten?" "Pha, die Bruderschaft!" der Herrscher Jerusalems spuckte einen blutigen Klumpen aus, "sie wollten nur Jerusalem und ich Macht, es war eine...Möglichkeit!" "Die Chance Unschuldige zu töten!" antwortete der Assassine ihm ruhig. "Sie sind nicht unschuldig, ihre Taten stören die offene Ordnung und untergraben die Disziplin! Zumindest in diesem Punkt stimme ich mit dem Orden überein!" Altair schüttelte den Kopf. "Ihr leugnet nur eure Grausamkeit! Diese Menschen sollen lediglich sterben, weil sie anders denken als ihr! Eure wahren Hintergründe verschleiert ihr, indem ihr den Hass des Volkes auf mich und meine Brüder lenkt!"
Mit der wenigen Kraft, die ihm blieb, richtete Majid Addin sich erneut auf. "Natürlich tat ich es nicht, weil sie anders sind als ich, sondern weil es mir gefiel! Weil ich es konnte! Wisst ihr wie es sich anfühlt, jemanden das Leben zu nehmen? Gerade ihr kennt doch die Kraft, die Heiligkeit die von einem solchen Moment ausgeht! Habt ihr nie gewünscht diese Macht vollständig zu besitzen? Sie fürchten mich, sie verehren mich, ich bin wie ein Gott!" Vorsichtig drückte Altair den Verwundeten zu Boden. "Einst vielleicht, doch ich habe gelernt was mit jenen passiert, die denken über allen Dingen zu stehen!" "Und was ist es?" raunte der Sarazene nur mehr schwach. "Lasst es mich euch zeigen!"
Majd Addin spürte die Berührung der Feder noch bevor der Dolch des Assassinen tief in seine Halsschlagader fuhr. Wie Regen schoss das Blut auf die weisen Spitzen des Vogelkleides herab, färbte es und die Faust, die es hielt, in glühendem Rot. Zwei dunkle Striche des Lebenssaftes blieben im Gesicht des Herrschers von Jerusalem zurück, als seine Augen geschlossen wurden. 
 
Noch bevor der letzte Rest Odem aus Majid Addin wich, war Altair bereits zurückgesprungen, wich einem Schwert von rechts aus und trieb das seine durch die Seile, die den anderen Assassinen an den Pfahl gefesselt hatten. Für Sekunden trafen sich ihre Blicke und er erkannte Abaz, seinen alten Feind und ließ sich zu sehr davon überraschen. Ein Wächter packte seine Kutte und versetzte ihm einen derben Stoß, doch Altair kam ebensoschnell wieder auf die Beine, wie er gefallen war und stürmte dem Mann mit erhobener Waffe entgegen.
Abaz erwies sich nicht als Feigling, er trat nicht den Rückzug an, sondern befreite die anderen Gefangenen, bevor er kurz innehielt und seine Umgebung erfasste. Der Großteil der Leibgarde Majid Addins war auf Altair eingestürzt, der Assassine stand mit dem Rücken zu einer Wand und wehrte unermüdlich ihre Streiche ab, konnte jedoch selbst keinen Angriff mehr tätigen, so unablässig schlugen sie auf ihn ein. Abaz handelte schnell und unbürokratisch, er zog sich auf einen der Balken, sprang von der Spitze ab und ergriff die Dachkante des Hauses, an dessen Wand Altair um sein Leben kämpfte. Hastig löste er die Stücke der Fesseln, die immer noch von seinen Händen hingen und knotete ihre Enden fest zusammen. Das Ergebniss war ein nicht allzulanges, aber doch brauchbares Seil, dass er ohne eine Sekund nachzudenken über den Rand des Daches nach unten warf.
Etwas traf Altair am Kopf, Sekundenbruchteile bevor das Ende eines Taus vor seinen Füßen landete. Die Verblüffung der Soldaten erlaubte ihm, schnell aufzusehen und er konnte in der blendenden Sonne den Schatten über ihm nur an seinen Worten erkennen. "Festhalten!" schrie Abaz ihm zu und seine Instinkte reagierten schneller als sein denken. Die freie Hand wickelte sich um das Seil, mit einem Ruck wurde er hochgezogen, während er mit Füßen und Schwert die Wächter abwehrte, die ihn zu greifen suchten.
Abaz wurde beinahe von den Füßen gerissen, als Altair in einiger Höhe sein Schwert auf das Dach warf, sich von dem Tau löste und die letzten Meter aus eigener Kraft überwand. "Folgt mir!" rief er seinem Gegenüber zu und verlor keine Sekunde, sich aus dem Staub zu machen. Die Bogenschützen hatten lange gebraucht, um zu reagieren, nun aber, da ihre Ziele nicht mehr umgeben von panischen Menschen und ihren eigenen Leuten die Dächer dahinrannten, ließen sie Schwalle aus zischenden Pfeilen auf die beiden Assassinen herab. Einer von ihnen verfehlte Abaz nur knapp, als sich dieser in letzter Not zu Boden warf, aufrappelte und sofort wieder neben Altair erschien. "Wir müssen von den Dächern runter! Da vorne liegt eine große Handelsstraße!" stieß er keuchend aus. "Mit vielen Menschen! Wir würden nicht schnell genug sein um zu entkommen!" "Wie ihr meint, wenn euch mehr daran liegt aufgespießt zu werden, sei es euer Wille! Lebt wohl, Altair!" gab Abaz zurück und wandte sich blitzschnell nach links, sprang ins Leere und landete hart auf dem Dach eines Markstandes. Er hatte schon einige MEter zwischen dem Gedrängel zurückgelegt, als weit neben ihm ein Schatten auftauchte, der durch die Stände sprang und so zu ihm aufschloss. Als Abaz an einer Kreuzung nach links schoss, hatte Altair wieder die selbe Höhe gewonnen. "Der große Altair wird doch nicht nachgeben!" "Halt das Maul Abaz, und lauf!" schnappte der Assassine zurück.
Hinter ihnen regten sich laute Rufe und die Schritte mehrerer Wächter, die nun von allen Seiten herbeiströmten. Hier in den Straßen waren Pfeile wirkungslos, es gab zuviele Ziele, aber die Überzahlt der Feinde war beträchtlich. Zu einem Kampf durfte es nicht kommen, wenn sie überleben wollten. Altair rief blitzschnell einen Plan der Umgebung aus seinem Gedächtnis ab und packte Abaz' Arm, um ihn zu einer weiteren Richtungsänderung zu bewegen. Der Andere kam kurz ins straucheln, folgte ihm aber ohne Gegenwehr in eine kleine Gasse, an deren Ende sie auf eine hohe Mauer stießen. Links und rechts an den Wänden boten sich keine Gelegenheiten, sich hochzuziehen und Abaz fluchte aus tiefem Herzen. "Das ist eine Sackgasse, verdammt!" Sein Gegenüber blieb kompromisslos. "Wir müssen da rauf!" antwortete Altair trocken und deutete auf eines der Dächer. Seinem Gegner gefiel es nicht, Befehle von ihm zu erhalten, aber angesichts der Situation ließ Abaz Gnade vor recht ergehen. Er faltete seine Finger und formte ein Trittbrett, von dem sich Altair kräftig abstieß und sich über die Dachkannte zog. Sofort fuhr er in der Hocke herum und streckte dem Anderen seine Hand entgegen. Abaz nahm Anlauf, rannte ein kleines Stück der Wand kerzengerade hoch und fasste das ihm gebotene Handgelenk. Mit einem Ruck wurde auch er auf das Dach gezogen. Sie konnten geraden noch zurückspringen, um nicht sofort von ihren Verfolgern entdeckt zu werden, die inzwischen in die Gasse einbogen. "Wohin?" warf Abaz dem Assassinen gehetzt zu. Altair wies ihm ruhig zu sein und huschte an die andere Seite des Daches, wo sich ein kleiner Innenhof mit einem Hühnerstall fand. Schnell gelangten sie zu dem Schuppen, rissen die Türe auf und verschwanden in seinem staubigen Inneren.

Christine schrie je auf, als zwei dunkle Gestalten zu ihr traten, ihr Schrei wurde jedoch sofort gestoppt, als jemand sie packte, herumdrehte und mit einer Hand auf dem Mund fest an sich presste. Eine Erinnerung schwang in den Gerüchen, die sie wahrnahm, den Angreifer umgab ein Nebel aus Pferd, Schweiß und Blut. Sein Atem an ihrem Ohr erzeugte eine Gänsehaut, als er hauchte: "Bleib ganz ruhig!" Das Mädchen entstpannte sich augenblicklich und der Druck auf ihren Körper wurde soweit verringert, dass sie sich umwenden konnte. "Ihr!" flüsterte sie atemlos und erneut fand seine Hand den Weg zu ihrem Mund, legte jedoch nur zwei Finger auf ihre Lippen. Sanft, aber bestimmt brachte er sie in eine Ecke des Stalles und zwang sie zu Boden, bevor er wieder zu dem Anderen zurückkehrte.
Lautlos verständigten sich die beiden Assassinen. Der Schuppen besaß zwei Eingänge, sie zückten ihre Schwerter, bezogen Rücken an Rücken Stellung und verharrten wie erstarrt, als auf dem Dach Geräusche und Rufe erklangen.
"Wo sind sie? Wer hat sie gesehen?" schrie jemand authoritär über die Schindeln. Weiter entfernt antwortete eine andere Stimme. "Kein Ahnung! Wir müssten sie sehen, wenn sie immer noch auf der Flucht wären!" "Seid kein Tölpel, die beiden werden sicher nicht stehenbleiben und sich über das Wetter unterhalten! Los, weiter jetzt!" Dumpfe Schritte entfernten sich über ihnen, doch in ihrem Versteck blieb es noch lange still. Christine wartete lange gespannt in ihrer Ecke, als ein Ruf über den Hof klang, schoss sie jedoch in die Höhe und eilte zu der Türe. "Aisha! Wo bist du faules Miststück! Das Abendessen ist noch immer nicht fertig!" Altairs Hand schloss sich um ihren Arm, riss sie zurück und brachte sie erneut nahe an ihn. "Ich kann nicht verlangen, dass du mir hilfst....!" begann er, doch sie unterbrach ihn, wischte seinen Griff sanft fort. "Aber ich werde es tun!"
Bestimmt trat sie aus den Schatten des Stalles, bereit sich dem Zorn ihrer Herrin zu ergeben. "Verzeiht, ich war bei den Hühnern, als die Glocken begannen zu läuten! Aus Unachtsamkeit habe ich vergessen, die Stalltüre zu schließen und musste alle Tiere einfangen, nachdem sie von den kreischenden Soldaten zerstreut wurden!" Ein Klatschen ertönte, die Dicke hatte fest zugeschlagen. "Du unnützes Ding! Du verkommenes Balg! Scher dich in die Küche und arbeite, wir erwarten Besuch heute Abend, mein Vetter soll kommen! Du wirst für ihn kochen und waschen und du wirst auch für sein leibliches Wohl sorgen, du kleine Hure!"
Abaz wagte erst sich zu bewegen, als die Schritte der beiden Frauen verklungen waren. Müde schleppte er sich zu einem Heuhaufen und sank darauf nieder. Altair folgte ihm, gönnte seinem Körper ebenso einige Momente der Entspannung. Schweigen hielt sich zwischen ihnen, bis Abaz sich zurücklehnte und sich vollends auf dem weichen Untergrund ausstreckte. "Sieht wohl so aus als müssten wir hier einige Zeit zusammen verbringen!" fing er an. Sein alter Feind raunte schlicht "Hm.", gab nicht mehr zur Antwort. "Es erfreut euch sicher sehr, dass ihr gerade mich befreit habt! Kommt schon, gebt mir euren Spott, ich will es hinter mich bringen!" "Schadenfreude ist die Lust der Schwachen, Abaz. Ihr ward in Schwierigkeiten, ich habe euch geholfen. Das ist nicht mehr als das, was unter Brüdern verlangt wird!" Ein Halm rollte sich zwischen den Fingern des Assassinen, der über seine Schulter zu dem Anderen sprach. "Ihr enttäuscht mich, ich hätte nicht erwartet, dass ihr euren Hochmut so schnell von dem Alten brechen lasst!" "Gerade euch sollte das doch recht sein! Ihr habt euch schließlich als meinen größten Feind bezeichnet!" Abaz wirkte für einen Moment nachdenklich. "Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht entsinnen! Wie dem auch sei, wenn ich es gesagt habe, habe ich euch belogen! Al Mualim ist weit schlimmer als ihr!" "Was wollt ihr damit sagen?"
Abaz verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. "Ihr seid nie lange in Maysaf geweilt, seit ihr in euren Rang erhoben wurdet, so konntet ihr auch die Veränderungen nicht erkennen, die er durchlebte. Für euch gab er sich immer gütig, wohlgesonnen, doch uns andere Brüder behandelt er mit zunehmender Strenge. Jeder, der auch nur minimal gegen seine Regeln verstößt, wird gefoltert und erlaubt sich jemand, auf euch und eure Taten hinzuweisen, antwortet er stets, dass es auch nur einem Manne eures Formats gebühren würde, eigenständig zu denken. Ich habe nie wirklich euch gehasst, Altair, vielmehr das was ihr darstellt!" "Ein Exempel für seinen Weg! Eine Puppe in seinen Händen!" entfuhr es dem Assassinen. Er war aufgestanden, wanderte ruhelos umher. "Wann hat das alles begonnen? Ich habe nie auch nur ein Wort davon erfahren!" "Natürlich nicht, wer hätte schon Lust empfunden euch zu sagen, dass ihr der Grund für viele Übel seid, die wir unter Al Mualim erdulden müssen? Je besser ihr wurdet, desto härter war sein Anspruch, je mehr ihr eure eigenen Wege gingt, desto strikter wurde er in unserer Führung und seit er dieses Artefakt besitzt, ist alles nur noch Schlimmer geworden! Erst neulich sprach er davon, dass wir lernen müssten, ihm blind zu folgen, denn nur er besäße den Schlüssel zu einer neuen Welt! Würdet ihr nicht existieren, dann hätten wohl schon viele ihm seine Macht entzogen, aber sie fürchten eure Rache!"
Altair blieb stehen, atmete tief durch und schloss die Augen. Erneut hatte er sich von dem Alten blenden lassen, hatte er seine Gefühle ihm gegenüber ignoriert. Es blieb keine Zeit mehr, etwas zu bereuen, er musste handeln, er musste es zu Ende bringen und dem Meister gegenübertreten, es war eine Gewissheit, die ihn traf. Er war dazu bestimmt, dies alles zu tun, etwas tief in ihm verriet, dass er genau die richtigen Schritte setzte und Frieden kehrte in ihm ein, der neue Kraft mit sich brachte.
"Wenn Al Mualim tatsächlich diese Taten begeht, die ihr schildert, wird er sich vor mir dafür verantworten müssen und gegebenenfalls meinen Zornm ernten! Doch vorerst muss ich weiter, es sind nur noch wenige übrig, die zu der größten Bedrohung für unser Land zählen!" "Ihr beliebt zu scherzen! Salad al Dhin und Richard haben tausende Heerscharen um sich versammelt!" Abaz war ebenfalls wieder auf die Füße gekommen und versuchte den Gesichtsausdruck seines Gegenübers zu deuten. "Sie sind es auch nicht, von denen ich sprach!"

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* bekannt aus Teil 1